»Rassismus ist die härteste Währung Griechenlands«

Interview mit den Gruppen Antifa Negative und Terminal 119

Im folgenden dokumentieren wir ein Interview mit den Gruppen Antifa Negative und Terminal 119 über den Aufstieg der Partei Chrysi Avgi [Goldenen Morgenröte], alte und neue Ressentiments in der griechischen Gesellschaft und die Reaktionen der Linken. Antifa Negative, eine Gruppe von MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen, existiert seit Mai 2012 und ist in Athen aktiv. Politisch beschäftigt sie sich unter anderem mit den Schnittmengen zwischen Sexismus und Rassismus, und der »verborgenen Geschichte« von Staat und Gesellschaft in Griechenland. Terminal 119 besteht als Zeitschrift und Gruppe seit sieben Jahren und beteiligt sich am Kampf gegen Rassismus, Nationalismus, patriarchale Strukturen und Antisemitismus in Griechenland. Das Interview wurde in englischer Sprache geführt und gekürzt ins Deutsche übertragen.

Phase 2 Wie bewertet Ihr die aktuelle Situation in Griechenland politisch und was hat sich in den vergangenen Monaten Eurer Meinung nach verändert?

Antifa Negative Aus unserer Perspektive war Griechenland schon immer ein mieser Ort zum Leben. Weder Rassismus noch Nationalismus sind neue Phänomene in der griechischen Gesellschaft. Neu an den Entwicklungen der letzten acht Monate ist, dass wir uns jetzt nicht nur mit dem griechischen Normalzustand, sondern auch noch mit einer Neonazi-Partei im Parlament herumschlagen müssen. Welchen Einfluss das auf die Mehrheit der Menschen im Land hat? Die Massen haben eine traumhaft einfache Erklärung für all ihre Probleme gefunden. Es werden schlicht MigrantInnen für die Krise verantwortlich gemacht und aus verschiedenen politischen Lagern wird geradezu zu gewaltsamen Übergriffen aufgerufen.

Eine weitere Neuerung der letzten Monate ist, dass seit den Wahlen im Juni 2012 alle Kräfte des politischen Spektrums von rechts bis links Chrysi Avgi? Chrysi Avgi (übersetzt: Goldene Morgenröte) ist eine neonazistische Partei in Griechenland. Gegründet 1985 und als Partei seit 1993 registriert, zog Chrysi Avgi 2012 erstmals in das griechische Parlament ein. Alle Anmerkungen: Phase 2. instrumentalisieren, um ihre eigene üble und faschistische Agenda auf den Plan zu bringen. Alle Parteien rücken merklich nach rechts. Das jüngste Ergebnis dieser Entwicklung ist die Abschaffung des Gesetzes, das in Griechenland geborenen Kindern automatisch die griechische Staatsbürgerschaft verleiht. Genau genommen erfolgte die Gesetzesänderung auf persönliche Initiative des Premierministers. Wenn man die Konservativen nach den Gründen für ihre Entscheidung befragt, dann nutzen sie die Neonazis als Alibi und antworten, dass sie mit der Abschaffung des Rechtes auf automatische Staatsbürgerschaft den extrem eingestellten WählerInnen entgegenkommen wollen, um so Chrysi Avgi WählerInnenstimmen abzunehmen. Selbst Parteien, die sich selbst nicht als konservativ bezeichnen würden, folgen diesem Muster. Bei PASOK Die »Panhellenische Sozialistische Bewegung« (PASOK) ist die wichtigste sozialdemokratische Partei Griechenlands. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2012 erreichte sie 12,3 Prozent der Stimmen. und DIMAR Die »Demokratische Linke« (DIMAR) gilt als gemäßigt linke Partei. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2012 erreichte sie 6,3 Prozent der Stimmen. stehen die nationale Sicherheit und der nationale Zusammenhalt sowie eine Lösung für das, wie sie es nennen, Immigrationsproblem ganz oben auf ihrem Programm. SYRIZA Die »Vereinte Soziale Front« (SYRIZA-EKM) ist ein linkes sozialrevolutionäres Wahlbündnis und umfasst ein Spektrum von ökologischen Linken bis zu maoistischen und trotzkistischen Gruppen. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2012 erreichte das Bündnis 16,8 Prozent der Stimmen und wurde damit zweitstärkste Partei hinter der liberal-konservativen Nea Dimokratia. andererseits ist eine Partei des linken Spektrums und vermeidet klugerweise jegliche Äußerungen zu Migrationsfragen.

Aber es hat sich nicht alles zum Schlechteren gewandelt. Positiv ist, dass sich jetzt, da sich die griechische Gesellschaft immer weiter nazifiziert, deutlich herauskristallisiert, mit wem man zusammenarbeiten kann. Die Trennlinien werden klarer und es gibt immer weniger Raum für Kompromisspositionen. Für die Antifa ist es so leichter, zwischen FeindInnen und FreundInnen zu unterscheiden.

Terminal 119 2012 gab es in Griechenland einige radikale Veränderungen, vor allem im Bereich der nationalen Sicherheit. Die Wichtigste war wahrscheinlich, dass sozusagen ganz Griechenland Chrysi Avgi wurde. Denn obwohl Chrysi Avgi in den Umfragen weiterhin bei zehn Prozent liegt, zeigt das tägliche Leben in Griechenland doch, dass sie die erste Partei der griechischen Herzen ist, wie Grigoris Vallianatos es richtig bemerkte. Dass die Neonazis 2012 eine relativ hohes Wahlergebnis (sieben Prozent) einfahren konnten und einige Parlamentssitze bekamen, und dass wir einen rechten Premierminister haben, ist nur Symptom für eine tiefere, einschneidendere Entwicklung innerhalb der griechischen Gesellschaft. Interessanterweise war die Wahl im Sommer 2012 mit zwei Fragen verknüpft. Sollten wir beim Euro bleiben oder zur Drachme als nationaler Währung zurückkehren? Und zweitens: Was machen wir mit all den MigrantInnen? Die WählerInnen gaben eine klare Antwort. Wie Antifa Negative es in einem Text richtig bemerkte: Weder Drachme, noch Euro – der Rassismus ist die härteste Währung Griechenlands.

Der »griechische August«, der auf die Wahlen folgte, bewies diese These. Es kam zu dutzenden Angriffen auf MigrantInnen, einigen Morden und Überfällen auf Räume, die von MigrantInnen genutzt werden. Begleitet wurde das von einer gewaltigen Polizeishow unter dem Titel Xenios Zeus (ironischerweise der antike Gott der Gastfreundschaft), bei der Zehntausende von MigrantInnen verhaftet oder sogar abgeschoben wurden. Die ganze Operation, wie auch die Angriffe, richtete sich hauptsächlich gegen die so genannte neue Welle von Zugewanderten aus Asien – die in Griechenland unter »Pakistanis« subsumiert werden. Die Angriffe der Polizei, des griechischen Mobs oder der Neonazis hatten die volle Unterstützung der griechischen Bevölkerung, nicht einmal die Linke hat versucht, sie zu verhindern. Man muss sich vorstellen, dass die Angriffe und Polizeiaktionen meist tagsüber in Wohnhäusern und Nachbarschaften stattfanden. Niemand hat dagegen protestiert.

