Nicht von mir, aber von einem Freund

1. Mai Berlin: Das Ende der Gewalt [aab] - Bürgerkriegsähnliche Zustände in Kreuzberg [ntv]

War das nun der Spott skrupelloser ChaotInnen ob der alljährlichen Straßenschlachten, den die [aab] da über hunderte verletzte PolizistInnen ausgoss, oder wurde hier die zur Versöhnung gereichte Hand von einem rasenden Innensenator mit dem Schlagstock ausgeschlagen? Und - wie konnte es soweit kommen?

Zunächst sollte die BetrachterIn ins Bild gesetzt werden. Mit dem oben genannten Motto und weiteren wohlgesetzten Worten rief die [aab] zur alljährlichen 1. Mai-Demo auf dem Kreuzberger Oranienplatz auf, sich zu versammeln und das Kapitalverhältnis in Gänze aufs Korn zu nehmen. Das Motto wurde wohl vom Berliner Innensenator E. Werthebach nicht so eindeutig genommen, wie es auch nicht gemeint war, und vorgeblich aufgrund der Auseinandersetzungen der letzten Jahre kurzerhand die Demonstration verboten. Dass die nach allgemein geteilter Meinung doch gerade von ihm und seinen Schergen angefangen wurden, verschwieg er geschickt. Die »Chaoten«, gar nicht faul, gingen erfolglos zu Gericht aber veranstalteten letztendlich doch noch eine Demonstration, wenn auch keine wie die letzten Jahre. Waren doch neben den vertrauten RevolutionärInnen plötzlich viele als Aufrufende versammelt, die am 1. Mai sonst als Teil des Problems und nicht der Lösung verstanden wurden, von der PDS bis zu den Jusos. Die dort noch herrschende Einigkeit, dass ein Demonstrationsverbot eines rechten Innensenators doch wohl mit der vereinten Kraft aller Links von ihm am besten beizukommen sei, teilten einige am Abend in Kreuzberg nicht, versuchten sich jenseits genehmigter Pfade zu versammeln... Das Ergebnis war, wie sollte es anders sein, dass die Polizei ihr Verbot auch durchsetzen wollte - wo kämen wir denn da hin - und die verbotenen DemonstrantInnen per Schlagstock mitten hinein ins von Grünen und der PDS organisierte Mariannenplatzfest trieb, wo sie dann aber trotz einem Dutzend Wasserwerfer zwei Stunden lang nicht mehr hinterherkam und sehen konnte, wo sie blieb. Im Gedächtnis wird wohl aber auch besagter Innensenator bleiben, der angesichts der darauf folgenden »schlimmsten Randale seit zehn Jahren« von allen wegen des unschönen Ergebnis seines Eskalationskonzeptes geprügelt, nur noch lamentieren mochte, dass jeder geworfene Stein das Verbot ja wohl - ganz sicher - begründe und er im gleichen Sinne fortzufahren gedenke.

Das muss er nun auch denken, will er doch die durch die - im Vergleich zu anderen Ländern - maßvollen Auseinandersetzungen provozierte Aufmerksamkeit in seinem Sinne zur Verschärfung des Demonstrationsrechtes nutzen. Zerknirscht bemerkt er, dass nicht - wie alle anderen Kommentatoren zu bedenken geben - das Verbot Ausfluss seines »Cäsarenwahns« und eskalierend sei, sondern die ihm zur Verfügung stehende Waffe des Versammlungsgesetzes noch viel zu stumpf. Wollte ihm sein Engagement gegen die Naziaufmärsche am Brandenburger Tor und die geplante Holocaust-Gedenkstätte niemand so richtig abnehmen, weil es zu offensichtlich um einen Vorwand zur Gesetzesverschärfung ging, jetzt wird er zumindest gefragt. So hat er das, was er vermutlich mit dem größten Polizeiaufgebot in der Berliner Nachkriegsgeschichte tatsächlich zu verhindern trachtete, letztendlich erst geschaffen, um sich der ungeteilten Aufmerksamkeit sicher zu sein.

