Rumble in the Randstad

Die niederländische Partei DENK zwischen linkem Diversitätsanspruch und autoritärer Mittelschichtsideologie

In den Niederlanden wird fieberhaft nach einer neuen nationalen Identität gesucht. Dabei geben RechtspopulistInnen den Ton an. Die Gründung der Partei DENK, die im Jahr 2017 erstmals zu den Wahlen zum niederländischen Parlament, dem Tweede Kamer, antreten will, stellt einen Antwortversuch auf die anhaltenden Wahlerfolge der kulturalistischen und rassistischen Politik der Partij voor de Vrijheid (PVV) dar. Die identitätspolitische Ausrichtung könnte DENK beim Parlamentseinzug helfen. Doch die junge Partei offenbart in mehr als nur einer Hinsicht autoritäre Politikvorstellungen, die mit ihrem Selbstverständnis als progressive Alternative kollidieren.

Als eines der ersten Länder Europas konnte sich in den Niederlanden eine rechtspopulistische Stimmung formieren, die sich mit der PVV von Geert Wilders auch langfristig institutionell verankert hat. Ihre Rhetorik und Ideologie sind zwar vergleichbar mit derjenigen der Front National (FN) in Frankreich und der UK Independence Party (UKIP) im Vereinigten Königreich. Doch die Konjunkturgeschichte des Rechtspopulismus in den Niederlanden unterscheidet sich von den Nachbarstaaten dadurch, dass sie in zwei politische – islamistisch bzw. links-ökologisch motivierte – Morde eingebettet ist. Diese und das Unvermögen der Linken, mit ihnen kritisch und selbstkritisch umzugehen, hatten einen nachhaltigen Einfluss auf die öffentliche Debatte in den Niederlanden, in deren Folge sowohl der Rassismus als auch das Ressentiment gegen das »links-grüne Establishment« befeuert wurde. Diese Besonderheit drückt sich in einer inneren Zerrissenheit, sowohl der sozialdemokratischen Partij van de Arbeid als auch der liberal-konservativen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie, aus. Sie waren es, aus denen sich die tonangebenden RechtspopulistInnen wie der ermordete Pim Fortuyn, Rita Verdonk und Geert Wilders in den Niederlanden rekrutierten.

Wie fast jede westeuropäische sozialdemokratische Partei haben auch die SozialdemokratInnen in den Niederlanden eine längere Geschichte der Spaltungen und Abspaltungen zu verkraften gehabt, bis sie sich in den 1960er Jahren als Volkspartei etablieren konnten. Doch die jüngsten Zerwürfnisse sind bezeichnend für eine zunehmend identitär aufgeladene Debatte in der niederländischen Gesellschaft. Unter dem Eindruck der Terroranschläge auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001, hatte sich in Rotterdam der ehemalige Marxist und zu dem Zeitpunkt hoch angesehene Sozialdemokrat Pim Fortuyn mit der Lijst Pim Fortuyn von der Sozialdemokratie abgespalten. Mit seiner Parteigründung konnte Fortuyn in den Rotterdamer Stadtratswahlen einen überraschenden Wahlerfolg erzielen, indem er mittels rechtspopulistischer Rhetorik vor Gefahren des Islam warnte. Die Ermordung Fortuyns kurz vor den niederländischen Parlamentswahlen im Jahr 2002 durch den linken Öko-Aktivisten Volkert van der Graaf schockierte die niederländische politische Öffentlichkeit nachhaltig. Auch dadurch konnte die Liste in der Folge aus dem Stand 26 der insgesamt 150 Parlamentssitze erringen.

Im selben Kontext kann für die Volkspartij voor Vrijheid en Democratie die Ausbürgerung der liberalen Politikerin und Publizistin Ayaan Hirsi Ali als Zäsur verstanden werden. Im Jahr 2004 wandte sie sich von ihrer Partei ab, weil ihre Parteikollegin, die damalige »Migrations- und Integrationsministerin« Rita Verdonk (später Mitglied in der nationalistischen Partei Trots op Nederland) Ali nach einer Untersuchung zu ihrem Asylantrag die niederländische Staatsbürgerschaft aberkannt und die Volkspartei sich aus taktischen Gründen nicht hinter Ali gestellt hatte. Im September desselben Jahres verließ auch Geert Wilders die Partei, dieser jedoch aufgrund ihrer, wie er befand, zu laschen Asyl- und Migrationspolitik.