Was heute verglichen mit der Situation vor der Krise seltsam anmutet, ist, dass vor 2009 rassistische Angriffe und Morde kaum publik wurden, auch wenn sie häufig vorkamen. Heutzutage wird alles in die Öffentlichkeit getragen. Wir nennen die Polizeioperationen Shows, gerade weil sie vor der Kamera stattfinden, weil sie eher performativ sind und auf der Polizeiwebseite, in den Medien, in Reden von PolitikerInnen und so weiter »beworben« werden. »The Terror is televised«, könnte man sagen, und es sieht so aus, als sei nach 20 ruhigen Jahren Terror in Griechenland wieder legitim. Aber natürlich war es auch vorher nicht wirklich ruhig: 1998/99 wurden albanische ImmigrantInnen von den Cops aus den öffentlichen Bussen geholt, mitten im Zentrum von Athen. Diese Geschichte wiederholt sich momentan mit asiatischen und afrikanischen MigrantInnen.

Es ist jedoch nicht nur das. Der Staat kriminalisiert AktivistInnen, in dem er gezielt Bilder vermeintlicher TerroristInnen verbreitet. Daraus wird deutlich, wie schockiert die etablierte Politik über die Auseinandersetzungen im Dezember 2008 war. Die Antwort des Staates wurde Schritt für Schritt geplant: Schon 2008 sprach die Polizei von 80 bis 150 Aufständischen, die in »terroristische« Aktivitäten involviert seien und später dann konkreter von der Verschwörung der Feuerzellen. Die Verschwörung der Feuerzellen versteht sich selbst als eine anarchistische, sozialrevolutionäre Stadtguerilla. 2008 verübte sie mehrere Anschläge unter anderem auf Banken, Autohändler und Büros. 2010 machte sie weltweit Schlagzeilen mit Paketbomben, die an verschiedene Botschaften und EU-Regierungen verschickt wurden. Damals wurden die Fotos zusammengetragen und die massive Kriminalisierung von »normalen« Jugendlichen, migrantisch oder nicht, vorbereitet.

Die Riots von 2008 sind in ihrer Beispiellosigkeit eine Art Wendepunkt. Erstens gab es dort keinen Rassismus, Nationalismus oder Antisemitismus. Zweitens beteiligten sich auch MigrantInnen daran. Auch wenn es schon vorher eine Zusammenarbeit zwischen migrantischen und nicht-migrantischen GriechInnen gab: Für einige Tage war damals Raum für eine Koexistenz, das ist für uns entscheidend. Drittens war die Mehrheit der DemonstrantInnen nicht verhandlungsbereit, die einzige Forderung war »anzünden und plündern«. Solch eine Qualität hat es in Griechenland davor und danach nicht gegeben, darum geriet der griechische Staat in Panik.

Phase 2 Wo seht ihr die Ursachen für den aktuellen »Rechtsruck«? Ist die Rede von einem »Ruck« überhaupt zutreffend, oder sehen wir hier nur bestehende gesellschaftliche Ressentiments klarer zu Tage treten?

Terminal 119 Wir fragen uns, was ihr mit »Rechtsruck« meint. Wie ihr wisst, hat die sogenannte Rechte in Griechenland eine lange Geschichte, die mit den Entwicklungen der staatlichen Repression und den ideologischen Mechanismen der letzten 60 Jahre untrennbar verbunden ist. Wir betonen ausdrücklich, dass nicht von einem neuen Phänomen ausgegangen werden kann; die Rechte hat zu jeder Zeit einen großen Teil der Gesellschaft repräsentiert. Wir meinen dabei nicht nur WählerInnen, sondern konkrete Individuen in allen staatlichen Bereichen, beispielsweise in der Polizei, Justiz, Verwaltung und so weiter. Chrysi Avgi vertritt heute andere Dinge als noch vor zehn Jahren, aber in Bezeug auf die Alltagspraxis auf der Straße sind es dieselben Taktiken. Wenn »ganz normale« Leute Verständnis für den Aufstieg von Chrysi Avgi äußern, wird deutlich, auf welche Weise sich Ressentiments in der Gesellschaft politisch äußern. Chrysi Avgi ist die Speerspitze des Sicherheits- und Ordnungsdiskurses, in dem MigrantInnen als »das größte Problem« betrachtet werden. Das wird von der Regierung übernommen, gleichzeitig kann diese den Rassismus offiziell verurteilen und »jeden Extremismus« ablehnen. Nach dem gleichen Muster behandelt auch die Opposition die sogenannten Probleme von Sicherheit und gesetzeswidriger Einwanderung. Es existiert ein allgemeiner, wenngleich nicht öffentlich eingestandener Konsens aller politischen Spektren: Obwohl Chrysi Avgi nicht in Ordnung ist, sprechen sie doch ein echtes Problem an und haben die richtige Lösung dafür.

Die Nazi-Partei prangert genau das politische System an, dessen Infrastruktur sie selbst darstellt. Chrysi Avgi kommt als systemkritisch daher und artikuliert politisch die Bedürfnisse verschiedener gesellschaftlicher Sektoren nach Sicherheit und Ordnung, was sich letztlich in der Ausweisung von MigrantInnen/Fremden und der Kriminalitätsbekämpfung widerspiegelt. Dieses doppelte Verhältnis zwischen Chrysi Avgi und der politischen Rechten wird stabiler, aber auch sichtbarer und darin zeigt sich für uns, dass tatsächlich eine Verschiebung stattfindet. Aber diese Verschiebung ist nur eine der Sichtbarkeit und der offiziellen Billigung von unverhohlenem Rassismus.

Antifa Negative Wir glauben nicht an die Formel, nach der die Krise den Rassismus hervorbringt. Unsere Erfahrungen mit Rassismus, die wir teilweise am eigenen Leib machen mussten, datieren weit vor das Jahr 2009 und den Ausbruch der Krise. Griechenland war während der gesamten letzten 20 Jahre ein rassistisches Land. Mit Griechenland meinen wir die Masse der Bevölkerung, den Staat und natürlich die FaschistInnen – alle zusammen. Wir wissen, dass es Rassismus unabhängig von der Krise gibt und dass die Krise irrelevant für sein Bestehen ist.

