Nicht objektiv, sondern parteilich

Interview mit dem Berliner Bündnis gegen IG Farben

Am Ende des, vor drei Monaten vom Berliner Bündnis gegen IG Farben organisierten Kongresses „Es geht um Israel“ stand neben den Ergebnissen der politischen Diskussionen um Antisemitismus, islamischen Faschismus und der Geschichte des „Nahost-Konflikts“ auch die Frage nach einer konkreten Solidarität mit Israel.

Um nachzuhaken, wo die Voraussetzungen und die Möglichkeiten einer expliziten Unterstützung Israels, über Gesten und Bekenntnisse hinaus, liegen könnten, befragte Phase 2 auf schriftlichem Wege das Bündnis – und erhoffte sich dadurch vor allem eine Präzisierung des auf dem Kongress formulierten Zieles.
 

Im Mai habt ihr in Berlin den Kongress „Es geht um Israel“ mitveranstaltet. Welche konkreten Erwartungen hattet Ihr mit diesem Kongress verbunden und wie schätzt Ihr ihn jetzt mit dem Abstand von drei Monaten ein?

Die Konferenz „Es geht um Israel“ hatte verschiedene Funktionen. Gerade vor dem Hintergrund der Terror-Intifada und dem antisemitisch motivierten Massaker vom 11.September entsetzten uns die, nicht selten vor der eigenen Haustür stattfindenden, verbalen wie physischen antijüdischen Handgreiflichkeiten. Wütend machte uns auch das Verhalten einer sich als antifaschistisch bezeichnenden Linken, die auf die zahlreichen antisemitischen Übergriffe in Europa nicht reagierte. Einer Linken, die nach zehn Jahren offensichtlichen Schweigens problemlos zu ihren antiamerikanischen und antizionistischen Wurzeln heimkehrte. Nicht einmal diejenigen, die nicht als selbsternanntes Sprachrohr des palästinensischen Volksaufstands fungierten, hielten es für angebracht zu handeln.
Vor dem Hintergrund unserer Kritik und dem Erleben der antisemitischen Mobilmachung war es uns ein Bedürfnis, diejenigen, die sich seit dem Beginn der so genannten Al-Aksa-Intifada anschickten, eine in Europa seit 1945 nicht da gewesene Pogromstimmung gegen Juden zu schüren, in Form einer politischen Manifestation zurückzudrängen.
Auf dem Kongress wollten wir, um es in den Worten unseres Aufrufs zu sagen, „die anti-israelische Politik Deutschlands und Europas kenntlich machen und zur Solidarität mit Israel aufrufen“. Dies v.a. vor dem Hintergrund der linken Debatten um die Anschläge vom 11.September, die der USA auch als Schutzmacht Israels galten und die in den Augen der Mörder eben auch die „Juden“ trafen.
Unsere Konferenz war in dieser Form ein Novum. Eine pro-israelische Konferenz gab es in Deutschland seit 1967 nicht mehr. Wir wollten über die Inhalte und Perspektiven der Kritik an der deutsch-europäischen Nahostpolitik und der Solidarität mit Israel diskutieren. Allen Beteiligten gemeinsam war die Solidarität mit dem militärischen und politischen Kampf Israels gegen die existentielle Bedrohung durch den weltweiten Antisemitismus.
Die Diskussion um die teils sehr kontroversen Standpunkte der Eingeladenen waren für alle, die es mit dem Antifaschismus noch halbwegs ernst meinen, ein großer Gewinn. Das kann man auch nach drei Monaten noch konstatieren.

 

Das mit dem Kongress verbundene Bemühen um eine Solidarität für den Staat Israel und seine jüdische Bevölkerung ist nicht losgelöst von der Entwicklung der radikalen Linken. Zum einen setzt es die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Kontinuitäten zum Nationalsozialismus in Deutschland fort, zum anderen steht es in einer längeren Tradition der Solidaritätskampagnen, die aus einer Beziehung zwischen den Verhältnissen in der BRD und anderswo eine Praxis entwickelt haben, die von den Entwicklungen außerhalb Deutschlands geprägt war. Versucht ihr jetzt eine Politikform der Antiimps für die antinationale/antideutsche Linke wiederzuentdecken?

