Prometheus macht sich zum Zwerg

Günther Anders, die Kritik der Technik und der Klimawandel 

Sind wir als Menschheit durch eine sich immer rasanter entwickelnde Technologie zum Untergang verdammt oder lassen sich die grassierenden Umweltprobleme, mit denen wir unweigerlich konfrontiert sind, technisch lösen? Wenn in öffentlichen Debatten über Technik oder den technischen Fortschritt gesprochen wird, changiert das gezeichnete Bild meist zwischen Heilserwartung und Weltuntergang. Egal ob es um Reproduktionstechnologie, die Vision von Fusionsreaktoren und einer sauberen Kernkraft oder die Besiedelung des Weltalls geht: Kaum eine Utopie oder Dystopie kommt ohne die Technik als Protagonistin aus. In gewisser Hinsicht unterscheiden sich die an Innovationen geheftete ganzheitliche Erlösungshoffnung und der reaktionäre Primitivismus nur durch das emotionale Vorzeichen. In beiden Verständnissen ist Technik eine dem Menschen äußerliche Ding-Technologie, die als Instrument zur Hand ist. Als solche bügelt sie für den Optimisten in der Zukunft aus, was die Menschheit vermasselt hat, während sie für den Pessimisten so weit auf die Spitze getrieben ist, dass ihre Anwendung menschlichen Bedürfnissen nicht mehr entspricht. Auch die Kritik, die Technik, mit der wir täglich konfrontiert sind, entziehe sich in ihrer genauen Funktion unserem Verständnis, richtet sich meist auf bestimmte Anwendungsbereiche und Einzeltechnologien. Bemängelt wird eher die Komplexität der Arbeitsteilung als das Fehlen einer adäquaten (Begriffs-)Bestimmung. Dabei wäre eine Verständigung darüber, was Technik als solche ist, vor allem aber, was sie für uns ist und welche Rolle sie in unserer kollektiven Weltbeziehung einnimmt, das Fundament einer gelingenden Debatte darüber, was wir im Kontext des Klimawandels von ihr erhoffen dürfen oder befürchten müssen. 

 

Die Technik als Technik 

»Die Technik als Technik ist weder gut noch böse; sie ist wahrscheinlich eher gut.«Theodor W. Adorno/Arnold Gehlen, Ist die Soziologie eine Wissenschaft vom Menschen? Ein Streitgespräch, in: Friedemann Grenz, Adornos Philosophie in Grundbegriffen. Auflösung einiger Deutungsprobleme, Frankfurt a.M., 225–251, hier 237f. Diese einer Hörfunkdiskussion entnommene Aussage ist selbst als gesprochenes Wort für Theodor W. Adorno ungewöhnlich salopp. Der Grund für die beinahe nach Desinteresse klingende Unschärfe liegt weniger im Radioformat, sondern ist Ausdruck einer Position zur Technik, die Adorno mit einigen seiner intellektuellen Zeitgenossen teilte und die sich bis heute bei marxistisch geschulten Denker:innen ebenso wie in kapitalismuskritischen Bewegungen finden lässt: Die Technik ist als Produktivkraft dem Primat der Produktionsverhältnisse unterworfen. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit technischer Entwicklungen lässt sich somit nicht in Betrachtung ihrer selbst beantworten, sondern nur in Betrachtung der Bedingungen ihrer gesellschaftlichen Möglichkeit, auf die das konkrete Gerät allenfalls Rückschlüsse zulässt. Adorno fügt seiner lakonischen Aussage folgerichtig hinzu: »ich bin altmodisch genug zu glauben, daß die Kritik der Gesellschaft das ist, auf das es viel mehr ankommt, als etwa auf eine Kritik der Technik als Technik«Ebd., 237.

