Never ending story

Bücher zum linken Antisemitismus

Stephan Grigat gehört in Wien zu der Gruppe "Café Critique", die sich auf Grund unüberbrückbarer Gegensätze in der Einschätzung von Nationalsozialismus und Antisemitismus, von Nation, Krise und postfaschistischer Gesellschaft, von Israel und dem Massenmord im World Trade Center vom "Kritischen Kreis", in dem bis vor kurzem unterschiedliche Richtungen einer an Marx und der Kritischen Theorie orientierten wertkritischen und antinationalen Gesellschaftskritik vereinigt waren, abgespalten hat.

Kontakt: cafe.critique@gmx.net

Darf man über linken Antisemitismus schreiben, wenn man weiß, dass die Rechte die Existenz solch eines Antisemitismus zur Entschuldigung und Verharmlosung der eigenen, mal impliziten, mal expliziten Vernichtungsdrohungen gegenüber Jüdinnen und Juden benutzt? Herbert Lackner hat diese Frage im österreichischen Nachrichtenmagazin "profil" in einer Rezension einer Studie über das Verhältnis der österreichischen Linken zu Israel aufgeworfen. Er meint, die Wiener Zeithistorikerin Margit Reiter begebe sich mit ihrer Veröffentlichung auf dünnes Eis, da der FPÖ-Generalsekretär Peter Sichrovsky regelmäßig versuche, den Antisemitismus Jörg Haiders mit dem Hinweis auf die Existenz eines linken Antisemitismus zu behübschen. Auch Haider selbst hat in einem Gastkommentar für die regierungsnahe Tageszeitung "Die Presse" gemeint, niemand habe das Recht, ihn einen Antisemiten zu nennen und gleichzeitig zu den Aussagen des früheren SPÖ-Innenministers Karl Blecha, der heute Präsident der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen ist und sich in jüngster Zeit durch verbale Angriffe auf Israel und "den Zionismus" hervorgetan hat, zu schweigen.
Lackner weist damit auf ein reales Problem hin. Linke Kritik an der Linken ist nie davor gefeit, von der Rechten instrumentalisiert zu werden. Das kann aber nicht zum Vorwand genommen werden, diese Kritik zurückzuhalten. Linke Kritiker und Kritikerinnen können derartigen Instrumentalisierungen zumindest partiell vorbeugen. Zum einen dadurch, dass sie sich bei aller sachgemäßen Polemik in der Kritik am Antisemitismus in der Linken über die zwar nicht immer, aber doch in der Regel vorhandenen Differenzen zum Antisemitismus der Rechten bewusst bleiben; zum anderen dadurch, dass die Gründe für den linken Antisemitismus in einer mangelnden Radikalität der linken Gesellschaftskritik ausgemacht werden. Ersteres schafft Margit Reiter in ihrer Studie mit dem etwas reißerischen Titel "Unter Antisemitismus-Verdacht" sehr gut, zweiteres kaum.
Die Masche von Haider, Sichrovsky und Co, mit dem Hinweis auf antisemitische Tendenzen in der Linken den eigenen Antisemitismus zu entschuldigen, ist keineswegs neu. Reiter führt in ihrer Studie ähnliche Beispiele aus den siebziger Jahren an, als der den Nationalsozialismus verharmlosende und antisemitische Kolumnist Staberl in der Boulevard-Zeitung "Krone" die antizionistische Diktion linker Gruppierungen geißelte und von "Faschisten in der SPÖ" sprach.
Dass es Reiter weder um simple Denunziation der Linken noch um eine Instrumentalisierung der Beschäftigung mit Antisemitismus in sich selbst als emanzipatorisch verstehenden Kreisen geht, wird in ihrer Arbeit mehr als deutlich. Sie skizziert das Verhältnis der österreichischen Linken zu Israel entlang der zentralen politischen Ereignisse im Nahen Osten. Von der Staatsgründung 1948 bis zum Golfkrieg und dem sogenannten Friedensprozess in den neunziger Jahren werden die Veränderungen und Ambivalenzen in diesem Verhältnis vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit heraus gearbeitet. Die KPÖ, deren Antifaschismus bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit dadurch konterkariert wurde, dass sie die Vernichtung der Gauakten forderte, damit, wie es hieß, "für die große Masse der ehemaligen kleinen Nazimitläufer ein Schlussstrich unter die Vergangenheit" gezogen werden könne, findet ebenso Beachtung wie die Neue Linke, autonome Gruppierungen und Antiimps mit ihrer fast schon gewohnheitsmäßigen Gleichsetzung der israelischen Politik mit dem nationalsozialistischen Massenmord. Die KPÖ hatte, den sowjetischen Vorgaben stets treu Folge leistend, 1948 die israelische Staatsgründung kurzzeitig unterstützt, was Reiter zufolge allerdings weniger als Parteinahme