Das Bewusstsein darüber, dass mögliche Aktionen und Kampagnen zu Israel, die sich vor allem auf die militärische Verteidigung Israels beziehen, als Teil linker Solidaritätskampagnen wahrgenommen werden, ist Teil unserer Auseinandersetzungen.
Es ist das Verhältnis zu den assoziierten Kampagnen, das unser Verhältnis zur Linken kennzeichnet. Dabei versuchen wir uns innerhalb der Dialektik von Kritik und Selbstkritik zu bewegen. Die Form einer möglichen Kampagne, die zur „bedingungslosen Solidarität“ mit Israel aufruft, tritt scheinbar unkritisch aus diesem Verhältnis hervor. Sie lässt sich zwangsläufig ein auf die Form des „Politik-Machens“, mit allen ihren unappetitlichen Nebenerscheinungen - was für die Linke immer nur bedeutete, die soziale Frage zu thematisieren, anstatt an deren Aufhebung mitzuarbeiten.
In dem Maße in dem es uns gelingt, uns von einer „politischen“ Israel-Solidarität zu distanzieren, die stets nur um Anschlussfähigkeit bemüht ist und die beherrscht ist von ihren Vorstellungen einer „israelischen Friedensbewegung“, in dem Maße werden wir uns lösen können von den negativen Implikationen einer so genannten „Kampagnenpolitik“. Das bedeutet gleichzeitig, sich nicht der Notwendigkeit der Intervention zu verweigern und Kritik und Aufklärung gegen die barbarische Vernunft der Antisemiten zu verteidigen. In diesem Sinne geht es uns um die Verteidigung „revolutionärer Gewalt“ und des antifaschistischen Kampfes. Für uns steht der Kampf Israels in der Tradition des Aufstands im Warschauer Getto. Es ist kein Klassenkampf, erst recht keine antiimperialistische Bewegung, sondern ein Kampf gegen den Faschismus. Als solcher ist er zu verteidigen. Denn er ist gleichzeitig der Kampf um die Grundlagen, die wirkliche Veränderung erst möglich machen.

 

Faktisch beschränkt sich die Solidarität mit Israel bisher auf Gesten und Bekenntnisse. Seht ihr gegenwärtig überhaupt die Notwendigkeit zu einer darüber hinausgehenden tatsächlichen Hilfe, oder teilt Ihr die Einschätzung, dass das Bestehen von Israel glücklicherweise nicht von der Linken in Deutschland abhängig ist, sondern von der strategischen Partnerschaft mit der USA und mit Abstrichen der EU?

Was in allen Euren Äußerungen mitschwingt, ist die Frage nach der praktischen Ausrichtung unserer Politik in Bezug auf Israel. Und das ist eine typisch „linke“ Frage, da es der Linken bei ihrem Protest gegen die bürgerliche Vergesellschaftung immer in erster Linie um ihre eigene Anschlussfähigkeit und um Massenkompatibilität geht. Klassische antifaschistische Politik, wie wir sie aus den neunziger Jahren kennen, ist nicht denkbar, wenn sie sich nicht auf Teile der liberalen Öffentlichkeit stützen kann, die ihre Anliegen, beispielsweise in Form von Gesetzesinitiativen oder Regierungsprogrammen, umsetzt. Anders ist die innere Einheit linker Initiativen und offizieller Politik nicht zu verstehen.
Das ganze Dilemma linker „Teilbereichsbewegungen“ ist das Mit-Machen wollen. Jede Form der politischen Kampagne birgt diese Gefahr. Sie wird anrüchig wo sie zur reinen „Praxis“ verkommt. Sie lässt sich damit ein auf eine verhängnisvolle Öffentlichkeit. Ihren Ausfall an Reflexion verrät sie da, wo sie Theorie und Praxis aufspaltet, dem Aktionismus frönt und gegen Nichtstuer und Renegaten stänkert.
Natürlich können wir keine „tatsächliche Hilfe“ leisten, auch wenn wir das wollen. Was uns bleibt ist die militante Ideologiekritik Im Bezug auf Israel wäre alles andere Augenwischerei. Deutschland, und mit ihm der Grossteil der deutschen Linken, befindet sich in einem Dauerzustand antisemitischer und antizionistischer Mobilmachung. Eine groß angelegte Solidaritätskampagne zu Israel muss demnach virtuell bleiben. Eine mögliche Aktion wird lediglich weitere Indizien für die schlichte Feststellung liefern, dass es um das Anliegen einer kommunistisch intendierten Israel-Solidarität schlecht steht. Was wir leisten können ist höchstens die Vermittlung der Einsicht, dass es sich bei der Verteidigung Israels um eine Grundbedingung emanzipativer Politik handelt.
Realpolitische Herangehensweise blitzt auch aus dem letzen Satz eurer Frage. Natürlich stellt die USA einen entscheidenden Garanten für den Fortbestand Israels als jüdischer Staat dar, aber, dass die EU ein Partner mit Abstrichen ist, das kann wohl nur als rhetorische Frage gewertet werden. Sie ist, wie allgemein bekannt, einer der wichtigsten Finanziers der palästinensischen Judenmörder. Und die Linke? Die Art Eurer Fragestellung suggeriert unsere Antwort: Man darf sich schon glücklich wähnen, wenn sie in dieser Frage nicht mehr Einfluss hat als sowieso schon.

