Post-Marxismus

Zur Kritik der Politischen Ontologie

Vielleicht hat Terry Eagleton in einem Satz über Derridas Verhältnis zur Idee des Kommunismus auch bereits den Post-Marxismus auf den Punkt gebracht: »If Derrida was later to declare himself a communist, it was only in the sense that Kennedy called himself a Berliner.« Doch wie immer man zu ihm stehen mag: Der Post-Marxismus ist das Maß der gegenwärtigen Kapitalismuskritik – keine Auseinandersetzung um eine angemessene Gesellschaftskritik ohne Auseinandersetzung mit dem Post-Marxismus!

Allerdings ist »Post-Marxismus« bislang noch kein fest eingeführter und klar definierter Begriff. Schon in den achtziger Jahren wurden ganz unterschiedliche Kritiken als »post-marxistisch« bezeichnet, von Hannah Arendt und Theodor W. Adorno über Jürgen Habermas bis hin zu Robert Kurz. Im Folgenden ist mit dem Begriff allein diejenige Gesellschaftskritik gemeint, die sich im Zuge des langen Jahres 1968 am Ende der siebziger Jahre im Umfeld der französischen Philosophie des (Post-)Strukturalismus und der Dekonstruktion entwickelte (G. Deleuze, A. Negri, J. Derrida, G. Agamben, A. Badiou, A. Balibar, J.-L. Nancy, J. Rancière, F. Guattari, J. Laclau, Ch. Mouffe u.a.). Diese Zuschreibung ist allein schon darum sinnvoll, weil sie der Bedeutung der französischen Philosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerecht wird – auch und gerade für eine an Marx orientierte Gesellschaftskritik.

Demnach ist der Post-Marxismus aus einem der drei großen Stränge entstanden, die im Vor- und Umfeld des einschneidenden Jahres 1968 in Westeuropa zur Erneuerung der Gesellschaftskritik und speziell einer neuen Marx-Lektüre beigetragen haben. Diese drei Stränge sind, grob vereinfacht, 1. der italienische Operaismus, 2. die – zum Teil bereits durch die Kritische Theorie vorbereitete – sogenannte Phase der Rekonstruktion der Kritik der politischen Ökonomie in Deutschland und 3. die zunächst phänomenologisch-existenzialistische und dann strukturale Marx-Aneignung in Frankreich, aus der schließlich der Post-Marxismus hervorgegangen ist.Vgl. Frank Engster/Jan Hoff, Die Neue Marx-Lektüre im internationalen Kontext, in: Reihe Philosophische Gespräche 28, Helle Panke, Berlin 2012.  Der »französische Strang« hat zweifellos am stärksten international ausgestrahlt. Insbesondere in den angelsächsischen Raum, welcher für das Zusammenführen und die Weiterentwicklung aller drei genannten Stränge nicht nur aufgrund seiner notorisch pragmatischen Haltung produktiv war, sondern auch weil er sich aufgrund der vergleichsweise unspektakulären eigenen Marx-Diskussion um so mehr für diejenigen außerhalb interessiert hat.

Bevor ein Blick auf die Genese des Post-Marxismus geworfen wird, soll zunächst an einigen Merkmalen ausgewiesen werden, warum nach dem »traditionellen« und dem »westlichen Marxismus« überhaupt von einem »Post-Marxismus« gesprochen werden kann. Natürlich können sowohl diese Merkmale als auch der anschließende Blick auf die Genese allenfalls Hinweise geben und zur Orientierung beitragen; es kann weder eine echte Auseinandersetzung mit den verschiedenen Post-Marxismen noch eine wirklich verallgemeinerbare Bestimmung vorgenommen werden.

Merkmale

Zunächst steht das »Post-« für eine Gesellschaftskritik, die dem eigenen Selbstverständnis nach und ganz wie das »Post-« gemeinhin anzeigt mit Marx zugleich eine Gesellschaftskritik nach Marx sein will. »Nach Marx« heißt in diesem Fall weniger, dass nicht bruchlos an Marx, sondern eher, dass nicht bruchlos an die Erfahrungen und die Geschichte des Marxismus »nach Marx« angeschlossen werden kann.

Der Post-Marxismus hat zudem Eingang in eine feministische sowie in eine antirassistische, anti-kolonialistische und anti-imperialistische Gesellschaftskritik gefunden, die ebenfalls nicht unmittelbar an Marx und den Marxismus anschließen und die ihrerseits einen Bruch erfahren haben, vor allem durch den Einfluss von (Post-)Strukturalismus und Dekonstruktion. Der Bruch hat dazu geführt, dass diese Kritiken ebenfalls den Status eines »Post-« für sich haben und als »gender studies« und »queer-theory«, als »postcolonial« und »subaltern studies« fortgeführt werden; zudem haben sie für sich, dass sie für den akademischen Betrieb – ihre Namen deuten es an – akzeptabler geworden sind als ihre weniger akademisch ausgerichteten Vorgänger.