Denn, wie schon im Aufruf zum Tage zu lesen war - Gewalt ist Spektakel. Nicht nur, weil sie aus der Realität bürgerlicher Langweile hervorsticht, sondern weil sie an uneingestandene Voraussetzungen der bürgerlichen Gesellschaft erinnert. Gerade weil Gewalt immer als Tat des Anderen wahrgenommen wird und die Thematisierung der eigenen Verstricktheit in Gewalt unterbleiben muss, um das zivilgesellschaftliche Selbst zu stabilisieren, wird Gewalt zum äußersten Reiz und Gegenstand des distanzierten bürgerlichen Interesses. So steht sie am Anfang des Spektakels 1. Mai, denn die diskursive Fokussierung auf Gewalt macht den Tag in Kreuzberg erst zu dem, was er ist - und an ihrem Ende, denn das Sinnieren über die erneute Sinn- und Ziellosigkeit der Gewalt am 1. Mai kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. An dem Phänomen jedoch, dass Worten Aufmerksamkeit geschenkt wird, wenn nur skandalöse Bilder dazu laufen, beteiligen sich alle, von den Revoluzzern bis zum Innensenator.

Will man sonst als Gegner all dieser Verhältnisse mehr als die unmittelbar Beteiligten erreichen, muss die Kritik schon an einem Gegenstand festgemacht werden, der in irgendeiner Weise anschlussfähig an den herrschenden Diskurs ist, muss eine Sauerei skandalisieren, das Bestehende verbessern, Alternativen aufzeigen wollen - kurz: Politik, die Kunst des Möglichen, betreiben. Bei aller Sympathie bleibt ein solches Tun nur die Suche nach alternativen politischen Formen zur besseren Verwaltung des Kapitalismus. All dieses konstruktive Mitmachen ist am 1. Mai nicht vonnöten. Gerade die Kritik am sinnlosen Ritual, dem all das nicht untergeschoben werden kann, geht knapp am Ziel vorbei, ist der 1. Mai doch »sinnentleert im besten Sinn«, ist eine Absage an Sinnstiftung für Volk und Nation, Arbeit und Kapital. Er kann weder ein Subjekt benennen, das nur noch zu sich kommen muss, noch einen Konflikt im Hier und Jetzt, an dem er ansetzen kann. Leider lässt sich nichts mehr Vorhandenes finden, das den Weg zum Reich der Freiheit weist. Der einzige haltbare Standort ist der der Standortlosigkeit, die destruktive Kritik, die am schlechten Dasein nichts verbessern will, und das einzige Anliegen das der Überwindung des Kapitals als gesellschaftliches Verhältnis. Das kann nicht auf Sympathie selbst beim geneigtesten Demokraten stoßen, denn mit bürgerlicher Vernunft ist es nicht zu begreifen und muss den Apologeten einer irrationalen Gesellschaft als unsinnig erscheinen. Politik lässt sich damit jedenfalls nicht betreiben.

Als wollte das Schicksal dem Autor ein Schnippchen schlagen, war der 1. Mai dieses Jahr sogar hochpolitisch, wenn auch anders, als es wohl die linken KritikerInnen seiner »Entpolitisierung« verstanden haben wollten. War er doch sogar parteipolitisch brisant, als es auf einmal die parlamentarische Opposition in Person von Angela Marquardt war, die sich hier dem Verbot der Demonstration entgegenstellte. Viele, die sich letztes Jahr noch, ganz unabhängig, die Repolitisierung des 1. Mai vorgenommen hatten, rieben sich die Augen ob der Geister, die sie gerufen hatten. Das Thema der stattgefundenen Demonstration, der Streit um die Möglichkeit einer legalen Opposition, war evident politisch. Was hier verhandelt wurde, war die Verwaltung der Demokratie, nicht ihre Überwindung. Deswegen hatte die Demonstration auch wenig mit dem 1. Mai zu tun, wie er sein soll: negativ, kritisch und damit revolutionär.

Zu hoffen bleibt, dass der lobenswerte Einsatz derer, die auf Demokratie und Bürgerrechte setzen und dafür ihren Kopf hinhielten, erfolgreich gewesen ist und sie sich selbst für den nächsten 1. Mai ü berflüssig gemacht haben. Auf dass er wieder werde, was er ist: Ein für die bürgerliche Rationalität unverständliches Unterfangen. Wie der Kommunismus.

Postpunk@krawalltourist.mil