Über diese Einbettung moderner Technik in den kapitalistisch-industriellen Produktionsapparat scheint auch dort weitestgehend Einigkeit zu herrschen, wo die gezogenen Konsequenzen divergieren: Bewegungslinke Gruppen, in denen seit den Zweitausendern der Begriff des fully automated luxury communismIm Jahr 2019 ist zudem ein Buch von Aaron Bastani unter diesem Titel erschienen, in dem er sich mit dem Verhältnis »der Linken« zu Fragen der Technik beschäftigt. kursiert, hoffen auf einen technologisch vermittelten Wohlstand für alle, während die Degrowth-Bewegung die Eingrenzung bestimmter Technologien am Maßstab endlicher Ressourcen fordert. Letztere Position hat insoweit an Relevanz gewonnen, als der menschgemachte Klimawandel mit seinen absehbar katastrophalen Folgen die alte Losung von der künstlich generierten Knappheit der kapitalistischen Produktion fragwürdig gemacht hat. An ihre Stelle ist die Rede von den begrenzten Ressourcen unseres Planeten getreten. In der Betrachtung der Mensch-Natur-Beziehung gewinnt die Natur nicht nur an Gewicht, sondern erlangt Akteurstatus: Gaia, die personifizierte Erde. Die Technik bleibt in der kollektiven Wahrnehmung hingegen Instrument; der Hammer, der in der Hand seines Benutzers dessen Zwecke erfüllt und der, wenn nach vollzogenem Akt beiseitegelegt, diesen nicht weiter affiziert.Diese Aussage ist nicht gleichbedeutend mit der Behauptung, dass die Benutzung des Hammers eine gänzlich freie sei. Unfrei ist in einer Welt, in der das Primat der Ökonomie herrscht, die Zwecksetzung, zu der das Mittel eingesetzt wird, vielleicht auch die Wahl des Mittels.

Und doch kommen die Zweifel daran, ob die Technik tatsächlich ein den gesetzten Zwecken gegenüber neutrales, anpassbares Instrument ist, längst nicht mehr nur aus konservativen Kreisen. Die bereits erwähnte Komplexität, aufgrund der kaum ein Laie, mitunter nicht einmal die Wissenschaftler:in einer angrenzenden Disziplin, die genaue Funktionsweise konkreter technischer Systeme versteht, erzeugt ein Unbehagen auch in Bezug auf die Absehbarkeit der Folgen ihrer Anwendung. Ein Unbehagen, das der Philosoph Hans Jonas in den späten siebziger Jahren prominent formulierte und das als Theorieversatzstück in das kollektive Bewusstsein der Studentenbewegung einging. Schon damals drohte Technikkritik, so Jonas in warnender Absicht, in regressive Fortschrittsfeindlichkeit abzurutschen. Sein Imperativ, in der Folgenabschätzung technischer Entwicklung die Gefahr stärker zu gewichten als optimistische Prognosen, löst das Komplexitätsproblem nicht, schlägt jedoch in die Kerbe einer per se ablehnenden Technikkritik, in der die Vorteile technischer Entwicklungen keinen Platz finden. Heute steht Jonas’ Verantwortungsethik noch vor einem weiteren Dilemma: Die Maxime, so zu handeln, dass der »indefinite Fortbestand der Menschheit auf Erden«Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a.M. 1979, 36. nicht gefährdet sei, wird dort zum Problem, wo komplexe technische Innovationen, deren Folgen sich nicht zuletzt aufgrund ihres Nie-dagewesen-Seins unmöglich berechnen lassen, gerade selbst den Versuch darstellen, die Folgen bisherigen menschlichen Handelns in den Griff zu bekommen, um besagte Maxime zu erfüllen. Also genau dort, wo technische Erfindungen die katastrophalen Konsequenzen ihrer Nicht-Einhaltung eindämmen sollen. 

 