Entscheidend für das »Post-« ist indes, dass diese neueren Diskurse nicht oder zumindest nur noch teilweise in den Begriffen und Kategorien der Marx’schen Ökonomiekritik geführt werden. Sie zielen zwar wie Marx auf eine Kritik der Ökonomie, aber es geht statt um das Ökonomische der Ökonomie (Wert, Geld, Arbeit, Kapital) um eine Ökonomie der Struktur und der Grammatik, des Begehrens, des Wunsches und des Genießens, der Sprache und der Schrift, des Textes und der Zeichen, der symbolischen Ordnung und des Diskurses, und die Frage nach der kapitalistischen Produktionsweise ist gleichsam verschoben in die Frage nach der Produktion von Bedeutung. Das hat dazu geführt, dass der Grundzug, den die verschiedenen Kritiken des Kapitalismus im Anschluss an Marx trotz all ihrer Unterschiede geteilt haben, zwar fortgeführt wird, dass das Universelle und die Produktivkraft, in denen eine andere (sozialistische, kommunistische, emanzipierte) Gesellschaft gründen wird, einerseits bereits durch die kapitalistische Gesellschaft entwickelt werden und in ihr sogar schon vorbereitet und gleichsam vorenthalten und angelegt ist, andererseits durch dieselbe Gesellschaft aber – je nach Ausrichtung der Kritik – geleugnet und unterdrückt, ausgebeutet und privatisiert, vereinzelt, blockiert, entfremdet, verdinglicht usw. werden. Aber in der post-marxistischen Fortführung werden das Universelle und die Produktivkraft sowie der widersprüchliche Status, der ihnen innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse zukommt, nicht mehr in demselben Sinne »vergesellschaftet«, wie Marx das durch seine Kritik der politischen Ökonomie vorgenommen hat. Stattdessen hat im Rückgriff auf Nietzsche, Heidegger und Freud sowie im Anschluss an Lacan und Foucault die angedeutete Verschiebung weg vom Ökonomischen der Ökonomie hin zu einer Ökonomie der Struktur und der Zeichen, der Subjektivität und der Produktion von Bedeutung stattgefunden. Das Ökonomische wird dadurch eher als Macht gefasst, als Macht, eine Struktur zu reproduzieren und bestimmte Wirkungen und Effekte zu zeitigen, mithin Bedeutung zu produzieren und zu kommunizieren, zu zirkulieren und zu verschieben.

Wir müssen zusätzlich zu den bereits genannten aber noch einen weiteren Philosophen, der für den Status des »Post-« wichtig ist, ins Spiel bringen, und der führt bezeichnenderweise vor Marx zurück. Gemeinhin wurde nämlich im Marxismus eine gerade, aufsteigende Linie von der Aufklärung über den deutschen Idealismus bis zu seinem »Höhe- und Wendepunkt« gezogen, Hegels Philosophie des »Geistes«, die dann durch Marx materialistisch vom Kopf auf die Füße gestellt worden sei. Diese Linie wurde mit einer Art Gegen-Hegel durchbrochen, nämlich mit Baruch de Spinoza. Der Rückgriff auf Spinoza soll einerseits die Marx’schen Texte öffnen und sie einer hegelianisierenden Lesart entziehen, um andererseits die Logik und die Immanenz des (gesellschaftlichen) Seins auf eine andere als hegelianisch-dialektische Lesart zu erschließen. Der Rückgriff auf Spinozas Philosophie trägt allein schon aufgrund ihres vorbürgerlichen und vorkapitalistischen Status dazu bei, Fragen der politischen Ökonomie eben als Fragen einer radikalen Ethik, einer Ontologie oder einer politischen Theologie zu behandeln.

Dieses Bedürfnis nach einer nicht- oder sogar anti-hegelianischen Marx-Lektüre ist für die Genese des Post-Marxismus entscheidend. Um zu verstehen, wo er seine Ausgangspunkte genommen hat, müssen wir uns nämlich den (post-)strukturalen, dekonstruktiven, existenzialen und biopolitischen Lesarten zuwenden, wobei unter dem unscheinbaren Begriff »Lesarten« eher Methoden der Kritik zu verstehen sind. Methoden, die sich von klassischen Verfahren (immanente Kritik, sozial-wissenschaftliche Analyse, Hermeneutik etc.) unterscheiden und auch dadurch ein »Post-« geltend machen. Die verschiedenen Lesarten werden schließlich zu einem Begriff führen, der für alle Lesarten zentral ist und an dem sich der »post-marxistische turn« geradezu festmachen lässt, nämlich zum Begriff der Differenz.