Knapp zwei Monate nach dem Austritt Wilders’, am 2. November 2004, wurde der Regisseur Theo van Gogh in Amsterdam auf offener Straße ermordet. Kurz zuvor hatten Ali und van Gogh zusammen den Film Submission gedreht, in dem sie die patriarchale Struktur des Islam szenisch kritisierten – für Islamisten weltweit galt der Film als Beleidigung ihrer Religion. Der Mord an van Gogh durch den niederländischen Islamisten Mohammed Bouyeri verschärfte die ohnehin schon virulente ethnisierte Konfliktlinie zwischen sogenannten AllochthonenNiederländische StaatsbürgerInnen und MigrantInnen der 2. und 3. Generation, oftmals aus den ehemaligen Kolonien aber auch aus Marokko oder der Türkei. und selbsterklärten Autochthonen weiter, auch aufgrund des marokkanischen Migrationshintergrundes Bouyeris. Begünstigt durch diese beiden Morde schaffte es die von Geert Wilders gegründete PVV in den Folgejahren an die Erfolge von Fortuyn anzuknüpfen. Der politische Druck auf die etablierten Parteien ist inzwischen so groß geworden, dass sie Ende November im Tweede Kamer das umstrittene »Boerkaverbod« verabschiedet haben. Dem Gesetz zufolge ist es in den Niederlanden in Zukunft verboten, Burkas und andere Kleidungsstücke, die dazu dienen, die Identität zu verhüllen, in öffentlichen Einrichtungen zu tragen.

Identitäre Symbolpolitik um Sinterklaas

Die rechtspopulistische Partei, laut Wahlumfragen im Dezember stärkste Partei im niederländischen Parlament, ist folgerichtig auch eine der ProtagonistInnen in einem Streit über Rassismus in den Niederlanden, der den seit Jahren schon existierenden ideologischen Riss in der Gesellschaft symbolisch offen zutage treten lässt: die Ankunft von Sinterklaas und seinen Helfern. Das umstrittene Ritual steht den KritikerInnen zufolge sinnbildlich für die dominante weiße Kultur und reproduziere auf der symbolischen Ebene den strukturellen Ausschluss von sogenannten Allochthonen aus der niederländischen Gesellschaft. Zwar erst seit 1953 offiziell praktiziert, wird dieses Ritual in den rechtspopulistischen Positionen seinerseits zu einem essentiellen Bestandteil der niederländischen Kultur stilisiert und so zur Symbolfigur für den andauernden Prozess des nation building in den Niederlanden.

Jedes Jahr Mitte November reitet Sinterklaas auf seinem weißen Schimmel in aufwändig inszenierten Umzügen durch die niederländischen Klein- und Großstädte. Er wird von Helfern mit dem Kollektivnamen Zwarte Piet umgeben, traditionell weiße Männer, die schwarz geschminkt werden. Diese entindividualisierten Helfer sind mit Ruten ausgestattet und dazu da, Kinder, die das Jahr über unartig waren, zu bestrafen. Erziehung zur Angst, Stereotypisierung und Blackfacing, eine rassistische Praxis mit direkter Verbindung zur niederländischen Kolonialgeschichte, sind somit Teil eines öffentlich institutionalisierten Rituals, dem jährlich hunderttausende von Kindern in den Niederlanden entgegenfiebern.

In verschiedenen Städten, wie dem mittlerweile wichtigsten Wirtschafts- und Handelszentrum Rotterdam, formierten sich darum auch in diesem Jahr Proteste. Dabei konnten die KritikerInnen bereits erste Erfolge erzielen. Die von RechtspopulistInnen als Hochburg des »linken Establishments« verschriene Hauptstadt Amsterdam verzichtete dieses Jahr auf die Figur des Zwarte Piet und führte stattdessen alternative Pieten, wie Schoorsteen Piet (Schornstein Piet) ein. Zur Begründung führte der Organisator des Umzugs in Amsterdam, Pam Evenhuis, an, dass es Menschen in Amsterdam gebe, »die noch nie etwas von Sinterklaas gehört« hätten. »Wir wollen«, so betont er in einem Interview mit der Tageszeitung Volkskrant, »das Fest für alle zugänglich machen.« Die Kritik am Ritual rief ihrerseits Empörung hervor. So betonte Geert Wilders, dass Zwarte Piet zum Kern der niederländischen »Kultur« gehöre, weshalb er bereits vor zwei Jahren in einem Interview mit der Tageszeitung Algemeen Dagblad sagte, dass die »Debatte um Zwarte Piet« ihn »wütend« mache. Seine rechtspopulistische PVV hatte im selben Jahr angekündigt, ein Gesetz verabschieden zu wollen, damit »Zwarte Piet schwarz bleibt«.