Anders als Denker der Apokalypse 

Die aktuelle Frage, welche Rolle der Technik in Bezug auf den menschgemachten Klimawandel zukommt, unterscheidet sich also zunächst vom Endzeitthema des auch als Apokalypse-Denker bezeichneten Philosophen Günther Anders: der Atombombe. Dennoch lohnt es sich, den Zeitgenossen Adornos und Jonas’ heranzuziehen, der sich selbst als Maschinenstürmer, nicht jedoch als romantischen Reaktionär verstand. Zwar war Anders nie der Unbekannte, zu dem er gerne stilisiert wird, dennoch blieb seine Rezeption gerade im akademischen Bereich randständig. Derzeit scheint der in der frühen Friedens- und Antiatombewegung aktive Anders immerhin als Stichwortgeber ein kleines Revival zu erleben. Sein »aufgeklärter Katastrophismus«Vgl. den Titel von Jean-Pierre Dupuy, Pour un catastrophisme éclairé. Quand l’impossible est certain, Paris 2001. im Angesicht der Atombombe, deren unheilvolle Bedrohung nicht nur über der Universität schwebt, passt in eine Endzeitstimmung, in der Klimaaktivist:innen die Legitimation ihrer Aktionen vom bevorstehenden Weltuntergang her entwickeln. Während auf den ersten Blick die Parallelen zwischen der menschengemachten Bedrohung in Form der Klimakrise und der menschengemachten Vernichtungsmöglichkeit in Form der Atombombe überwiegen, gibt es eine entscheidende Differenz: Kann die Atombombe als Zuspitzung technischen Fortschritts, als maximal entgleistes Mittel, und damit als dessen dramatische Kehrseite gelten, scheint demselben technischen Fortschritt angesichts der Klimakatastrophe die Rolle des »Erretters« zuzukommen. Wir wenden uns an die Technik für die Hilfe bei Problemen, die zwar nicht von der Technik, jedoch mithilfe der Technik geschaffen wurden. 

Anders’ Philosophie ist aber keineswegs nur eine Philosophie der Atombombe, sondern eine der Technik schlechthin, genaugenommen eine Philosophie des Menschen im Angesicht der Technik. Darin liegt ihre ungebrochene Relevanz auch für die aufgeworfenen Fragen zum Hoffnungsträger Technik angesichts der drohenden hausgemachten Vernichtung durch den Klimawandel: Anders’ Kritik der Technik ist der Aufschlag zu einer »Kritik der politischen Technologie«,Christian Dries, Technischer Totalitarismus: Macht, Herrschaft und Gewalt bei Günther Anders, in: Etica & Politica/Ethics & Politics 15 (2013), 175–198, hier 190. einer Kritik der menschlichen Verhältnisse in einem dem Menschen Welt gewordenen Gerätesystem. Als Anders vor etwa 65 Jahren begann, seine Überlegungen zur Technik zu veröffentlichen, war sein Denken von einer spezifischen Ohnmachtserfahrung geprägt, die ebenso von der Shoah wie der Erfindung und dem Einsatz der Atombombe herrührte.Vgl. Anna Pollmann, Fragmente aus der Endzeit. Negatives Geschichtsdenken bei Günther Anders, Göttingen 2020. Die dramatische Diskrepanz zwischen dem, was der Mensch herstellen und verursachen kann, und dem, was er verantworten und nachempfinden kann, ist, wenn überhaupt jemals, selten so deutlich zutage getreten wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Heute hat sich die Lage hauptsächlich dadurch verändert, dass neue Katastrophen und Probleme hinzugetreten sind und die atomare Bedrohung eher als unterschwellige Gefahr wahrgenommen wird. Anders’ Beobachtungen scheinen, bei allen Lücken und analytischen Ungenauigkeiten, in beinahe prophetischer Manier an Triftigkeit zu gewinnen. 

Während Anders sich aus politischen Gründen entschieden von seinem früheren Lehrer Martin Heidegger lossagte, hat dessen Denken nie aufgehört, ihn zu prägen. Hinsichtlich der Technik, die Heidegger ontologisierend außerhalb der historischen Verhältnisse verortet und dem in der Welt seienden Menschen als fremd gegenüberstellt, ging Anders in Opposition: Mit seinem anthropologischen Ansatz verlegte er die Technik bzw. die Notwendigkeit ihrer Anwendung in das »Wesen« des Menschen. In erst vor fünf Jahren unter dem Titel Die Weltfremdheit des Menschen veröffentlichten frühen Arbeiten heißt es: »Künstlichkeit ist die Natur des Menschen und sein Wesen ist Unbeständigkeit.«Günther Anders, Die Weltfremdheit des Menschen. Schriften zur philosophischen Anthropologie, hrsg. von Christian Dries, München 2018, 48. Dabei handelt es sich um keine originäre Vorstellung von Anders, sondern sie steht im Kontext einer ganzen Denktradition, der Philosophischen Anthropologie. Auch die Parallelen zu Marx’ frühen Schriften sind deutlich. Im Gegensatz zum oft als Heidegger-Marxisten bezeichneten Herbert Marcuse, nach dem sich Technik als »Form der Organisation und Aufrechterhaltung (oder Veränderung) gesellschaftlicher Verhältnisse, ein Ausdruck herrschender Denk- und Verhaltensweisen, ein Mittel der Kontrolle und Herrschaft«Herbert Marcuse, Einige gesellschaftliche Folgen moderner Technologie, in: Aufsätze aus der Zeitschrift für Sozialforschung 1934–1941, Schriften 3, Frankfurt a.M. 1979, 286–319, hier 286. bestimmt, das immer nur so schlecht ist, wie die jeweiligen Verhältnisse es sind, hielt Anders an einem Verständnis der Nichtneutralität der Technik fest. Zwar hat sich auch für ihn die technische Gerätewelt unter spezifischen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen verselbstständigt, dabei jedoch an einem Umschlagpunkt einen Subjektstatus erlangt, mehr noch: den Menschen als Subjekt der Geschichte abgelöst. 