Lesarten

Bereits Louis Althusser, obwohl noch den Begriffen und Kategorien der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie verpflichtet, war für die Entwicklung eines Post-Marxismus wegweisend durch einen »Terrainwechsel«Louis Althusser/Étienne Balibar, Das Kapital lesen, Einleitung (vorauss. Münster 2014). und eine auf die Produktion von Bedeutung zielende Marx-Lektüre. Sie hängt im buchstäblichen Sinne an einer bestimmten Lesart, denn seine strukturale Lesart geht von der Verlegenheit aus, dass die kapitalistische Ökonomie durch einen Text formuliert und ausgesagt werden muss – sei es auf theoretische, wissenschaftliche oder philosophische Weise – und nicht anders denn als Text expliziert werden kann. Althussers Lesart begegnet der Verlegenheit, indem sie sich als eine »symptomatische Lesart« versteht, die in Marx’ Texten über die kapitalistische Ökonomie das lesbar machen will, was zwar für die Struktur der kapitalistischen Ökonomie bestimmend ist, aber im Text einer Theorie, einer Wissenschaft oder einer Philosophie gerade nicht als solches präsent und vollständig durchsichtig ist (wie das Althusser zufolge die religiöse Tradition und auch noch Hegel für seine Philosophie beanspruchen). Die Pointe der strukturalen Lesart ist also, genau das lesbar zu machen, was für die Ökonomie das Bezeichnende ist, aber ohne in den Blick zu kommen, sodass es in der wissenschaftlichen  Verarbeitung  und  theoretischen Explikation – symptomatischerweise – nur in »notwendiger  Abwesenheit […] präsent« ist.Zur symptomatischen (auch symptomalen oder symptomatologisch genannten) Lesart des Strukturalismus vgl. Althusser/Balibar, Das Kapital lesen, bes. die Einführung (Zitat ebd.). Wie sehr schon hier das »Subjektive ohne Subjekt« gedacht wurde, hat Badiou in einem gleichnamigen Kapitel gezeigt, in: Alain Badiou, Über Metapolitik, Zürich/Berlin 2003, 71–79. Eine rückblickende Einschätzung gibt Étienne Balibar, Für Althusser, Mainz 1994.

Hing Althussers strukturale, symptomatologische Lesart der Marx’schen Texte noch an einem »wissenden Blick«, der die Texte auf das nur implizit Ausgesagte und Aussagbare hin lesen will, so unterscheidet Derridas dekonstruktive Lesart nicht mehr in derselben Weise wie Althusser zwischen der Textualität einer Struktur, etwa der Ökonomie, und ihrer im buchstäblichen Text explizierten theoretischen, wissenschaftlichen oder philosophischen Darstellung: Auch wenn nicht alles Text ist, so muss doch alles wie ein Text gelesen werden. In diesem Lesen will Derrida zudem weder von einem wissenden Blick ausgehen noch nach einem irgendwie besseren oder höheren Wissen suchen. Stattdessen gilt es dem Unbewussten und Uneindeutigen, dem Unabschließbaren und Unverfügbaren unmittelbar in der Sprache selbst auf die Spur zu kommen sowie einem unverfügbaren Materialismus der Schrift und einer Selbstständigkeit der Zeichen. »Auf die Spur kommen« ist wörtlich zu nehmen, denn auch die Dekonstruktion will, ähnlich wie die strukturale Lesart in den symptomatischen Leerstellen, das (auf-)lesen, was durch Abwesenheit Präsenz erlangt und nur indirekt anwesend ist – eben wie beim Lesen einer Spur oder einer Fährte, wo nur noch Abdrücke sichtbar sind. Dadurch drückt auch Derrida zufolge jede Schrift und Textualität Bedeutung weder eindeutig noch endgültig aus. Doch statt nun wie Althusser nach der Bedeutung der »Leerstellen« und des Symptomatischen im Text zu suchen (und nach ihrer Bedeutung für die darin erschlossene kapitalistische Ökonomie), kreist Derridas Dekonstruktion um die produktive Kraft des Vielfachen und Unausschöpfbaren jeder Bedeutung sowie, vor allem, um die Temporalisierung von Bedeutung durch die Markierung einer différance. (Wie in der Wortschöpfung selbst, die durch das »a« statt dem korrekten »e« eine Differenz markiert, die nur im Schriftbild eine Spur hinterlässt und lesbar wird, gesprochen aber nicht hörbar ist.Zur différance vgl. Jacques Derrida, Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a.M. 1972.  Der Materialismus dieser unverfügbaren Markierung einer différance ist der Dekonstruktion bezeichnenderweise das gleichsam Nicht-Dekonstruierbare).

Auch Marx wurde von Derrida einer dekonstruktiven Lesart unterzogen, vor allem in seinem Buch Marx’ Gespenster, wo er an die Stelle des Differenten den Begriff des »Gespenstigen« setzt.Jacques Derrida, Marx’ Gespenster. Der unverschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale, Frankfurt a.M. 1995. Zur Diskussion vgl. Michael Sprinkler (Hrsg.), Ghostly Demarcations. A Symposium on Jacques Derrida’s ›Specters of Marx‹, London 1999 sowie Derridas Antwort, ders., Marx & Sons, Frankfurt a.M. 2004.  Das Gespenstige, das sei für Marx bekanntlich der in Europa »umgehende Kommunismus« gewesen,»Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus«, Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Marx-Engels-Werke (MEW) 4, 461.  aber auch ein bestimmtes idealistisches Erbe, des Weiteren das Tückische und Fetischistische der kapitalistischen Ökonomie sowie eine unvollendete und unabgegoltene (Vor-)Geschichte der Menschheit. Für Derrida wiederum ist das Gespenstige dasjenige Erbe, das Marx aufgegeben hat, und dann noch einmal das Trauma, welches das Scheitern des Sozialismus hinterließ. Das Gespenstige ist aber auch ganz allgemein das, was an- und abwesend zugleich ist, das, was immer wiederkehrt oder ständig im Kommen ist, ohne je vollkommen präsent zu sein, ohne sich endgültig zu erfüllen oder zu erledigen. Das Gespenstige ist, soweit es sich überhaupt positiv bestimmen lässt, die »unendliche Gerechtigkeit«, das »gute Leben«, die »radikale Demokratie« (Derrida).