Auch in der Zeit vor der großen Einwanderungswelle der letzten 20 Jahre waren die Köpfe der GriechInnen voller nationalistischem und antisemitischem Müll, ganz zu schweigen von kruden patriarchalen Denkmustern. Wir möchten nur an die brutale Ausgrenzung verschiedener Minderheiten in Griechenland während des gesamten 20. Jahrhunderts erinnern. Die Offensichtlichste ist die Diskriminierung der Pomaki, einer mehrheitlich in Nordgriechenland ansässigen muslimischen Minderheit, die jahrzehntelang in völliger Isolation in den Bergen leben musste, weil der griechische Staat eine Grenze um ihr Territorium gezogen hatte, die den Kontakt zum Rest der griechischen Bevölkerung verhindern sollte. Diese Grenze, ein regelrechtes Gitter aus Metall, wurde erst 1996 abgerissen. Und Geschichten dieser Art gibt es viele.

Wir glauben, dass dieser ganze Müll nur jetzt erst zum Vorschein kam. Uns ist vollkommen klar, dass es in Griechenland immer Rassismus und Faschismus gab, neu ist aber die Häufigkeit, mit der auch wirklich billige Polemiken gegenwärtig zu hören sind. Heute ist es mit viel weniger Makel behaftet, einE RassistIn zu sein. Griechenland und den Faschismus, die griechische Gesellschaft und den Rassismus verbindet eine lange gemeinsame Geschichte.

Phase 2 Dimitris Psarras (ein Experte für »Rechtsextremismus«) hat kürzlich behauptet, die Polizei arbeite vermehrt mit Mitgliedern von Chrysi Avgi zusammen, könnt ihr uns sagen, welche Auswirkungen das auf eure konkrete politische Arbeit hat? Ist das neu, oder besteht die Nähe zwischen Cops und Rechten schon länger?

Terminal 119 Wir müssten schon ganz schön blind sein, wenn wir Psarras bräuchten, um zu bemerken, dass Chrysi Avgi mit Polizei und Staat eng verbunden ist und dass ihre einvernehmliche Kooperation in den letzten vier bis fünf Jahren weiter ausgebaut wurde. Chrysi Avgi wird immer mehr zu einem gesellschaftlichen Faktor. Die Kooperation hatte und hat nach wie vor einen starken Einfluss auf antifaschistische Arbeit. Wie ihr euch vorstellen könnt: Antifa zu sein und von der Polizei geschnappt zu werden, ist keine gute Idee. Sogar die Mainstream-Zeitungen schätzen, dass die Hälfte aller griechischen PolizistInnen im Juni 2012 für Chrysi Avgi gestimmt hat. Auf der anderen Seite werden Mitglieder von Chrysi Avgi immer wieder vor Gericht freigesprochen – wenn sie überhaupt festgenommen werden, was selten genug passiert. Folglich ist die Antifa-Arbeit in Griechenland anders und um einiges schwieriger als in Ländern, in denen diese Art der Zusammenarbeit so nicht existiert.

Doch von dieser Zusammenarbeit wissen Antifas (und auch Mainstream-Medien) schon seit den 1990ern. Mitglieder von Chrysi Avgi griffen der Polizei ab und an unter die Arme, wenn sie Unterstützung benötigte, um gegen Riots oder Demonstrationen vorzugehen. In den letzten vier, fünf Jahren hat sich das aber intensiviert: Nach den Riots von 2008 bemerkte der Staat, dass er flexiblere Mittel als die vorhandenen Sondereinsatzkommandos benötige. In mehreren griechischen Städten wurden Faschisten rekrutiert, um Eingreiftruppe gegen die Rebellion zu spielen. Seit dem Einzug von Chrysi Avgi ins Parlament, ist der Staat besser vorbereitet auf ein ähnliches Ereignis wie das im Dezember 2008. Und Chrysi Avgi kann mit dem neuen Status als Parlamentspartei auf Staatskosten in jeder Stadt Parteibüros eröffnen.

Andererseits ist die ganze Kollaboration bis jetzt unter fester Kontrolle des Staates. Ab und zu wird ein militanter und normalerweise bewaffneter Faschist festgenommen. Dann kann man davon ausgehen, dass er von der Organisation nicht mehr benötigt wird. Die Nazis bestreiten anschließend, dass der Festgenommene ein Partei-Mitglied war, die Presse macht ein bisschen Lärm darum und das war´s. Berichtet wird lieber über die Gefahren linker Gewalt, bestenfalls wird die Extremismustheorie aktualisiert.

Antifa Negative Der Begriff Zusammenarbeit erscheint uns hier nicht passend. Wir sprechen vielmehr von Identifikation. Wenn sogar in den Mainstream-Medien zu lesen ist, dass die Hälfte aller Cops für die Neonazis gestimmt haben, wäre es ja auch denkbar, dass diese Meldungen sogar noch eine optimistische Sicht oder eine zensierte Version der wirklichen Situation darstellen. Für Antifagruppen oder Einzelpersonen kann das kritische Folgen haben, da eine beliebige Verhaftung durch die Polizei einer Verhaftung durch Neonazis gleichkommt. Aus unserer Sicht ist das Ganze sozusagen eine natürliche Entwicklung: Ein alteingesessener Berufszweig, dessen Aufgabe während des gesamten vergangenen Jahrhunderts darin bestand, Leute zusammenzuschlagen und KommunistInnen und vermeintliche Staatsfeinde zu jagen und zu foltern, findet heute seinen reinsten politischen Ausdruck in der Partei Chrysi Avgi. Wir befürchten, dass die Aufgabe, Chrysi Avgi Einhalt zu gebieten, bei den WählerInnen liegt – unserer Einschätzung nach ist die griechische Gesellschaft weitaus radikaler als ihre Avantgarde. Wir sollten dabei jedoch nicht vergessen, dass es nicht nur die Polizei ist, die das faschistische Projekt unterstützt. Auch andere Berufszweige, wie beispielsweise TaxifahrerInnen, LehrerInnen oder Angestellte von Sicherheitsfirmen, Angestellte in den Kommunen, medizinisches Personal und so weiter sind Teil des Problems.

Phase 2 Gibt es eigentlich so etwas wie eine wahrnehmbare öffentliche Debatte über die Aktivitäten der Mitglieder von Chrysi Avgi und wenn nicht, woran liegt das eurer Meinung nach? Sollte dieses Schweigen dann als Zustimmung verstanden werden?