 

Technik und Mensch 

Das Problem beginnt nicht mit der Technik oder ihrem Einsatz, sondern mit der Verfasstheit des Menschen. Dieser sei zwar leibliches Naturwesen, jedoch nicht mit seiner Umwelt verwachsen, nicht in sie eingepasst, sondern stehe in einem grundsätzlichen, strukturellen Abstand zur Welt. Und weil es diesen Abstand gebe, weil der Mensch immer erst nachträglich zur Welt komme, müsse er sich diese Welt nachträglich einrichten. Das ist philosophische Anthropologie, erinnert aber nicht zufällig auch an Marx und dessen Vorstellung von Arbeit, im Sinne der Naturaneignung, als konstitutivem Element der menschlichen Natur. Um sich in der Welt tätig einzurichten, bedarf der Mensch artifizieller Objekte, Instrumente, um bestimmte Zwecke verwirklichen zu können. Die Technik, die uns nach Anders heute unfrei macht, ist also gleichzeitig Bestandteil der menschlichen Verfasstheit und des Prozesses des menschlichen Zu-sich-Kommens. Gerade diese Nicht-Äußerlichkeit der Technik und unsere im Abstand zur Welt begründete radikale Weltoffenheit bedeuten für uns ebenso Freiheit, den nicht-determinierten Aspekt unseres Werdens in der Welt, wie sie der Schlüssel zu unserem Anpassungsdruck und der daraus resultierenden »Selbstverzwergung« gegenüber den Maschinen ist. 

Ähnlich wie bei Marx, der im Kapital zum Fetischcharakter der Ware schreibt, er sei »nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt«Karl Marx, Das Kapital, Marx-Engels-Werke 23, Berlin 1968, 87., ist das, was letztendlich in Apparaten gerinnt, vor ihrer Verselbstständigung eine von uns gesetzte Funktionslogik. Der altgriechische Begriff der technē galt lange als mit unserem heutigen Verständnis von »Technik« inkongruent. Unsere Gegenwart, mit ihren technogenen Strukturzusammenhängen, spült den Begriff zurück an die Oberfläche. Technē, laut dem Metzler Philosophie Lexikon mit »Kunst, Handwerk, Kunstfertigkeit, Können, Wissen« wiederzugeben, ist ein Oberbegriff, der in eine Zeit passt, in der alles digitalisiert, codiert und in Beziehung gesetzt werden kann.Der Begriff technē ist bis in die Neuzeit hinein eher als zentraler Gattungsbegriff der Wissenschaftslehre und Kunst zu verstehen, denn als Ursprung unseres heutigen Begriffs von Technik. Für Platon ist technē »Wissen um die Gründe und Zusammenhänge«, Aristoteles definiert sie als poiēsis, ein zweckmäßiges Hervorbringen. Die in der Antike ebenfalls verbreitete stoische Definition lautet: »System aus Erkenntnissen, die zu einem bestimmten, im Leben förderlichen Ziel zusammen ausgeübt werden.« Kunst, Wissenschaft und Technik sind im Zeitalter digitaler Vermittlung zu einem logischen Gesamtgefüge zusammengewachsen. Anders schreibt: »[E]inzelne Geräte gibt es nicht. […] Jedes einzelne Gerät ist […] ein Stück, das teils die Bedürfnisse anderer Geräte befriedigt, teils durch sein eigenes Dasein anderen Geräten wiederum Bedürfnisse nach neuen Geräten aufzwingt.«Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 2018 [1956], 14.  Das, was die Maschine braucht, damals wie heute hauptsächlich Energie, Öl, Strom, Kohle, Infrastruktur, Expertise usw., erzeugt nach Anders ein »Bedienstetenreich« um die Maschine herum, in dem der Mensch seinem ehemaligen Produkt unterworfen wird. 