Marx allerdings habe, so Derrida, die Gespenster seiner Zeit austreiben wollen und auf eine sich selbst transparente Gesellschaft gezielt; es komme aber darauf an, zu lernen mit dem Gespenstigen umzugehen und eher mit ihm als gegen es zu der Gesellschaft zu gelangen, die »im Kommen ist« (Derrida). Die Betonung ist auf jedes einzelne Wort zu legen: »im« – »Kommen« – »ist«, denn Derrida hat in Marx’ Gespenster für die Erwartung einer anderen Gesellschaft einen dekonstruktiven Umgang gefunden, der sich radikal von den logischen und geschichtlichen Begründungsversuchen des Marxismus nach Marx löst und doch zu Marx zurückkehrt: Derrida will das Messianische der Marx’schen Kapitalismuskritik beerben. Die Dekonstruktion treibt keine Suche nach der Folgerichtigkeit logischer oder historischer Entwicklung um, auch keine Trauer um eine verpasste historische Chance oder, wie etwa die Kritische Theorie, die Hoffnung auf einen nicht-aufgehenden Rest oder dass ein uneingelöstes Versprechen doch noch verwirklicht werde – aber in gewisser Weise wird all das in ein avenir (Derrida) gewendet, in ein noch unbestimmtes Zu-Kommendes. Die andere Gesellschaft wird nicht nur gegen die Logik der bestehenden Gesellschaft und deren geschichtliche Entwicklung kommen müssen, sie wird auch gegen die eigene Begründbarkeit eintreten müssen – die andere Gesellschaft ist schon jetzt im Kommen und wird doch gegen alle Erwartungen eingetreten sein.Derrida deutet in seinen Schriften immer wieder die Notwendigkeit einer »anderen Logik« an, vgl. Jacques Derrida, Marx’ Gespenster, bes. Kapitel 5, 199–276 und ders, Chora, in: ders., Über den Namen. Drei Essays, Wien 2000, 125.  Folgerichtig kann es nur mehr darum gehen, Bedingungen zu schaffen, dass ein solches Ereignis eintreten kann, und d.h. vor allem, sich ihm gegenüber »bejahend« und »gastfreundlich« (Derrida) zu zeigen.Derrida, Marx’ Gespenster, 264f. Allgemein zum Begriff der Gastfreundschaft und seinen (heutigen) politischen Implikationen vgl. Jacques Derrida, Von der Gastfreundschaft, Wien 2001; ders., Die Einsprachigkeit des Anderen, München 2003.

Auch Alain Badiou geht bei der Suche nach einer anderen Gesellschaft von einer vergleichbaren Abkehr von objektiver oder geschichtlicher Notwendigkeit, wie sie für den traditionellen Marxismus gemeinhin leitend waren, aus. Er kehrt sich aber auch von derjenigen Abkehr ab, die bereits der westliche Marxismus vollzogen hat, besonders konsequent die Kritische Theorie durch ihre Negativität und ihren Pessimismus. Die doppelte Abkehr lässt sich an der Hinwendung zum Begriff des Singulären und der Differenz, des Bruchs und des Namens, der Situation und der Entscheidung und ähnlich gelagerter Begriffe festmachen. Sie kommen zusammen im Begriff »Ereignis«.Zum Begriff des Ereignisses vgl. Alain Badiou, Das Sein und das Ereignis, Zürich/Berlin 2005; zur Verbindung von Universalismus und Singularität vgl. ders., Paulus. Die Begründung des Universalismus, Zürich/Berlin 2002; zum Politischen des Ereignisses ders., Über Metapolitik, Zürich/Berlin 2003; ders., Ethik, Wien 2003; ders., Dritter Entwurf eines Manifestes für den Affirmationismus, Berlin 2007 sowie ders., Wittgensteins Antiphilosophie, Berlin 2008. Zur Auseinandersetzung Žižeks mit Badious Begriff des Ereignisses vgl. Slavoj Žižek, Die Tücke des Subjekts, Frankfurt a.M. 2001, Teil II, 171–333, und ders., Auf verlorenem Posten, Frankfurt a.M. 2009, 181–226.  Anders als Derrida nimmt Badiou aber keine erwartende oder abwartende, sondern eine radikal-ethische, geradezu existenziale Haltung gegenüber dem Ereignis ein, das zudem explizit mit der Kraft des Universellen und sogar mit der Wahrheit verbunden wird.Es ließen sich weitere Autoren einer an Marx orientierten Gesellschaftskritik anfügen, die ebenfalls, wenn auch weniger existenzial und »ereignishaft«, um das Verhältnis von Universellem und Partikularem/Singulärem kreisen. So hat etwa Ernesto Laclau die (vorläufige) Besetzung einer abwesenden, leeren Universalität durch eine antagonistische Partikularität thematisiert, vgl. Ernesto Laclau, Politik und Ideologie im Kapitalismus. Kapitalismus, Faschismus-Populismus, Berlin 1981, und ders., Emanzipation und Differenz, Wien 2002, sowie Laclau/Mouffe/Hintz/Vorwallner (Hrsg.): Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien 1998.