Antifa Negative Wir wissen nicht, woher euer Eindruck kommt, dass nicht über Chrysi Avgi gestritten würde. Es herrscht keine omertà, kein Gesetz des Schweigens in Bezug auf Chrysi Avgi und ihre politischen Ziele. Im Gegenteil, die Partei ist in den Medien allgegenwärtig und die Aktivitäten ihrer Mitglieder ernten ausgesprochen große Zustimmung, wenn auch auf Umwegen. Die Massenmedien und die wichtigsten PolitikerInnen verurteilen Chrysi Avgi zwar wegen ihrer gewalttätigen oder illegalen Aktionen. Gleichzeitig ist die Berichterstattung aber eine gute Werbung für Chrysi Avgi, insofern ihre Mitglieder für ihre Taten so gut wie nie bestraft werden. In ihrer Selbstdarstellung, die sie während der letzten zehn Monate sorgsam gepflegt hat, ist Chrysi Avgi im Grunde eine systemfeindliche Partei – wobei unklar bleibt, was das genau heißen soll. Sie hält sich nicht an die Regeln, ist in ihren Äußerungen nicht politisch korrekt und behauptet »Probleme« lösen zu können, die die griechische Gesellschaft schon lange beschäftigen, beispielsweise das sogenannte Immigrationsproblem. Chrysi Avgi ist es unbestreitbar gelungen, dieses Selbstbild in den Medien zu etablieren. Die öffentliche Debatte um Chrysi Avgi wurde von Mitgliedern der Regierung selbst initiiert. Evangelos Venizelos, Vorsitzender der sozialistischen PASOK, forderte beispielsweise ein Verbot von Chrysi Avgi. Andonis Samaras, Vorsitzender der konservativen Partei Nea Dimokratia (ND), konterte, ein Verbotsgesuch würde die Partei nur stärken. Da Chrysi Avgi von allen möglichen Parteien instrumentalisiert und sich auch nicht einfach in Luft auflösen wird, bleibt diese Debatte weitgehend folgenlos. Aber sie beschäftigt immerhin die griechischen Intellektuellen und die Zeitungen. Ein Teil der Linken folgt dabei der Position von PASOK und stützt damit die pro-griechische Position, nach der die GriechInnen keine RassistInnen seien und das Problem lediglich bei Chrysi Avgi und ein paar Dutzend Neonazis liege. Dabei kommt nicht mal die radikale Linke auf die schlichte Antwort, dass man gegen Chrysi Avgi vorgehen müsse, weil Nazis abzulehnen seien. Wir wüssten aber auch nicht, wie wir es besser formulieren sollten: Müssen wir die Leute wirklich davon überzeugen, diejenigen zu hassen, die Auschwitz gutheißen? Und wie sollten wir das anstellen?

Terminal 119 Es gibt derzeit eine beachtliche Debatte über Chrysi Avgi, oder besser: mit Chrysi Avgi. Die Menge an Sendezeit im TV, die ParlamentarierInnen Chrysi Avgis, UnterstützerInnen und WählerInnern gerade gewidmet wird, lässt sich nur schwer beziffern. Der »Anführer« von Chrysi Avgi wurde direkt nach den Wahlen von einem etablierten Sender zur besten Sendezeit in eine Talkshow eingeladen. Er trat rhetorisch geschickt auf und vermochte, den Moderator als politisch voreingenommen zu überführen. Andreas Loverdos, Ex-Minister und ehemaliges PASOK-Mitglied hatte in demselben Fernsehsender kurz zuvor erklären können, Chrysi Avgi sei die erste »authentische« Bewegung nach der Diktatur mit einer positiven »aktionistischen« Bilanz, da sie sich mit wirklichen öffentlichen Sorgen auseinandersetze und sich der drei wesentlichen Probleme Griechenlands annehme: MigrantInnen, illegaler Handel, Überwachung und Ordnung. Ein Ex-»Modernisierer« der sozialistischen Partei, der sich noch vor kurzem für öffentliche Gesundheit und Sicherheit eingesetzt hat, hetzt öffentlich gegen (möglicherweise) HIV-positive Prostituierte und demonstriert Verständnis für den Erfolg Chrysi Avgis.

Die öffentliche Debatte, die gerade darüber geführt wird, ist in den seltensten Fällen eine kritische. Nach einem allgemeinen Verständnis hat Griechenland ein Problem und dessen logischer Effekt und gleichzeitig die Lösung ist die Partei Chrysi Avgi. Sicherlich würden die meisten Menschen sich von einigen konkreten Praktiken distanzieren, doch generell wird das Erwähnte als »soziale Realität« anerkannt. Die öffentliche Akzeptanz der Partei wird durch ihre ständige Präsenz in den Medien reflektiert; die Medien wiederum bereiten zusammen mit den RepräsentantInnen der politischen, wirtschaftlichen und bürgerlichen Sphäre der Gesellschaft den Boden dafür, dass die Partei als legitime politische Partnerin oder gute Nachbarin betrachtet wird.

Wenn eure Frage darauf abzielte zu erfahren, ob die Linke über Chrysi Avgi debattiert – bisher haben wir nur über die Rechte gesprochen – dann können wir das bestätigen. Diese Debatte ist jedoch in Bezug auf ihre Intensität oder den transportierten Antagonismus nicht vergleichbar. Für den oder die »gewöhnliche« Linke(n) ist Chrysi Avgi ein Phänomen, das verschwinden wird, sobald sich die »allgemeine« Situation bessert. Die Linke hofft also, dass die Gesellschaft wieder einen Normalzustand erreicht, in dem alle an ihrem Arbeitsplatz sind und niemand mehr Zeit hat für Pogrome und Angriffe. Das Ziel von Chrysi Avgi aber ist es, die Gesellschaft hier und heute ethnisch zu säubern. Wir sind davon überzeugt, dass die Linke deswegen nicht darüber debattiert, wie strategisch gegen das allgemeine Verlangen nach Sicherheit, law and order und Städte ohne MigrantInnen vorgegangen werden kann, weil sie sich all diese Forderungen zu eigen machen müsste, wenn sie eine politisch machtvollere Position in der griechischen Gesellschaft bekommen will. »Die Gesellschaft braucht Ordnung« ist mehr oder weniger die einzige allgemeine Forderung, und das bestimmt die Art und Weise, wie über Chrysi Avgi in der Öffentlichkeit debattiert wird. Wir denken, dass über die Partei und das wofür sie steht, institutionell und generell, nicht auf Grundlage dieser Logik gesprochen werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass es völlig irrelevant ist, ob die Gesellschaft in Bezug auf das Thema Rassismus sich weniger einig ist.

Phase 2 Teilt die Mehrheit der griechischen Linken eure Positionen? Und inwieweit verweisen die unterschiedlichen Beurteilungen der gegenwärtigen Lage auf verschiedene Fraktionen innerhalb der linken »Bewegung«: Ihr seid zum Beispiel für eure Antisemitismuskritik bekannt – könntet ihr uns die Reaktionen auf eure Kritik beschreiben?