Die Obsoleszenz des Menschen hat die Menschheit selbst hergestellt, paradoxerweise im Versuch das menschliche Weltverhältnis zu verbessern. Was entsteht, ist ein künstlich hergestelltes Gefälle, sowohl zwischen dem, was technisch möglich ist, und dem, was für uns greifbar ist, als auch zwischen den Fähigkeiten der Geräte und denen der Menschen, die sich selbst zunehmend Gerätemaßstäben unterwerfen. Die Perfektion der Technik, die unsere eigenen, in irgendeiner Weise immer defizitären Vermögen weit übersteigt, ist nach Anders zu unserem Ideal geworden. Wir sind der Perfektion unserer Produkte nicht gewachsen und versuchen uns ihnen mit technischer Vernunft und technischem Handeln anzugleichen: ein zum Scheitern verursachter Wettkampf, der unsere menschlich-leibliche Bedürftigkeit negiert. Die hinter dieser Kritik stehende humanistische Haltung mag selbst antiquiert wirken, das Sprechen vom Menschsein des Menschen. Aber begreifen wir uns, wie Anders es tut, als nicht unendlich flexibel und ob unserer leiblichen Existenz notwendig beschränkt, ist sie auch in Zeiten posthumanistischer Philosophien plausibel. 

Der Mensch hat sein Menschsein, seine menschliche Vernunft, durch die geschaffenen technischen Möglichkeiten kompromittiert. Dennoch bleibt er historischer Akteur und für die Gestaltung der Zukunft verantwortlich. Deshalb widerspricht der Techniksoziologe Christian Fuchs Anders’ These von der Technik als historischem Subjekt nicht, wenn er der Gegenwart einen Fetischismus digitaler Technologien attestiert,Christian Fuchs, Technisch vermittelte Entkörperlichung – Emanzipation oder Risiko?, in: UTOPIEkreativ 129/130 (2001), 644–658. der darin bestehe, digitale Technologien fälschlicherweise als Ursachen gesellschaftlichen Wandels zu betrachten. Vielmehr ist das, was Anders problematisiert, der materielle Kern dieses Fetischismus, auch und gerade in der digital- und medial-kapitalistischen Gegenwart. 

Die Menschheit betreibt mithilfe der technē praktische Anthropologie: die Maschinerie aus Kunst, Wissenschaft und Technik spiegelt die Bedürfnisse ebenso wie die entstandenen Sachzwänge der Menschen wider. Zugleich verändert sie deren Sozialbeziehungen, Bedürfnisse und Befindlichkeiten. Was über die technē damit ahistorisch ausgesagt ist, stellt zwar einen Befund über die Stellung des Menschen in der Welt dar, über seine Gestaltbarkeit ebenso wie über seine interdependente Sozialnatur, ist aber an sich keine Problematisierung. Erst in ihrer konkreten historischen Ausformung, in der mit Anders gesprochen unser Bezugsraum Welt nach der Funktionslogik der Geräte technisch hergestellt wird, entthront der Mensch sich selbst. Die Verdinglichungskritik hat dabei noch die Kehrseite, dass das, »was dem Menschen durch Verdinglichung entzogen wird, den Produkten zuwächst«.Günther Anders, Die atomare Drohung. Radikale Überlegungen zum atomaren Zeitalter, München 2022 [1972], 103. Plakativ ließe sich das anhand von Pflegerobotern, einem Lieblingsbeispiel der Technikkritik, betrachten: Der Mensch entmenschlicht sich durch Sachzwänge einer hoch technologisierten und auf Profitmaximierung ausgelegten Gesellschaft beim notwendigen Versuch, sich am Leistungscharakter der Maschinen auszurichten. Doch eben jene Maschinen übernehmen seine menschlichen Fürsorgeeigenschaften und die seiner Bedürftigkeit der leiblichen Existenz geschuldeten notwendigen Aufgaben. Im nächsten Schritt wird die Effizienz und Fehlerquote der menschlichen Pflegenden an denen der Maschine gemessen. Relevanter erweist sich die Thematik naturgemäß in den abstrakteren und weniger anschaulichen Technologiebereichen. 