Diese Verbindung entwickelt Badiou im Begriff der »Wahrheitsprozedur« und des »Wahrheitsereignisses«, das auch als revolutionäres, jedoch nicht allein als politisches Ereignis verstanden werden kann. Das Politische ist vielmehr nur einer von insgesamt vier Bereichen oder Regional-Ontologien, in denen sich ein Ereignis ereignen kann: Politik, Kunst, Liebe und Wissenschaft/Mathematik (die Ökonomie, unter der Badiou so etwas wie Wirtschaft ähnlich dem reduzierten Ökonomiebegriff der Volkswirtschaftslehre versteht, ist bezeichnenderweise eines solchen Ereignisses nicht würdig). Ausgangspunkt der Begründung eines Ereignisses ist, auf geradezu existenziale Weise vom Ereignis selbst her zu denken, d.h. es geht darum, auf welche Weise das Singulär-Universelle des Ereignisses, und mit ihm nichts weniger als die Wahrheit, sich im Wortsinn zu denken gibt und wie es im Ereignen dafür sorgt, sich selber angemessen zu sein.Dass sich das singuläre Universelle »zu denken gibt«, ist im unmittelbarsten Sinne zu verstehen: im Bezug auf das Denken als Politik (denn Politik ist für Badiou das Reale des unmittelbar öffentlichen Denkens aller), vgl. Badiou, Über Metapolitik, 72.  Nur im Bruch und nur als singuläres Ereignis kann das Universelle sich eine Situation eröffnen, in die es eintreten wird durch den nachträglichen Prozess seiner Einschreibung in diejenige neue Ordnung, die es durch genau dieses Einschreiben mit sich bringt und zugleich begründet, kurz – ereignet. Einerseits wird sich somit das Ereignis erst ereignen durch den nachträglichen Prozess seiner Einschreibung in die neue, universelle Ordnung; andererseits aber wird es dann eingetreten sein im Überschreiten eben der Verhältnisse, aus denen es hervorgegangen ist, und so wird es das Unerwartete, Unvorhersehbare und Überschießende gewesen sein. Mehr noch, es wird sich auch im Nachhinein aus keinen zureichenden Bedingungen ableiten oder rekonstruieren lassen – weniger darum, weil das Ereignis im radikalen Bruch mit dem Vorherigen wie eine axiomatische Setzung eintritt (insofern ist ein Ereignis ein ebenso vernünftiger wie gewaltsamer Akt), sondern vor allem, weil es diejenige »Treue zum Ereignis« (Badiou) verlangt, die aus dem Vorherigen gerade nicht zu begründen sein wird und die überhaupt aus empirischen Bedingungen nicht zureichend zu begründen ist (insofern ist das Ereignis ein radikal subjektiv-existenzialer Akt).Zur Kritik an Badious Idee des Kommunismus vgl. Frank Engster, Die Idee des Kommunismus, in: Phase 2.32 (2009), 40–42.  Das Ereignis einer solch unmittelbaren, existenzialen Verbindung von Universalismus und Subjektivität wird nicht nur nicht auf die Logik empirischer Bedingungen, auf geschichtliche Entwicklungen oder Kräfteverhältnisse zurückgeführt, sondern, unter anderem im Rückgriff auf Kant und Platon, mit der Strenge eines mathematischen Terms formuliert. Denn für Badiou ist es die Mathematik, die das Sein als Sein aussagt und das Feld dessen definiert, was möglich ist – während das Ereignis gerade dadurch Ereignis ist, dass es eine ganz neue Bestimmung dessen setzt, was möglich ist (hier ist die im Titel angekündigte Ontologisierung der Gesellschaftskritik vielleicht am radikalsten durchgeführt).

Es bietet sich an, an Badious Verbindung von Universalismus und Wahrheit kurz Slavoj Žižek anzuschließen. Versucht man, auch bei ihm das »Post-« am Umgang mit dem Universellen festzumachen, so zielt Žižek auf das Paradox, dass dieselbe Gesellschaft, die universell konstituiert wird, das Universelle so negiert, dass es gerade durch seine Leugnung und durch seine Verdrängung »positiv« in der Gesellschaft wiederkehrt, aber auf symptomatische und verschobene Weise, insbesondere im Imaginären und Ideologischen, etwa in der Religion oder im Antisemitismus und Rassismus.Laut Žižek hat Lacan als erster darauf hingewiesen, dass Marx der eigentliche Entdecker des Symptoms gewesen sei; vgl. Slavoj Žižek, The Sublime Object of Ideology, London 1989, 11–53.  Auf diese Weise ist das Universelle weder als das Abwesende anwesend, noch bleibt es rein negativ, noch ist es ein uneingelöstes Versprechen, noch ist es allein im Kommen. Stattdessen befindet sich das Universelle gleichsam in einer Differenz zu sich selbst, indem die Leugnung und Verdrängung das Universelle beständig durch bestimmte Symptome ebenso verschiebt wie wiederkehren lässt, ohne dass es je als solches präsent wäre.