für Israel gewertet werden kann, sondern sich eher gegen den britischen und amerikanischen Imperialismus richtete. Bis 1967 existierte bei der KPÖ noch eine gewisse Distanz zur PLO, nach Reiter allerdings nicht so sehr wegen deren israelfeindlichen Positionen, sondern eher wegen der in den Augen der KP zu ausgeprägten Orientierung an China. Von den siebziger bis in die neunziger Jahre hinein waren die Parteikommunisten dann, trotz ihres vergleichsweise konsequenten Engagements gegen offenen Antisemitismus in der österreichischen Gesellschaft, eine der zuverlässigsten antizionistischen Kräfte in Österreich. Bei der SPÖ fällt es schwer, verallgemeinerbare Aussagen bezüglich ihres Verhältnisses zu Israel zu machen, da die Sozialdemokraten sowohl einen pro-palästinensischen als auch einen pro-israelischen Flügel in der Partei haben und SPÖ-Mitlieder in der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen ebenso eine zentrale Rolle gespielt haben und spielen wie in der Österreichisch-Israelischen Freundschaftsgesellschaft. Reiter versucht, die unterschiedlichen Kräfte in der SPÖ kenntlich zu machen und verweist auf eine Tradition eines sozialdemokratischen Antisemitismus in der Zeit vor dem Nationalsozialismus. Eines der eindrucksvollsten Beispiele für solch eine Tradition ist der sogenannte Sever-Erlass, mit dem der sozialdemokratische Landeshauptmann Albert Sever 1919 versuchte, die Ausweisung von osteuropäischen jüdischen Kriegsflüchtlingen voranzutreiben - ein Versuch, gegen den damals nur die weitgehend marginalisierten Kommmunisten und Kommunistinnen ernsthaft protestierten.
In der Studie werden die Veränderungen beschrieben, die sowohl der Zionismus als auch der Antizionismus im 20. Jahrhundert durchgemacht haben. Reiter verweist auf Auschwitz als historische Zäsur und zitiert in diesem Zusammenhang dankenswerterweise Isaac Deutscher, lange Zeit neben Erich Fried einer der beliebtesten Kronzeugen antizionistischer Linker in Deutschland und Österreich, der in den fünfziger Jahren notierte: "Meinen Antizionismus, der auf meinem Vertrauen in die europäische Arbeiterbewegung basierte, oder, allgemeiner, auf meinem Vertrauen in die europäische Gesellschaft und Zivilisation, habe ich natürlich längst aufgegeben, denn diese Gesellschaft und diese Zivilisation haben es Lügen gestraft. Wenn ich in den zwanziger und dreißiger Jahren, statt gegen den Zionismus anzugehen, die europäischen Juden aufgefordert hätte, nach Palästina zu gehen, hätte ich womöglich geholfen, einige Menschenleben zu retten, die später in Hitlers Gaskammern ausgelöscht wurden."
Reiter ist in ihren Ausführungen, in die sich auch ein paar Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, teilweise dermaßen um Differenziertheit bemüht, dass einem ihre Kritik mitunter sehr zurückhaltend anmutet. Bei ihrem Bemühen, Gründe für die Existenz eines antisemitisch eingefärbten Antizionismus in der Linken anzugeben, kommt sie zwar auf die Mängel linker Faschismustheorien zu sprechen, schafft es aber kaum, einen Zusammenhang zwischen linkem Antisemitismus und den vorherrschenden linken Vorstellungen von Nation, Kapital und Staat herzustellen.
Reiter hat Pech, dass sie ihr Buch vor der sogenannten Al-Aqsa-Intifada fertiggestellt hat. Natürlich hat die Eskalation in Israel auch in Österreich erneut zu einem Aufblühen antizionistischer Agitation geführt. Allerdings können Gruppen wie die Antiimperialistische Koordination, die RKL oder die Universalismusgruppe, die Israel mittlerweile sogar in Anführungszeichen setzen, wenn sie es adjektivisch gebrauchen, bei weitem nicht mehr auf so große Zustimmung hoffen wie noch in früheren Jahren - und insofern trifft Reiters Feststellung bezüglich der neunziger Jahre, dass "das oft geradezu leidenschaftliche linke Interesse an Israel weitgehend nachgelassen" hat, bedingt auch für die aktuelle Situation zu. Dennoch ist es in Wien, das sich schon im Frühjahr 1971 mit der Abhaltung der ersten Arbeitstagung von europäischen Palästinakomitees als Hochburg des Antizionismus zu etablieren versucht hat, nach wie vor möglich, dass Antiimps gemeinsam mit islamistischen Gruppen Anti-Israel-Demos durchführen, bei denen nach Augenzeugenberichten ein Transparent mitgeführt wurde, auf dem die Fragen aufgeworfen wurden: "Ziel der zionistischen Politik? Weltherrschaft?!"
 