Terminal 119 Wir stehen dem Begriff Bewegung generell eher kritisch gegenüber. Genauso wenig glauben wir daran, eine kritische Diskussion mit einer Bewegung führen zu können. Unter praktischen Gesichtspunkten stehen wir beispielsweise im Dialog mit Antifa Negative, aber wir sehen uns selbst nicht als Teil einer Bewegung. Falls sie überhaupt existierte, wären wir vermutlich nicht mit ihren Inhalten und Zielen einverstanden. Die Athener Indignados auf dem Syntagma-Platz sind dafür ein treffendes Beispiel: Ein Großteil der Linken und ein gewisser Teil der anarchistischen Szene sahen darin die Möglichkeit einer Bewegung. Sie investierten Vertrauen und Arbeit, unterschätzten jedoch in ihrer Betrachtung dieser episodischen Demonstrationen die historische, praktische und alltägliche »Tiefe«, die eine Bewegung haben müsste, die diesen Namen verdient. Und selbst wenn sie ohne die symbolischen Bezugnahmen auf die Nation auskommen würde, ohne nationalistische Interpretationen der Krise beispielsweise, sähen wir dennoch keinen Ansatzpunkt für ein positives Engagement. Wir verstehen nicht, warum eine Bewegung notorisch alles »Soziale« mit Hilfe des »Nationalen« erklären muss. Und wir können uns nicht vorstellen, Hand in Hand mit denjenigen zu arbeiten, deren Ansichten und politische Praxis »Andersartigkeit« ausschließen.

Von außen sieht es sicherlich so aus, als gäbe es eine Bewegung und dass SYRIZA mit Recht behaupten kann, diese Bewegung zu repräsentieren. Dabei handelt es sich jedoch schlimmstenfalls um leere Phrasen und bestenfalls um den Versuch, das zu konstruieren, was gerne dargestellt würde. Zu den Problemen, die Griechenland wirklich bewegen, äußert sich SYRIZA nicht wirklich, jedenfalls nicht so, dass es die gesamte Gesellschaft ansprechen würde. Dazu würde gehören, den Rassismus zu thematisieren, die Repression durch Staat und Polizei, der Gefängnisse, die Beziehung zur Kirche etc. SYRIZA versucht hier etwas Unmögliches, aber aus seiner Perspektive Notweniges zu tun. Das Bündnis muss zwei gegensätzliche Kräfte vereinen: diejenigen, die es repräsentiert und diejenigen »durchschnittlichen« Griechen, die es zusätzlich repräsentieren müsste, um die politische Macht zu stabilisieren. Letztlich ist das »Griechisch-Sein« der gemeinsame Nenner zwischen einer landesweiten Bewegung und der traditionellen Basis der griechischen Gesellschaft.

Das Thema Antisemitismus verfolgt die linke und anarchistische Szene hartnäckig. Dabei ist es durchaus möglich, je nach Zeitpunkt und Situation, gleichzeitig als anti-antisemitisch und anti-zionistisch aufzutreten. Die Logik des Antisemitismus bestimmt grundlegend das politische Denken, sowohl bei der Analyse und Kritik des Kapitalismus als auch wenn es darum geht, als Teil des eigenen politischen Konzepts Feindbilder zu entwerfen. Die linke oder die anarchistische Szene Griechenlands beschäftigt sich analytisch kaum mit der Spezifik des Antisemitismus. Ein Großteil würde Antisemitismus auf einer abstrakten Ebene als eine Form des Rassismus durchaus ablehnen, gleichzeitig würden dieselben Menschen jedoch auf ihrem Recht beharren, Israel verbal und praktisch abzulehnen: Sie bezeichnen den israelischen Nationalismus und Rassismus als die Speerspitze reaktionärer Politik weltweit; und sie verurteilen Griechenlands strategische und militärische Kooperation mit Israel, nicht aufgrund der strategischen Vorgehensweise Griechenlands, sondern weil es sich um eine Kooperation mit dem vermeintlichen Stellvertreter der USA im mittleren Osten handelt.

Antifa Negative Tendenziell würden wir sagen, dass die Positionen der Mainstream-Linken unseren genau entgegenstehen. Aber einige Dinge, um einmal Café Morgenland zu zitieren, sind so falsch, dass auch ihr Gegenteil nicht richtig sein kann. Für uns stellt sich das folgendermaßen dar: Die Linken lieben ihr Volk so sehr, dass sie keine politischen Positionen entwickeln können, die die Griechen schlecht dastehen lassen könnte. Es wäre langweilig, euch die unterschiedlichen Gruppen und ihre jeweiligen Positionen zur Krise aufzuzählen. Aber wir können etwas über ihr Verhältnis zum Rassismus und zum Antisemitismus sagen. Der größte Teil der Linken einschließlich SYRIZA und der Kommunistischen Partei begreifen Rassismus als Folge der Krise und halten ihn für ein zweitrangiges Problem. Antisemitismus existiert in ihrer Wahrnehmung praktisch nicht. Nur ein sehr kleiner Teil der radikalen Linken räumt Antirassismus Priorität ein, fokussiert sich dabei aber auf Neonazis statt auf die griechische Gesellschaft im Allgemeinen. Dass Griechenland ein Land voller RassistInnen ist, ist eine so unpopuläre Position, dass wir die Gruppen, die sie vertreten, an einer Hand aufzählen könnten. Das bedeutet natürlich, dass die Auswahl möglicher politischer BündnispartnerInnen denkbar begrenzt ist.

Wer sich dem Antisemitismus, ganz zu schweigen vom Antizionismus, in der griechischen Gesellschaft und in der Linken entgegenstellt, findet sich schnell vollkommen isoliert wieder. Heutzutage findet man Kritik am Antisemitismus noch viel eher in einer konservativen als in einer linken Zeitung. Während ein rechter Ex-Nazitrainer und heutiger ND-Minister es als vielversprechende Taktik begreift, Juden für die Krise verantwortlich zu machen, kritisiert die griechische Linke den Staat dafür, zu nachgiebig gegenüber Israel zu sein. Griechische Linke bezichtigen die Regierung, besonders angesichts der militärischen Übungen zwischen Griechenland und Israel in den letzten drei Jahren, häufig des Pro-Zionismus. Wir sehen nicht, inwiefern sich das von den üblichen neonazistischen Verschwörungstheorien unterscheidet, nach denen »die Juden« angeblich die Regierung kontrollieren.

Phase 2 Welche sind eure politischen Strategien und eure entsprechenden Forderungen und Kritikpunkte insbesondere an die Adresse linksradikaler Gruppen?