Der strukturalen (Althusser) und der dekonstruktiven (Derrida) Lesart sowie Badious existenzialer Auslegung des Ereignisses lässt sich noch eine weitere Lesart dem Post-Marxismus zuordnen, nämlich die biopolitische. Die biopolitische Marx-Lesart entwickelte sich vor allem aus dem Operaismus, der im Zuge einer Abgrenzung vom traditionellen Marxismus eine Unterscheidung im Marx‘schen Werk betonte und dem Ökonomismus, Objektivismus und Funktionalismus des traditionellen Marxismus eine »politisierte« und »subjektivierte« Lesart der ökonomischen Kategorien entgegensetzte. So macht Antonio Negri einen Unterschied zwischen dem Kapital einerseits, wo der »ökonomische Marx« die Hegel’sche Dialektik eher affirmativ angewendet denn einer Kritik unterzogen habe und zu einer wissenschaftlich objektivierten Darstellungsweise gelangt sei, und den Grundrissen andererseits, die den politischen und revolutionären Marx ausmachen würden.Antonio Negri, Marx oltre Marx, Rom 1998, bes. 15ff.  Die Unterscheidung ist für den Post-Operaismus bezeichnend und geradezu einer seiner Ausgangspunkte geworden, insbesondere dafür das Ökonomische (Wert, Verwertung und Ausbeutung etc.) nicht kategorial-systematisch, sondern im Anschluss an Foucault machttheoretisch zu lesen. In dieser Lesart geht es in Marx’ Kritik der politischen Ökonomie um das »Kommando des Kapitals über die Arbeit«, um »Territorialisierungen« und »Blockierungen« der Produktivkraft, um »Kräfteverhältnisse« und »Klassenzusammensetzungen«, um die »konstituierende Macht der Menge« etc.

Es deutet sich bereits an, dass in den verschiedenen Lesarten bei all ihren Unterschieden jeweils eine Differenz eine entscheidende Rolle spielt, zum einen in geschichtlicher Hinsicht, indem an die Marx-Lesarten des traditionellen und des westlichen Marxismus nicht ohne Bruch angeschlossen wird (diese Differenz soll ja das »Post-« markieren), zum anderen aber auch in systematischer Hinsicht, wo der Differenz eine entscheidende Stellung für die Logik der Darstellung sowie für das Dargestellte selbst zukommt. Sie steht einerseits für die Abkehr von den großen Systematisierungen, mit denen das Universelle und das Produktiv-Schöpferische im deutschen Idealismus gefasst und dann einer »Vergesellschaftung« durch Marx unterzogen wurden, und andererseits für eine Hinwendung zum Abweichenden und zur Alterität, zum Unbewussten, Uneindeutigen und Hybriden, zur Diversität, zum Nicht-Aufgehenden und Differenten etc. Vereinfacht gesagt hat die Differenz die zentralen Begriffe Vermittlung, Widerspruch und Einheit abgelöst, die im traditionellen und westlichen Marxismus im Anschluss an Hegels Dialektik die Einheit der dargestellten Gesellschaft und letztlich auch die Logik ihrer Darstellung begründen sollten. Allerdings kommt der Differenz ein besonderer Status zu, denn es geht um eine unverfügbare und jeder Differenzierung im Sinne einer Unterscheidung zwischen Bestimmungen entzogene oder vorgängige Differenz, um eine Differenz, wie sie zuerst in der »ontologischen Differenz« Martin Heideggers zwischen Seiendem und Sein thematisiert wurde.Thematisch bereits im Hauptwerk »Sein und Zeit«, vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, Gesamtausgabe, Bd. 2, 7ff.; explizit aber vor allem in ders., Identität und Differenz, Pfullingen 1957.  Die Rolle einer solchen Differenz soll zum Abschluss für drei Bereiche kurz ausgewiesen werden: Subjektivität, Politik und Ökonomie.

Vermittlung qua Differenz

Das Problem der Subjektivität hatte schon den westlichen Marxismus und die Kritische Theorie umgetrieben, denn bereits sie kreisten im Fall der Subjektivität um eine Differenz im Sinne einer Lücke oder Leerstelle. Das Problem war nämlich, dass die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft weder auf logisch-systematische Weise noch im Sinne einer geschichtlichen Entwicklung oder Notwendigkeit kohärent begründet werden kann, sodass es kein Subjekt gibt, das sich auf solche objektive Bedingungen berufen könnte – die Leerstelle ist mithin das fehlende revolutionäre Subjekt. An diesem Verhältnis von Objektivität und Subjektivität lässt sich die eigentümliche Stellung und der eigentümliche Status festmachen, der im Post-Marxismus nicht nur dem fehlenden revolutionären Subjekt, sondern dem Subjekt schlechthin zukommt. Es ist geradezu eines der Kennzeichen des »Poma« (Post-Marxismus), das Subjekt so zu dezentrieren und zu dekonstruieren, dass es von einer unverfügbaren, uneinholbaren und unbegreifbaren Differenz nicht nur zur Objektivität, sondern auch zu sich selbst ausgehen muss und gehalten ist, die klassische Gegenständlichkeit von Subjekt und Objekt und ihre durch Vermittlung begründete Identität neu und anders denken zu müssen.