Die Funktion des Antizionismus

Auch wenn einige Linke immer noch aus allen Wolken fallen, wenn man ihnen etwas über linken Antisemitismus erzählen will, ist die Debatte darüber natürlich nicht mehr neu. Einer gewissen Aufmerksamkeit kann sich die Kritik am Antisemitismus in der Linken spätestens seit dem Golfkrieg 1991 sicher sein. Bereits damals wurde im Grunde alles notwendige zur Kritik des als Antizionismus daherkommenden Antisemitismus gesagt, beispielsweise von der Initiative Sozialistisches Forum, die ihre Texte vom Anfang der neunziger Jahre in Buchform erneut veröffentlicht hat. Was bei Margit Reiter lediglich angedeutet und eher von einem linksliberalen als linksradikalen Standpunkt aus kritisiert wird, findet sich bei der ISF in ausgebreiteter Form: Die Gründe für den Antisemitismus in der Linken werden in erster Linie in der unzureichenden Ökonomiekritik und der kaum vorhandenen Staatskritik der Linken ausgemacht: "Die `Linke` ist nur insofern gegen den Antisemitismus mindest immun und der Möglichkeit nach kritisch, als sie die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie als Kapital- und Staatskritik begreift - also weder als Kritik der Zirkulation durch die Produktion noch als Denunziation der Macht mittels der Menschenrechte, sondern als kritische Sabotage des Totalitätscharakters kapitalisierter Gesellschaften." Gerade das, was der Linken offensichtlich am heiligsten ist, wird als Einfallstor des Antisemitismus gekennzeichnet - die Politik: "´Die Linke` hat am Antisemitismus teil, insoweit sie den Ausbeutungscharakter der Ökonomie mit politischen Mitteln aushebeln will. Als schon staatstragende oder noch bloß staatswillige `Linke` erbt sie die kategorialen Bestimmungen und die objektiven Praxisformen von Staatlichkeit als solcher, deren erste und prominenteste: die Homogenität des Staatsvolkes und der Identifizierung der Individuen als Nationalstaatsbürger, zum fundamentalen Bestand antisemitischer Agitation gehört." Die ISF rechnet mit so ziemlich jedem Unsinn ab, der zur Grundausstattung der Linken gehört und erklärt den Zusammenhang dieses Unsinns mit dem Antisemitismus von links. Sie räumt mit rechten wie linken Mythen über die israelische Staatsgründung auf und rückt den Zionismus ins richtige Licht: "Der Zionismus ist die falsche Antwort auf den Antisemitismus, die sich, grauenhafterweise erst im nachhinein, als die einzige nach dem Zustand der Geschichte vorläufig angemessene erwiesen hat, während die immer noch richtige Antwort: Revolution für die staaten- und klassenlose Gesellschaft, vom Stalinismus zur weltfremden Utopie abseitiger Spinner erniedrigt worden ist." Dementsprechend gibt es auch einen zentralen Unterschied zwischen der antinationalen Kritik israelischer Linker und dem Antizionismus insbesondere österreichischer und deutscher Linker, die im jüdischen Nationalismus im vollen Einklang mit Adolf Hitler den "Feind aller Völker" erblicken: "Wenn die israelische Linke gegen den Nationalismus in Gesellschaft und Staat angeht und das Antizionismus nennt, entspricht das der Tradition und ist ein bloßer Name für diese Kritik. In Deutschland und unter den Freunden des homogenen Volkstums generell dagegen ist `Antizionismus` Anzeichen der Projektion und daher kein Name für eine Sache, die vielleicht auch ganz anders heißen könnte, sondern vielmehr eine Chiffre und ein Code."