Anders räumt zudem mit der Vorstellung auf, Geräte seien Mittel, die vielleicht einfach an Komplexität gewonnen hätten und deren ethische Bewertung deshalb schwieriger geworden seien. Ihm zufolge sind Geräte keine Mittel mehr, sie sind Vorentscheidungen, weil sie unsere Lebensrealität derart präformieren, dass sie den Rahmen setzen, in dem wir uns bewegen.Anders, Antiquiertheit, 14. Das Gerätesystem ist unsere Welt und die Aufforderung, den Fernseher oder das Smartphone auszuschalten und mal wieder rauszugehen, als Zugang zur unverstellten Natur, bloße Ideologie. 

 

Klimawandel und Gefälle 

Das Gerätesystem ist also kein Mittel, sondern unsere Welt. Wenn wir über die Natur als weltumspannende Totalität sprechen, ist das eine bloße Fantasie. Ebenso, wenn wir uns mit ihr in eins setzen und damit die vorhandene problematische Diskrepanz negieren, die der Mensch seit jeher praktisch zu überwinden hatte.Problematisch ist die Diskrepanz deshalb, weil sie uns vor die praktische Notwendigkeit des Einrichtens in der Welt stellt. Im Ergebnis ist die vermeintlich natürliche Umwelt selbst Produkt der technologischen Gesellschaft. Die Klimakrise ist keine menschgemachte Krise in einer unabhängigen Naturwelt, sie ist eine menschgemachte Krise in einer menschgemachten Umwelt. Folgt man Anders, hat die technikvermittelte Einrichtung des als künstlich und unbeständig definierten Menschen im Maschinenzeitalter einen Umschlagpunkt erreicht. Eingerichtet in der Welt hat der Mensch sich immer, was sich verändert hat, ist eher die Mensch-Technik-Beziehung als die Mensch-Natur-Beziehung oder: die technische Manipulation der Natur. In einem Interview, das Anders noch in seinem Todesjahr 1992 gab, antwortet er auf die Frage, ob er die Umweltfrage vernachlässigt habe, wir hätten nun die Wahl, wie wir uns selbst vernichten.Günther Anders, »Ich nehme nichts zurück!«, in: WOZ. Die Wochenzeitung vom 25. Dezember 1992, 17f. Ebenso wie beim einleitenden Adorno-Zitat darf die Lakonie der Aussage nicht über ihren Gehalt hinwegtäuschen: Was Anders interessierte, war die politische Tragödie, die sich vermittelt zwischen den Menschen vollzieht. Daraus spricht kein Desinteresse an Themen der Klimapolitik. Vielmehr spricht daraus ein Verständnis, das in heutigen Klimadebatten oft verloren scheint. Die Macht der durch uns gebauten Verhältnisse stellt sich nicht mehr nur als Herrschaftsstruktur zwischen Mensch und Mensch dar, sondern die Dinge, genauer die Technik als ein entfremdetes und verselbstständigtes Subjekt, haben sich eingemischt und umstellen uns zusätzlich. Das negiert die herrschenden ökonomischen Imperative nicht, wirft jedoch ein neues Licht auf unser Zweck-Mittel-Denken in Bezug auf Technik. 