Dafür wird in Abkehr von den Formen subjektiver Selbstpräsenz, wie sie von den großen philosophischen Systemen und von der Wissenschaft, aber auch vom Alltagsverstand in Anspruch genommen werden, die Stellung des Subjekts einer Kritik unterzogen, die es schlechthin prekär werden lässt: Der Versuch der Repräsentation der Objektivität durch ein dadurch sich selbst einholendes und vergewisserndes Subjekt muss prekär bleiben, weil das Subjekt sich selbst einerseits entscheidend in die identifizierte und repräsentierte Objektivität einbringt und dadurch andererseits auf eine performative Weise zum Subjekt allererst wird und sich von der Wirkung der Objektivität einer subjektivierenden Struktur her denken muss – aber ohne diese subjektivierende Wirkung auf einer höheren Ordnung, gleichsam noch einmal, reflektieren oder schlicht als individuelle Freiheit des Subjekts einholen zu können. Im Gegenteil, das Subjekt muss sich, will es hinter das Geheimnis seiner selbst kommen, von der Struktur einer Subjektivierung her denken, die mit einer ver-schiebenden und auf-schiebenden Wirkung einhergeht, ohne dass sich das noch auf eine einheitliche und übergreifende, vernünftige oder zumindest sinnvolle (geschichtliche) Bewegung oder gar auf eine überindividuelle Subjektivität zurückführen ließe (wie das von dieser Seite einer in der Tradition von Hegel stehenden Philosophie unterstellt wird).

Die Differenz spielt auch eine entscheidende Rolle im Bereich des Politischen. Bezeichnenderweise geht es hier aber nicht um das Verhältnis der Politik zur Ökonomie, wie das – ob nun im Anschluss an Marx oder im Bruch mit ihm – nahe läge. Politik sind hier nicht diejenigen Formen, die mit dem Ökonomischen schlicht umgehen und es bewältigen müssen, und die relative Autonomie des Politischen ist nicht die andere Seite der Unverfügbarkeit des Ökonomischen. Statt auf die Differenz zu zielen, die entsteht, indem für die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft eine Trennung in Ökonomie und Politik konstitutiv ist, eine Trennung, in der beide aufeinander verwiesen sind, ohne jedoch auseinander ableitbar oder aufeinander reduzierbar zu sein, sodass ihr Verhältnis nur »parallaktisch« (Žižek)Vgl. Slavoj Žižek, Parallaxe, Frankfurt a.M. 2006.  angemessen in den Blick kommt und notwendigerweise eine Unschärfe bildet – statt auf eine solche Differenz zwischen Ökonomie und Politik zu zielen, wird eine Differenz innerhalb der Politik eröffnet, nämlich zwischen »Politik« und »dem Politischen«.

Die Unterscheidung wird durch die Kritik einer Repräsentation eröffnet, die aufseiten der Politik verortet wird, und zwar so, dass nicht nur das Repräsentierte davon geschieden wird, sondern auch das Nicht-Repräsentierbare. Dieses Nicht-Repräsentierbare wird als das Universelle, Gemeinsame, Öffentliche etc. unter dem Term »das Politische« gefasst – doch statt das Politische nun als durch die Repräsentation erst Hervorgebrachtes derselben Kritik zu unterziehen wie die Politik, wird es geradezu emphatisch gegen die Politik in Stellung gebracht.Vgl. ausführlich Oliver Marchart, Die politische Differenz, Frankfurt a.M. 2010.  Aktuelles Beispiel ist Miguel Abensours Demokratie gegen den Staat,Miguel Abensour, Demokratie gegen den Staat. Marx und das machiavellische Moment, Frankfurt a.M. 2012; vgl. dazu auch die treffende Kritik von Hendrik Wallat, www.rote-ruhr-uni.com/cms/+-Hendrik-Wallat-+.html.  das eine solche Gegenüberstellung bereits im Titel auf den Punkt bringt.Das Buch zeigt zudem noch einmal beispielhaft die mittlerweile vielfach gebrauchte Technik, eine verborgene oder abgebrochene, revolutionär-wilde Seite des frühen Marx vom späten Marx der Ökonomiekritik zu unterscheiden. Die Unterscheidung in einen frühen und einen späten Marx ist zwar bereits durch Althussers »epistemologischen Bruch« wirkungsmächtig geworden, Althusser wollte aber in geradezu umgekehrter Perspektive das Marx’sche Frühwerk als noch historistisch, humanistisch und empirisch fundierte Gesellschaftskritik von der streng wissenschaftlichen Revolution unterscheiden, für die seiner Ansicht nach das ökonomiekritische Spätwerk steht.