Antifa Negative Um ehrlich zu sein – wir haben keinerlei Forderungen an die radikale Linke. Rassismus, Antisemitismus, Patriarchat und alles andere sind für uns Grund genug, von den meisten Gruppen enttäuscht zu sein. Aus unserer Perspektive sieht der griechische Antifaschismus so aus: Wenn Leute von uns auf antifaschistischen Demonstrationen antigriechische Slogans rufen oder »Griechenland halt’s Maul« an Wände sprühen gibt es regelmäßig Ärger; gleichzeitig wird einigen von uns vorgeworfen, albanische oder jüdische NationalistInnen zu sein. Was sollen wir von einer solchen Szene erwarten oder fordern?

Daher versuchen wir, Verbindungen mit solchen Gruppen zu etablieren, die nicht offen antisemitisch, sexistisch oder rassistisch sind. Eine der Gruppen mit denen wir zusammenarbeiten ist Terminal 119. Wir versuchen ebenso, keinerlei politischen Verbindungen zu Gruppen zu halten, die Räume für Diskussionen mit TäterInnen rassistischer Verbrechen öffnen. So gibt es zum Beispiel derzeit eine Debatte um einen Angriff auf MigrantInnen. Für einen Großteil der Szene sind die 15jährigen TäterInnen lediglich »Kids«, die vielleicht irgendwie vom Weg abgekommen seien. Für uns sind sie lediglich RassistInnen. Generell gibt es viele Ausreden und Entschuldigungen, seit neuestem ist es im »revolutionären Exarchia«?06 gängige Praxis, MigrantInnen zu jagen, nachdem sie zuvor als DrogendealerInnen denunziert wurden. Die AnarchistInnen begründen diese Angriffe damit, dass die DrogendealerInnen den Staat repräsentieren – die Jugend werde von ihnen mit Drogen versorgt, damit sie dann die radikale Szene infiltriere. Diese Verschwörungstheorie wird von vielen anarchistischen Gruppen vertreten und hat sogar zu Brandanschlägen auf besetzte Häuser in Exarchia geführt, die verdächtigt wurden, Hauptquartiere der Drogenmafia zu sein.

In einer derartig rassistischen und gefährlichen Atmosphäre ist die Kritik an typischen Problemen der radikalen Szene, wie das der unaufhörlichen Suche nach einem revolutionären Subjekt, zweitrangig. Dennoch versuchen wir unserer Kritik Gehör zu verschaffen und betonen dabei unsere Differenzen mit diesen ganzen Gruppen. Diese Praxis scheint uns fruchtbarer zu sein, als die Überzeugungsarbeit bei notorischen RassistInnen. Das sind die Gründe, warum wir sozusagen einen anti-sozialen politischen Weg gewählt haben, oder besser: auf diesen getrieben worden sind.

Unsere Gruppe wurde vor einem Jahr von MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen mit dem wesentlichen Ziel gegründet, die zweite migrantische Generation in Griechenland anzusprechen. Diese Generation umfasst diejenigen, die in Griechenland geboren wurden oder hier aufgewachsen sind und selbst Rassismus erfahren haben – zu einem gewissen Grad auch den Rassismus ihrer Eltern. Wir glauben, dass diese Generation viel zu sagen hat. Daher übersetzen wir einige unserer Texte oder Poster ins Albanische und Englische. Wir wollen uns mit den MigrantInnen der zweiten Generation verbinden, das ist ein Beispiel der von uns entwickelten Strategien im antifaschistischen Kampf.

Terminal 119 Tatsächlich hatte unsere Kritik, die wir in den letzten sieben Jahren unseres Bestehens formuliert haben, so gut wie keinen Einfluss auf die so genannte revolutionäre Bewegung. Nur wenige Menschen in Athen und in anderen Städten haben sich vor der Krise für unsere Analyse des griechischen Faschismus interessiert. Die heutige Situation ist sowohl auf analytischer als auch – und das ist besonders wichtig – auf praktischer Ebene erschreckend. Ironischerweise wurden unsere Warnungen zum griechischen Faschismus, Nationalismus, Antisemitismus und zu all den anderen griechischen Tugenden früher bestenfalls als purer Pessimismus verstanden oder nur als Ausdruck eines anti-sozialen Komplexes.

Es würde zu lang dauern, unsere Strategien, Kritiken und Forderungen zu erläutern. Daher wollen wir hier nur davon reden, wie aus unserer Sicht der heutige Faschismus bekämpft werden müsste. Um zu erklären, warum unser Ansatz marginal bleibt, müssen wir kurz auf die beiden anderen existierenden Strategien der griechischen Linken eingehen:

Die linke Partei SYRIZA kann es kaum erwarten, das Land zu regieren und spielt die faschistische Bedrohung lediglich aus einem Grund herunter: den nächsten Wahlen. Bei SYRIZA glauben sie, dass ein Engagement für MigrantInnen keine WählerInnenstimmen einbringt. Im Gegenteil: Sich für die Sache der MigrantInnen einzusetzen, kann dazu beitragen, Stimmen bei der nächsten Wahl einzubüßen. Außerdem wird SYRIZA nicht offen über den Rassismus in der griechischen Gesellschaft sprechen, da die Hälfte der WählerInnen aus eben dieser Gesellschaft ihre Zielgruppe bei den nächsten Wahlen (wann immer diese sein mögen) ist. Aus diesem Grund weigert sich SYRIZA, die Themen Rassismus und Nationalismus in Griechenland als Probleme anzuerkennen, die bereits vor Chrysi Avgi existierten. Das Erfolgsrezept des Bündnisses sieht also so aus: »Es gibt keinen Rassismus in Griechenland (also in der griechischen Gesellschaft), die Krise hat den Rassismus hervorgebracht, und natürlich Chrysi Avgi, die von der Krise und der gestiegenen Arbeitslosigkeit profitiert«. Unnötig zu sagen, dass das eine eher oberflächliche Position ist.

Die zweite Strategie der Linken wird von den außerparlamentarischen Gruppen und der anarchistischen Szene verfolgt. Einige von denen geben zu, dass tatsächlich Rassismus in der griechischen Gesellschaft existierte, sogar bereits vor der Krise. Allerdings suggeriert die Analyse hier gleichzeitig, dass sich jede Form von Rassismus und Nationalismus in Griechenland hauptsächlich durch die gut organisierte Propaganda der Nazis, einiger staatlicher und halbstaatlicher Lobbys sowie durch die Ignoranz der Leute etabliert hat. Wie ihr seht, sprechen diese Erklärungen sämtliche soziale Schichten der griechischen Gesellschaft von jeder Schuld und jeder Verantwortung für den Aufstieg und die Legitimierung des Faschismus frei. Die mangelnde Bereitschaft, die griechische Gesellschaft zu kritisieren, lässt sie lediglich dumme und tautologische Sichtweisen wie »Chrysi Avgi, das sind Nazis!« reproduzieren. Natürlich sind das Nazis, deswegen hat die griechische Gesellschaft sie ja gewählt!