 

Es war am Ende des Kongresses aber auch bei verschiedenen Nachfolgetreffen, die Rede von einer pro-israelischen Kampagne, die ihr initiieren wollt. Auch wenn sich bis jetzt die Kampagne noch nicht klar abzeichnet, möchten wir Euch über die grundsätzlichen Ziele solcher Aktionen befragen. Ist das Ziel, möglichst unmittelbar in die Konflikte im Nahen Osten einzugreifen, indem Sammlungen für die israelische Armee durchgeführt werden oder sollen Veranstaltungen und Informationsdienste zur Verbreitung der Sichtweise israelischer Institutionen organisiert werden, oder liegt das Hauptaugenmerk Eurer Pläne auf der Auseinandersetzung um die Rolle der EU bzw. Deutschlands und dem sich in diesem Zusammenhang offenbarenden Antisemitismus und Normalisierungsbestrebungen?

Ein Teil der Form unseres politisch Agierens kann – wie auf der Konferenz angekündigt - eine Spendensammlung für die israelischen Verteidigungskräfte sein. Wir sind dabei, genaueres zu erarbeiten. Die Frage nach dem Hauptaugenmerk auf „die Rolle der EU bzw. Deutschlands und dem sich in diesem Zusammenhang offenbarenden Antisemitismus“ beantwortet sich mit unserer generellen Kritik am organisierten Deutschtum.
Diese umfasst das Wissen darüber, dass die bürgerliche Gesellschaft ihre barbarische Aufhebung Kraft eigener Dynamik ausbrütet. Dennoch waren es die Deutschen, die Auschwitz möglich gemacht haben und die gleichzeitig die negative Aufhebung des Kapitals am kenntlichsten ins Werk setzten.
Kernpunkt negativer Gesellschafts- und Ideologiekritik heißt daher anzuerkennen, dass Aufklärung und Zivilisation die Möglichkeit für Individualität und Emanzipation erst geschaffen haben, in dem sie die Menschen aus der Herrschaft des ungeschiedenen Naturzusammenhangs gewaltsam herausrissen. Israel kämpft – unfreiwillig - genau um die Verteidigung der Bedingungen der negativen Kritik. Die Bedingungen einer Kritik, deren Vorstellung von Glück ohne Plackerei noch etwas anderes hervorruft, als den Wunsch nach der Vernichtung des schmarotzenden Müßiggängers. Einer Kritik, deren Gedanke an sexuelle Erfüllung nicht zwangsläufig in die Lust an der Steinigung von Ehebrecherinnen, Schwulen und sonstigen „verderbten Elementen“ umschlägt. Einer Kritik, in deren Vorstellung von Geld noch etwas von der Bestimmung als „Repräsentant des allgemeinen gesellschaftlichen Reichtums“ (Marx) bewahrt ist, statt der Verachtung des Reichtums als dekadenter Volksbetrug. Solange sie dies ermöglicht, sind ihr ihre eigenen Möglichkeiten noch nicht gänzlich abhanden gekommen. Solange also, wie Kritik noch in der Lage ist, auf der Erfüllung des Glücksversprechens zu beharren, solange werden Kritiker auch die „Zivilisation“ gegen ihre eigenen barbarischen Ergebnisse um ihrer Aufhebung willen verteidigen müssen.
In diesem Sinne ist unsere Kritik nicht objektiv sondern parteilich. Sie steht an der Seite Israels, dass sich in der härtesten Frontstellung im Kampf mit dem weltweiten völkischen Aufbegehren gegen Aufklärung und Zivilisation befindet. Der islamische Faschismus ist die aktuelle Form des „organisierten Deutschtums“. Im gleichen Maße, wie die Saat der antisemitischen Mobilisierung in den arabischen Ländern aufgeht, ist die Existenz Israels und seiner Bürger zunehmend bedroht. Die Faszination, die die palästinensische Krisenbewältigung dabei auf Deutschland und Europa ausübt, liegt in der Konsequenz, mit der die Palästinenser die auch hierzulande immer schon bevorzugte Option durchexerzieren: Als verfolgende Unschuld im hohen Auftrag der Gerechtigkeit und bereit zum Opfertod, zur Vernichtung zu schreiten. Diese Figur ist es, die dem Kern deutscher „Normalisierungsbestrebungen“ so irritierend ähnelt. So ist sie natürlich ein Hauptpunkt unserer Kritik.