Die Texte der ISF zeugen vom Bewusstsein über die Grenzen von Aufklärung. Zugleich geben sie sich Mühe, eine Kritik zu favorisieren, die auf die Sache zielt, nicht vorrangig auf das Individuum, auch wenn die Eigenheiten des Individuums keine Entschuldigung für die von ihm vertretene Sache sein können: "Nach der Seite der Gesellschaft hin betrachtet sind Antisemitismus und Antizionismus ideologiekritisch nur zu brechen und praktisch nur zu kritisieren, wenn der gesellschaftliche Gehalt der antisemitisch-antizionistischen Agitation nicht subjektivistisch reduziert und durch die `gute Absicht` entschuldigt oder relativiert wird. Nur den Einzelnen gegenüber kann - privat - angenommen werden, dass nicht das gemeint wurde, was zum Ausdruck kam, mag es auch widerlich genug sein; dem Agitator dagegen muss, als öffentlicher Person, das Gesagte als wirklich Gemeintes auf den Kopf zugesagt werden."
In den siebziger, achtziger und frühen neunziger Jahren hatte der Antizionismus in der BRD eine dreifache Funktion: "Erstens war er die objektive Agentur des Antisemitismus im Lager der Linken, einer Linken, die eben dadurch (...) ihre Zugehörigkeit zum nationalen Kollektiv demonstrierte. (...) Zweitens war der Antizionismus die Repräsentanz des durch die Sowjetunion (...) dargestellten Hegemonialanspruchs des Marxismus-Leninismus über die Linke. (...) Im Antizionismus gestand die Linke ihre fundamentale Unfähigkeit zur Kritik der traditionellen Arbeiterbewegung wie zur Kritik der Vergesellschaftungsweise sowjetischen Typs ein. Und drittens erlaubte der Antizionismus, unterm Vorwand internationalistischen Engagements, die Wiederaneignung der Idiotie von Volk, Vaterland und Muttersprache. Volk, der Inbegriff der Konterrevolution, Volk, die antiemanzipatorische Kategorie schlechthin und also der Gegenbegriff zu Gesellschaft (...) stieg auf zur zentralen Kategorie des Internationalismus."
Im heutigen Deutschland von Schröder und Fischer hat sich diese dreifache Funktion weitgehend erübrigt: "Die antizionistische Linke hat sich erledigt, ihr Auftrag - mit Hilfe des Antizionismus die deutsch-völkische Kontinuität zu wahren und die Nation zu entschulden - ist erfüllt. (...) Da die ehemals antizionistische Linke nun ihr nationales Projekt Deutschland hat, kann sie ihre Identifikation mit den unterdrückten Völkern aufgeben und sich anschicken, die `Diktatoren` und `unbelehrbaren Nationalisten` dieser Welt unmittelbar, mit der geballten Macht des `Modells Deutschland` im Rücken, zur Räson zu bringen." Es deutet sich bereits jetzt an, dass in Zukunft auch israelische Politiker und Politikerinnen zu jenen "unbelehrbaren Nationalisten" gerechnet werden, die nur noch durch deutsche "Friedenstruppen" auf den rechten Weg zurückgeführt werden können.
In Österreich verhält sich alles etwas anders. Zum einen ist man der Entwicklung hin zum zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsfanatismus mal wieder ein wenig hinterher, was sich aber durch eine gar nicht so unwahrscheinliche zukünftige rot-grüne Koalition in rasantem Tempo ändern könnte. Zum anderen ist die Konstellation in Österreich tatsächlich eine andere, wenn auch wohl nur eine verschobene. Dort arbeiten oppositionelle antiimperialistische Volksfreunde von links sowie an der Regierung beteiligte irakbegeisterte und Gaddafi hofierende postfaschistische Radikaldemokraten von der FPÖ von verschiedenen Seiten an der Transformation des sowohl im linken wie im rechten Flügel der demokratischen Volksgemeinschaft latent vorhandenen Antisemitismus hin zu einem zur Tat schreitenden.
 