Darum ist unsere Analyse heute nicht anders, als sie vor der Krise und dem Aufstieg der Nazis gewesen war. Wir glauben immer noch an einen militanten Antifaschismus, wir befürworten eine tiefer- und weitergehende Kritik an der griechischen Gesellschaft und ihrer rassistischen Avantgarde, sei sie nun links oder rechts. Und wir denken, dass MigrantInnen selbst vermutlich die einzigen sind, die faschistischen Aktivitäten auf lokaler Ebene Einhalt gebieten können, da sie die ersten waren, die schwere Verluste ertragen mussten. Wir unterstützen Koalitionen und Bündnisse zwischen gesellschaftlichen Minderheiten und politischen Antifagruppen, die wissen was Rassismus bedeutet und gewillt sind, sich zu wehren.

Solange die griechische Linke zuerst griechisch und dann links sein will, werden unsere Ansichten zu politischer Aktion und Orientierung marginal bleiben – das können wir bereits voraussagen. Wir sehen es als unsere Verantwortung, zu zeigen, dass es kein »MigrantInnen-Problem« gibt, sondern ein »griechisches Problem«. Diese Perspektive stärkt den eigenen politischen Standpunkt in einem Land, in dem MigrantInnen als »Problem« gesehen werden und in dem Antifaschismus lediglich eine Wahlstrategie ist oder zur Formierung einer Bewegung dient.

Phase 2 Ihr sagt, dass eure Kritik bisher keinen entscheidenden Einfluss auf eine linksradikale politische Praxis gehabt hat. Was könnten die Gründe dafür sein?

Terminal 119 Gute Frage. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. An dieser Stelle können wir nur einen wesentlichen erklären: So lange die griechische Gesellschaft ein »selektives Gedächtnis« hat oder unter »selektiver Amnesie« leidet, wird auch die Szene davon nicht ausgenommen sein. Die politische Analyse der linken beziehungsweise anarchistischen Szene basiert auf Fragmenten und bleibt daher fragmentiert. Zusammengehalten wird das Ganze nur durch Ideologie.

Ein Beispiel: Heute bringt niemand den Erfolg der Neonazis mit der speziellen Form der Politik in Verbindung, die sich mit der Indignados-Bewegung auf dem Syntagma-Platz vor zwei Jahren entwickelt hat. Waren die AnarchistInnen vor zwei Jahren noch bereit, die Revolution einzuleiten, sind sie heute gezwungen, sich mit beispiellosen Angriffen von FaschistInnen, weiten Teilen der Gesellschaft und dem Staat auseinanderzusetzen. Grundlegende Elemente ihrer Ideologie hinderten sie daran, wenigstens, sagen wir, »konservative« Entwicklungen auf dem Syntagma- Platz als solche zu erkennen. Am schlimmsten ist, dass sie den Blick auf etwas Offensichtliches verweigerten: Die Leute riefen immer öfter typisch faschistische Slogans wie die von Chrysi Avgi, wenn sie PolitikerInnen als »VerräterInnen« bezeichneten, Verräter an Griechenland. Doch die AnarchistInnen behaupten nach wie vor, dass Nationalismus und Rassismus ein Unternehmen von Staat und Kapital, und dass die wenigen, die auf die FaschistInnen hereinfallen, bloß arme desillusionierte Menschen sind.

Die Dominanz ideologischer Muster kann einen davon abhalten, die Wahrheit zu erkennen. Außerdem bringen das Fehlen einer stimmigen Analyse und eine selektive Erinnerung verständlicherweise viele Probleme mit sich. Zunächst einmal ist jemand, der/die sich nicht die politischen Positionen, die er/sie vor zwei Jahren vertreten hat »erinnern« kann, auch nicht in der Lage seine/ihre politischen Positionen zu überdenken oder gar zu ändern. Der Kern der Ideologie bleibt immer intakt. Daher kann eine Debatte auch nie produktiv sein. Fehlende Selbstkritik ist in der Regel ein Kennzeichen sich auflösender Bewegungen – und die griechische Bewegung ist eine solche, vor allem, weil sie auch rassistischen und nationalistischen Sichtweisen Raum gibt. Die Mehrheit der Szene hat uns vorgeworfen, in Bezug auf die faschistische Bedrohung und den Nationalismus/Antisemitismus in Griechenland zu übertreiben. Früher wurde angenommen, dass FaschistInnen bloß ein paar im Land verteilte Idioten seien. Heute, wo Chrysi Avgi im Parlament sitzt – und das ist, alles zusammengenommen, längst nicht schlimmste Entwicklung dieser Tage – reden alle in der Szene vom antifaschistischen Kampf.

Antifa Negative Ein Aufkleber, den einige aus unserer Gruppe letztes Jahr gestaltet haben, beantwortet eure Frage ganz gut: »Zuhause, bei der Arbeit, im Bus, auf der Demonstration oder während Du abhängst – jedes Mal wenn Dir irgendwelcher rassistischer Bullshit entweicht, kenne ich den Grund dafür: Tief in Deinem Inneren bist du griechisch!«

Um es anders zu sagen: Vor drei Wochen haben drei Gymnasiasten in Piräus einen anderen Gymnasiasten indischer Herkunft mit einem Seil an einen Baum gefesselt und ihn dann geschlagen. Sie wurden festgenommen und schließlich bestraft. Bei ihrem Schuldgeständnis bestanden sie aber darauf, dass ihre Motive keine rassistischen gewesen seien. Der Vorfall fand am helllichten Tage auf einer Hauptstraße in Piräus statt und niemand schritt ein, auch keine Erwachsenen. Im Gegenteil, in der Tageszeitung Ta Nea wurde berichtet, dass vorbeigehende PassantInnen den drei Tätern sogar noch applaudierten. Ganz ähnlich war die Reaktion der Mutter einer der Täter. Die/der gewöhnliche anarchistische AntifaschistIn würde nach dem Alter der Täter fragen, ihre Gefühle erforschen und sich danach erkundigen, ob die Eltern arbeitslos oder ob die Täter vielleicht am Morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden seien. Als nächstes würde es darum gehen, die Motive der Täter zu ergründen. Als nächstes würde man eine Demonstration am Tatort organisieren – vorausgesetzt, die Anwohnenden fühlten sich von der Lautstärke derselben nicht gestört. Schließlich würde die Nachbarschaft mit antifaschistischen Plakaten zugepflastert, als Zeichen der politischen Hegemonie im betreffenden Gebiet. Die Sprechchöre auf der Demonstration würden an die Täter und ihre Eltern appellieren, keine RassistInnen zu werden, sondern anarchistische Revolutionäre. Und zuletzt würde der Klassencharakter des Antifaschismus betont, da – den neuesten Analysen folgend – der schärfste Ausdruck des Kapitalismus der Faschismus sei. Wir würden einen anderen Weg des Umgangs wählen. Der Unterschied zwischen beiden Reaktionen ist auf hervorragende Weise in dem oben erwähnten Aufkleber deutlich gemacht.