Technik mit Anders zu begreifen, holt eine postmarxistische Technikkritik aus der Komfortzone, die bezüglich technologischer Entwicklungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verweist, auf die befreite Gesellschaft, in der Technik quasi automatisch Mittel für neue, »gute« Zwecke sei. Gleichzeitig nimmt sie dem liberalen Technikenthusiasmus den Wind aus den Segeln. Angesichts allumfassender Technisierung und global agierenden Techkonzernen sehen wir uns mit dem Problem konfrontiert, dass gerade die Nicht-Äußerlichkeit der Technologie für uns die Gefahr birgt, von den eigenen technologischen Produkten absorbiert und assimiliert zu werden, sodass nicht mehr sie für unsere, sondern wir für ihre »Bedürfnisbefriedigung« sorgen. Auch der Aspekt des Point of no Return wird anhand der Betrachtung der Atombombe über diese hinaus deutlich: »Die Epoche, in der wir leben, ist, selbst wenn sie ewig währen sollte, die endgültig letzte Epoche der Menschheit. Denn wir können nichts verlernen. […] Niemals werden wir fähig sein, diese unsere Fähigkeit zu verlernen. So wenig wir imstande sind, aus dem System der Zahlen die Dreizehn herauszubrechen […], so wenig sind wir imstande, Stücke aus dem System unseres wissenschaftlichen und technischen Besitzstandes herauszubrechen […].«Anders, Atomare Drohung, 55.

Folgt daraus nun ein Technik-Defätismus? Muss jeder technische Fortschritt in Abwägung des unbekannten, zukünftigen Risikos verhindert werden? Nein – und vermutlich wäre das auch gar nicht möglich. Allerdings müssen wir aufhören, über Einzeltechnologien zu sprechen, als könnten wir deren Für und Wider isoliert behandeln. Zudem ermöglicht das Erarbeitete eine Kritik der Technik, die zugleich eine klare Absage an den technikfeindlichen Primitivismus ist. Die Technik nicht als etwas dem Menschen Äußerliches zu begreifen, eröffnet auch Horizonte, technische Innovationen unter einem weiteren Vorzeichen zu betrachten: dem der bewussten, lustvollen Überschreitung der eigenen leiblichen Beschränktheit. Darin gibt uns die Geschichte insoweit recht, als dass unsere heutige Existenz, egal wie prekär die Lage ist, früheren Beschleunigungskritikern widerspricht, die etwa befürchteten, das Zugfahren würde in den Wahnsinn treiben, weil die körperliche Verfasstheit des Menschen den Geschwindigkeiten nicht gewachsen sei. 

Die technische Möglichkeit, die Effekte jahrhundertelangen Überstrapazierens von Naturressourcen einzuhegen, ist einer Menschheit, die sich technisch in die Lage der eigenen Auslöschung gebracht hat, sicherlich gegeben. Und noch etwas wird deutlich: Wir sind als Gesellschaft, was unser Verhältnis zur Technik betrifft, in der ewigen Reaktion gefangen. Die klimatischen und allgemein ökologischen Entwicklungen, mit denen wir uns konfrontiert sehen, sind Konsequenzen einer technisch vermittelten historischen Menschheitsentwicklung, damit Resultate menschlichen Handelns und Produzierens. Wo wir versuchen, ihre Folgen zu begreifen, einzuhegen oder abzumildern, reagieren wir auf die Konsequenzen eigener Tätigkeit, ganz die beschämten Prometheiden, als die Anders uns beschreibt. Darin besteht die praktische Konsequenz dessen, was Anders das »prometheische Gefälle« nennt: die Asynchronisiertheit von dem, was wir herstellen können, und dem was, wir uns (insbesondere in seinen Konsequenzen) vorstellen können. Es ist also irrsinnig, von technologischen Werkzeugen zur Eindämmung der Katastrophe so zu sprechen, als handle es sich um innovative Schritte Richtung Selbstbestimmtheit und nicht um die ewige Reaktion, in der Vokabeln des Voluntarismus fehl am Platz sind. Die Forderung, ins Handeln zu kommen, ist so verstanden kein Aufruf zum Aktionismus, Aktivismus oder zur Entwicklung einer Mentalität des Machertums. Es ist die kritische Feststellung, dass der Mensch zwar stets noch Akteur ist, sich sein tätiges Einrichten in der Welt aber von den eigenen Produkten diktieren lässt. 

 

Anneke Schmidt 

Die Autorin ist nicht nur dem Studium nach Gesellschaftstheoretikerin und versucht über ihrem Philosophie-Background den Realitätsbezug nicht zu verlieren. Technisch vermittelten Wohlstand für Alle würde sie begrüßen.