Gefühl statt Kritik

Die ISF und andere Kritiker und Kritikerinnen aus dem Spektrum der antideutschen und antinationalen Linken sahen sich Anfang der neunziger Jahre mit ihren Polemiken gegen den linken Antisemitismus noch einer wild um sich schlagenden Abwehrfront gegenüber. Inzwischen ist die Beschäftigung mit Antisemitismus in der Linken in weiteren Kreisen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Sie ist offenbar sogar dermaßen selbstverständlich, dass sie ohne großes Nachdenken auskommt. Das Buch "Wir sind die Guten" dokumentiert, wie die Kritik des Antisemitismus, die sich zunächst einen Begriff von ihrem Gegenstand zu machen hätte (was nicht mit der inzwischen in Teilen der Linken chic gewordenen pseudokritischen Attitüde zu verwechseln ist, anstatt von Antisemitismus von "Antisemitismen" zu sprechen), durch einen gefühlvollen Sumpf aus Befindlichkeit, Selbstmitleid und Verdruckstheit ersetzt werden kann. Dem Herausgeber und der Herausgeberin, die sich die radikale Linke zu einem an ein nationales Kollektiv erinnerndes "wir" konstruieren, scheint es nicht mehr um eine Überwindung des Antisemitismus zu gehen, sondern um ein besseres Auskommen mit ihm: "Unser Antisemitismus ist nicht schlimmer oder harmloser als der anderer gesellschaftlicher Gruppen, wir sollten uns mit unserem Antisemitismus jedoch besser auskennen." Einen anderen Satz in der Einleitung des Buches muss man erst dreimal lesen, bevor man glaubt, dass er wirklich dort steht. Es geht dem Herausgeber und der Herausgeberin darum, den "Antisemitismus in den eigenen Kreisen zu enttabuisieren". Und so berichtet dann auch der Beitrag von Willi Bischof von "Entdeckungen und Erfahrungen bei dem Versuch", eben jenen Tabubruch, für den ansonsten ganz andere Figuren zuständig sind, in die Tat umzusetzen. Mag sein, dass es sich hierbei nur um unglückliche Formulierungen handelt. Aber auch als solche verraten sie den Willen, sich über Antisemitismus bloß keinen ernsthaften Gedanken zu machen.
In den meisten Beiträgen des Bandes, der allein dadurch, dass sich in ihm beispielsweise auch ein halbwegs brauchbarer Text zur autonomen Antifa in der BRD findet, nicht besser wird, ist man mit persönlichem Geschwätz zu Antifaaktionen, mit privaten Details zur Kinderbetreuung in autonomen Zusammenhängen und allerlei anderem langweiligem Zeug konfrontiert, das zum Verständnis des Antisemitismus rein gar nichts beiträgt, aber eindrucksvoll das Elend der unter Autonomen nach wie vor so beliebten Politik in der 1. Person illustriert. So begrüßenswert es auch ist, dass sich Personen aus der autonomen Familie des Themas annehmen und versuchen, dadurch eine breitere Debatte anzuregen - das Ergebnis ist einfach ein schlechtes Buch. Der Verlag freut sich inzwischen über zahlreiche positive Rezensionen seiner Publikation. Offenbar bedient sie ein Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit linkem Antisemitismus, die eher auf eine Art alternative Vergangenheitsbewältigung inklusive Generationengespräch hinausläuft, anstatt dem Antisemitismus in der Linken mittels Ideologiekritik jegliche Grundlage zu entziehen.
Wie notwendig solch eine Ideologiekritik wäre, zeigen die gespreizten Äußerungen der Linken zur momentanen Lage in Israel. Gerade die neuerliche Eskalation des Konfliktes in Israel und die Reaktionen der Linken darauf haben gezeigt, dass die Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der Linken zwar einige der schlimmsten Auswüchse beispielsweise linker Volkstümelei oder Blut- und Boden-Romantik weitgehend zum Verschwinden hat bringen können, dass man aber dennoch keineswegs gewillt ist, Konsequenzen aus dem zumindest halb Erkannten zu ziehen. Dass man das Existenzrecht des Staates der Shoah-Überlebenden nicht in Frage stellen kann, haben die meisten Linken mittlerweile gelernt. In der Regel ist das Bekenntnis dazu aber ein reines Lippenbekenntnis, da allzu oft gleichzeitig aberwitzige Forderungen an die israelische Regierung gestellt werden, die, würden sie erfüllt werden, eben gerade die Existenz Israels gefährden würden.
 

Literatur:

Margit Reiter: Unter Antisemitismus-Verdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoah. Studien-Verlag, Innsbruck 2001, 515 Seiten, 84,- DM
Initiative Sozialistisches Forum: Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten. Über Israel und die linksdeutsche Ideologie. Va ira-Verlag, Freiburg 2000, 155 Seiten, 24,- DM
Willi Bischof/ Irit Neidhardt (Hg.): Wir sind die Guten. Antisemitismus in der radikalen Linken. Unrast-Verlag, Münster 2000, 188 Seiten, 26,80 DM

Stephan Grigat