Phase 2 Antifa Negative, ihr habt die sogenannte europäische Solidarität der Linken, besonders der deutschen Gruppen kritisiert, denen der Antizionismus der griechischen Gruppen egal ist oder die ihn sogar billigen. Terminal 119, ihr seid ebenso bekannt für eure Kritik an der Linken hinsichtlich ihres Antisemitismus und ihrer historischen Ignoranz. Könntet ihr bitte eure Position bzw. eure Kritik konkretisieren?

Antifa Negative Wir können eine Zusammenfassung des bereits Gesagten geben. Wir glauben, dass deutsche AntifaschistInnen, wollen sie in ihren politischen Aussagen konsistent bleiben, nicht inhaltliche Positionen dem Ausleben ihres »radikalen griechischen Traums« in Exarchia opfern sollten. Mit anderen Worten: Man kann nicht anti-antisemitisch in Deutschland und gleichzeitig pro-antisemitisch in Griechenland sein. Die Suche deutscher Linker nach dem revolutionären Himmel beziehungsweise Subjekt (vielleicht auch die antiimperialistischen Fantasien, die viele nach wie vor teilen), sollten nicht dazu führen, dass sie auf ihren revolutionären Ferienreisen die Augen vor problematischen Aspekten wie Antisemitismus oder Nationalismus verschließen. Es wäre das kleinere Problem, ginge es hier allein um die Konsistenz politischer Positionen. Unser Problem ist aber, dass mit der Unterstützung dieser Art des griechischen Anarchismus und Antifaschismus die Erfahrungen von MigrantInnen in Griechenland missachtet und der griechische Rassismus unterschätzt wird.

Terminal 119 Sich mit den Minderheiten einer jeweiligen Gesellschaft zu solidarisieren, ist eine essentielle Position für unsere Gruppe. Wir haben diese Position bei dem Versuch entwickelt, eine antifaschistische und feministische Politik konkret auf die Situation in Griechenland anzuwenden. Unsere Maxime aus der Beschäftigung mit den Machtverhältnissen und mit den mörderischen Ideen und Praktiken, wie sie der Faschismus bereithält sind, dass wir a) uns niemals scheuen sollten, die Verhältnisse und TäterInnen zu benennen und b) unsere antifaschistische Kritik an die Mehrheit der Gesellschaft richten sollten, die in den meisten Fällen die Haltung und das Verhalten der Individuen maßgeblich reguliert. Unsere Auseinandersetzung mit der Shoah hat uns, neben der gesellschaftlichen Verantwortung, die wesentliche Bedeutung individueller Verantwortung erkennen lassen. Café Morgenland hat das vor sechs Jahren in einer sehr prägnanten, inklusiven und nützlichen Art für jeden Zusammenhang problematisiert, der sich mit dem Holocaust auseinandersetzen und sich antifaschistisch engagieren möchte. Die Shoah, als wesentlicher Ausgangspunkt für jeden Antifaschismus, bestimmt maßgeblich unsere theoretische Arbeit: Die Auseinandersetzung mit dem Vernichtungsantisemitismus sollte jede sensible Person oder Gruppe dazu bringen, Israels Existenzrecht anzuerkennen. Die Existenz Israels verweist auf eine Lösung der jüdischen Frage, wie sie die europäischen AntisemitInnen im vorigen Jahrhundert gestellt haben. Heute darüber zu sprechen, ob Israel existieren sollte oder nicht, ist nur die »freundliche« Art, den Mord an Juden zu diskutieren.

Natürlich endet die Diskussion nicht an diesem Punkt. Das Comeback antisemitischer Deutungen während der 2000er Jahre, einhergehend mit der Wiederbelebung globaler Verschwörungstheorien und des Antizionismus, führte in Griechenland dazu, dass viele – egal ob aus der Linken oder der Rechten – diese Elemente des Hasses in ihre sozio-politischen Agenden übernommen haben. Wir führen gleichzeitig einen antinationalistischen und einen anti-antisemitischen Kampf, wenn wir, mit Sartre und Adorno, daran erinnern, dass die Kritik immer auf das Subjekt des Hasses, nicht auf sein Objekt zielen muss. Das ist natürlich eine Sisyphosarbeit.

Die »antisemitische Matrix«, um einen Terminus der letzten Gewinnerin des Adorno-Preises zu verwenden, ist performativer, inspirierender und verschafft mehr Freunde als alles andere. Ein Antisemit zu sein, zugegebenermaßen auch in Griechenland, repräsentiert eine Identität, die ihrem Träger beziehungsweise ihrer Trägerin den Zugang zu jedem Club, jeder Verbindung oder Gruppe verschafft. Zehntausende Poster und Banner dekorieren derzeit die Straßen Athens, auf denen ein Davidsstern, der zu einem Hakenkreuz wird zu sehen ist – das Markenzeichen einer neuen Liveshow des altlinken Sängers und Schauspielers Jimmis Panoussis. Der Mann konnte mehrmals in 2009 in seiner täglichen Radiosendung »Juden, Schweine, Mörder!« rufen. Interessiert hat das nicht sehr viele und verurteilt wurde er dafür nicht.

Die radikale Szene ist keine Ausnahme: Antisemitismus wird nach wie vor nicht problematisiert. Allerdings stellen wir fest, dass, acht Jahre nachdem wir 2005 unser erstes Kommuniqué zu Nationalismus und Antisemitismus in Thessaloniki veröffentlicht haben und sechs Jahre nach der ersten und zweiten Ausgabe von Terminal 119 gegen Antisemitismus in 2007, einige junge Leute in der Szene auf die Problematik aufmerksam geworden sind. Unsere Kritik hat mittlerweile eine gewisse Resonanz – viel mehr, als wir uns vorstellen konnten, bedenkt man wie klein unsere Gruppe ist und wie begrenzt unsere Möglichkeiten sind. Gleichzeitig haben wir uns viele Feinde gemacht. Doch lasst uns das Interview nicht mit negativen Gedanken beenden. Eine positive Entwicklung der derzeitigen Krise ist, dass der Antiimperialismus, und auch zu einem gewissen Grad der Antisemitismus, an Prestige eingebüßt haben. Natürlich ist das aus den falschen Gründen passiert: Die USA sind beliebter geworden beim griechischen Staat (und natürlich bei »seinen« Linken), da der Internationale Währungsfonds durch die Krise eine Menge Geld in Griechenland gesteckt hat. Das sind, wie gesagt, die falschen Gründe, dennoch finden wir das OK. Seht Ihr? Die Krise hat tatsächlich etwas Gutes!

Phase 2 Vielen Dank für das Gespräch!