 

Innerhalb der Linken in der BRD eine Solidaritätskampagne für Israel initiieren zu wollen, lässt nicht nur die Frage nach einer angemessenen Praxis entstehen, sondern muss auch die Verhältnisse hier reflektieren. Unbetritten dürft doch sein, dass der Anti-Antisemitismus zentraler Bestandteil einer solchen Kampagne sein wird. Schwieriger dürfte es aber werden, den deutschen SchreibtischstrategInnen - gerade auch innerhalb der Linken - zu verdeutlichen, dass Solidarität mit Israel kaum bedeuten kann, dem einen Teil der israelischen Gesellschaft den Einsatz militärischer Mittel vorzuwerfen oder dem anderen seinen Protest dagegen. Wie löst ihr für Euch den Anspruch einer Solidarität ein, die unabhängig von einer bestimmten Politik oder Regierung in Israel ist?

Ziel unserer Aktionen wird nicht sein, der Linken irgend etwas zu verdeutlichen. Die Linke steht heutzutage für nichts anderes mehr als die regressive Überwindung des Bestehenden. Für Opfer, Versagung und Verzicht, für die gerechte Verteilung von Armut und Dummheit im gegen seine Feinde, Israel und den USA, verschworenen Zwangskollektiv. Sie hat sich längst blind überantwortet an die diversen „revolutionären Subjekte“ ihrer Verschwörungstheorien. Einer solchen Linken haben wir nichts mitzuteilen.
Weil unser Verhältnis zu Israel vor allem ein Abstraktes ist, werden wir uns nicht leichtfertig am Rumpolitisieren beteiligen. Notgedrungen nur im Sinne eines Abwehrkampfes, der Israel noch vor den schrägsten Zumutungen seiner Kritiker verteidigen will.
Daher ist es uns wichtig, Euch entschieden zu widersprechen: Die Aufspaltung der israelischen Gesellschaft innerhalb einer Logik, hier die Kriegstreiber, hier die Friedensbewegung gibt es so nicht. Es sind nur wenige Israelis, die sich außerhalb ihres Landes vor den Karren der Globalisierungskritiker spannen lassen. Den meisten geht es in ihrer Kritik an dieser und jener aktuellen Form der israelischen Politik vor allem auch um die notwendige und militärische Verteidigung ihres Staates. Noch eine Niederlage können sich Juden und Jüdinnen nicht leisten. Vor diesem Hintergrund findet auch die israelische „Friedensbewegung“ statt, auf die sich die Linke so gerne stürzt.

 

Ein zweiter Konflikt, der sich leicht anhand einer solidarischen Haltung zu Israel eröffnet, entsteht, wenn die Kritik einer antiisraelischen und antisemitischen Politik mit dem üblichen Rassismus verknüpft wird. Die Stereotype von Zivilisation und Barbarei verdecken, stellen dem antisemitischen Bild vom „blutdürstigen Juden“ den rassistischen Code vom „seinem gewalttätigen Temperament ausgelieferten Araber“ entgegen. Wie wichtig ist es Euch, den gängigen Rassismus in der BRD innerhalb Eurer Solidarität mit Israel zu reflektieren?

Den gängigen Rassismus innerhalb der BRD zu reflektieren heißt vor allem, festzustellen, dass das von Euch befürchtete hantieren mit antiarabischen Ressentiments im Zusammenhang mit der Diskussion um Israel nahezu vollständig ausbleibt. Das ist erstaunlich, wenn man davon ausgeht, dass die Deutschen ohne weiteres auf diese Form rassistischer Zuschreibung zurückgreifen könnten. Auffällig waren dagegen die Aufrufe zur „Mäßigung“ und die Warnungen vor Überreaktion, als die USA militärisch auf den Massenmord an Tausenden ihrer Bürger reagierte. In dem Land, das den ersten Angriffskrieg in Europa nach ´45 durch ein seit dem Ende des 2.Weltkrieges beispiellose Hetzpropaganda gegen „die Serben“ vorbereitete und das an der Aufteilung Jugoslawiens in völkische Clanparzellen erfolgreich teilnahm, warnt man nun vor dem „Feindbild Islam“ und fordert einen „interkulturellen Dialog“.
„Antirassismus“ darf sich nicht im kulturalistischen Einverständnis erschöpfen. Er muss sich gegen die Zwangskollektivierung ganzer Gesellschaftssysteme wenden, ohne in ihnen immer nur „kulturelle Besonderheiten“ zu affirmieren. Der Rassismusvorwurf ist die Konsequenz eines verstellten Blicks auf die kollektive antisemitische Mobilmachung in den Ländern, die vor haben, Israel von der Landkarte zu tilgen.

 

Vielen Dank für das Gespräch



Phase 2 Leipzig