Diese Unterscheidung hat neben der bereits angesprochenen Ontologisierung zu einer regelrechten Emphase und Hypostase des Politischen geführt. Sie entstehen jedoch nicht, weil das Ökonomische einfach übergangen würde, sondern weil es im Gegenteil einer Politisierung und Subjektivierung unterzogen wird. Das betrifft den dritten Bereich, der nach dem Subjekt und der Politik betrachtet werden soll: die Ökonomie. Im Gegensatz zu den anderen Bereichen steht hier weniger eine Differenz im Mittelpunkt, als dass eine entscheidende Differenz übergangen wird. Es wird diejenige kritische Unterscheidung übergangen, die mit Marx getroffen werden kann zwischen dem Zusammenhang der kapitalistischen Ökonomie auf der kategorial-systematischen Ebene einerseits und auf der empirischen Ebene des Arbeits- und Produktionsprozesses, der konkreten Kämpfe, der Klassenzusammensetzung und der Kräfte- und Machtverhältnisse etc. andererseits. Am schlagendsten tritt dieser eher soziologische Umgang in der biopolitischen Lesart der Marx’schen Ökonomiekritik hervor. In ihr werden etwa das Universelle und die produktive Kraft nicht, wie bei Marx, auf die vermittelnden Kategorien und Formen der kapitalistischen Ökonomie zurückgeführt (Waren-, Geld- und Kapitalform) und auf die Konstitution eines rein gesellschaftlichen Verhältnisses (abstrakte Arbeit / Wert). Vielmehr verortete bereits der Operaismus das Universelle und das Produktive mit dem sog. Maschinenfragment der Marx’schen Grundrisse im »general intellect« und der Post-Operaismus dann in der »konstituierenden Kraft« und im Wissen der »Multitude« und ihren Formen der Kommunikation und der immateriellen Arbeit. Im Zuge dessen wird auch der Marx’sche Wertbegriff im Anschluss an Foucault biopolitisch reformuliert und geradezu aus den konkreten Gestalten der lebendigen Arbeit sowie aus der immateriellen Arbeit abgeleitet; in Empire sprechen Negri und Hardt sogar von einem »Ende des Werts« und fordern eine »neue«, und zwar »politische Werttheorie«.Vgl. Antonio Negri/Michael Hardt, Empire, Frankfurt a.M. 2002, 43 f.

Überhaupt lässt sich an allen drei Bereichen ausweisen, dass durch die verschiedenen Lesarten sowie im Operieren mit den verschiedenen Versionen einer Differenz (Leerstelle, différance, Ereignis, Symptom etc.) Unterscheidungen getroffen werden, die anders funktionieren als die kritischen Unterscheidungen, die Marx für seine Entwicklung der Kritik der politischen Ökonomie trifft (Gebrauchswert und Tauschwert, konkrete und abstrakte Arbeit, Arbeit und Arbeitskraft, Wert und Preis, Zirkulation und Produktion etc.). Sie führen nicht in eine kategoriale Entwicklung, wie sie Marx im Anschluss an Hegel als »Kritik durch Darstellung et vice versa« bezeichnete und die im traditionellen und auch noch im westlichen Marxismus als »dialektische Methode der Darstellung« und »immanente Kritik« verfolgt wurde. Vielmehr geht es zum einen darum, Differenzen und Ambivalenzen innerhalb des Marx’schen Werks gegen Vereinheitlichungen und systematische Schließungen in Stellung zu bringen; zum anderen geht es darum, den systematischen oder besser anti-systematischen Status der symptomatische Leerstelle (Althusser), der différance (Derrida), des Ereignisses (Badiou), des Symptoms (Žižek) für strukturale, dekonstruktive, biopolitische oder existenziale Lesarten zu nutzen.

Vielleicht steht das »Post-« sogar für eine Art Umstülpung der Umstülpung. Marx beanspruchte ja für seine Kritik, die Begriffe und Kategorien der Philosophie und des Verstandes und überhaupt die Vorstellungen über das Bewusstsein und die Subjektivität »umzustülpen« und materialistisch auf die Formen gesellschaftlicher Vermittlung zurückzuführen, und zwar speziell auf diejenigen Formen, die für die kapitalistische Produktionsweise bestimmend sind. Durch diese »Vergesellschaftung« wollte er die Begriffe und Kategorien der Philosophie wie des Verstandes im Zuge einer »Kritik durch Darstellung et vice versa« vom Kopf auf die Füße stellen, und er wollte zudem auch die Bedingungen für eine andere, kommunistische Gesellschaft auf immanente Weise aus der kapitalistischen Produktionsweise heraus entwickeln. Der Post-Marxismus vollzieht nun eine Art Gegenbewegung, wenn er stattdessen vom ontologischen Status bestimmter Denkbestimmungen, bestimmter Ideen und Differenzen ausgeht. Das gilt auch für die Idee des Kommunismus,Als Beleg mögen die Beiträge zu den beiden Konferenzen zur »Idee des Kommunismus« dienen, vgl. Costas Douzinas/Alain Badiou/Slavoj Žižek, Die Idee des Kommunismus, (2 Bde.) Hamburg 2012; ähnlich auch die Beiträge in: Giorgio Agamben u.a. (Hrsg.), Demokratie? Eine Debatte, Frankfurt a.M. 2012.  die nicht aus der gesellschaftlichen Bestimmung der Arbeit, aus dem Universalismus des Geldes und seiner Kapitalform, aus der Entwicklung der Produktivkraft oder ihrem Widerspruch zu den Produktionsverhältnisses oder Ähnlichem entwickelt wird, sondern struktural, dekonstruktiv, existenzial oder biopolitisch mit dem öffentlichen Charakter der Sprache, mit dem Gemeinsamen des Seins, mit der performativen Kraft des Denkens und der Ideen, mit den Formen des Politischen und Ähnliches begründet wird und mitunter in eine regelrechte Re-Ontologisierung der Gesellschaftskritik führt.