So weit, so schlecht, könnte man denken. Denn in dieser Hinsicht unterscheidet sich die Debatte in den Niederlanden kaum von den rechtspopulistischen Mobilisierungen in anderen nord- und westeuropäischen Ländern. Parallel zu dieser Debatte hat sich in den Niederlanden jedoch mit DENK im Jahr 2015 auf parlamentarischer Ebene eine Partei gegründet, die beansprucht eine Repräsentationslücke in der niederländischen Politik zu füllen, indem sie den von »institutionellem Rassismus« und »Diskriminierung« Betroffenen eine Stimme geben will. Sie begreift sich damit als explizite Gegenbewegung zum Aufstieg der RechtspopulistInnen.

Mit Diversitätsversprechen in linkem Gewässer

Der Vorwurf mangelnder Kritik am Kulturalismus und Rassismus in der niederländischen Sozialdemokratie führte die beiden Parlamentsvertreter der Partij van de Arbeid Tunahan Kuzu und Selçuk Öztürk dazu, die Integrationspolitik der Partei zu kritisieren. Darüber hinaus lehnen Kuzu und Öztürk es ab, von einem Völkermord an den Armeniern zu sprechen. Nach einem parteiinternen Streit über die Frage nach der Haltung der PvdA zur Debatte um die Anerkennung des Genozids, entschied sich die sozialdemokratische Führung im Jahr 2014 dazu, die beiden Mitglieder aus ihren Reihen zu entlassen. Daraufhin formten sie zunächst eine neue Gruppe im Tweede Kamer und bereiteten mit DENK eine eigene Parteigründung vor, die 2015 schließlich aus der Taufe gehoben wurde.

In ihrem jüngst – zur anstehenden Parlamentswahl im März 2017 – veröffentlichten Parteiprogramm verschreibt sie sich sozialpolitisch einer national-keynesianischen Umverteilungspolitik Zum Begriff des National-Keynesianismus vgl. den Vortrag von Thomas Ebermann bei den Untüchtigen aus dem Jahr 2015: http://bit.ly/2kgba5w.,typo3/ die sich in erster Linie an die sogenannten Mittelschichten orientiert, weshalb sie sich für die Förderung und den Schutz von mittelständischem Kapital einsetzt. Dadurch transformiert auch DENK den Klassenwiderspruch in einen Scheinwiderspruch zwischen Nationalökonomie und Finanzkapital. Von dieser Mittelschichtsorientierung verspricht sie sich, mit den etablierten Parteien um die Deutungshoheit über das nationale Gemeinwohl konkurrieren zu können. So schreibt Kuzu im Vorwort zum Wahlprogramm Denkend an die Niederlande: »Ich denke voller Liebe im Herzen an dieses Land.« Wenn nicht anders angegeben, stammen die Zitate aus dem Wahlprogramm und Impulspapier von DENK, die auf der Parteiseite (www.bewegingdenk.nl) heruntergeladen werden können. Darüber hinaus legt die Partei immer wieder den Fokus ihrer Rhetorik auf die »Bekämpfung von Rassismus und der Förderung von Toleranz und Diversität« Paul Lucardi, DENK partijgeschiedenis, 17. November 2016, http://bit.ly/2k5U8ow.typo3/, womit sie beansprucht, zu einer Pluralisierung der niederländischen politischen Landschaft beizutragen. Folgerichtig plädiert sie dafür, die Niederlande »an alle Niederländer zurück zu geben«. Mit diesem Inklusionsversprechen betont DENK explizit, dass es ihr darum geht an einer neuen nationalen Identität zu stricken und damit ein alternatives Modell zur Programmatik der rechtspopulistischen PVV zu bieten. So verpflichtet sie sich auf die Bekämpfung von Sexismus und auf eine Kritik an »wachsenden Tendenzen von Alltagsformen von Xenophobie, Homophobie, Islamophobie, Muslimhass, Afrophobie, Antisemitismus und Rassismus in unserer Gesellschaft.«

In ihrem Kampf gegen Sexismus verbleibt die Partei jedoch vor allem auf der Ebene sozio-ökonomischer Reformen. So äußert sie sich nicht zum Selbstbestimmungsrecht von Frauen: Weder geht die Partei auf das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, noch auf Forderungen zur Stärkung der sexuellen Selbstbestimmung ein. Lediglich in einer Randnotiz, in der es allgemein um »Belästigung« geht, weist sie darauf hin, dass in den Niederlanden 73% der Frauen Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht hätten – daraus leitet die Partei aber keine politischen Forderungen ab. In ihrem Parteiprogramm lassen sich ebenso wenig konkrete Vorschläge zur Bekämpfung von Homophobie finden, sodass die Vermutung naheliegt, dass ihre Proklamation in der Diversitätsklausel lediglich als Lippenbekenntnis zu werten ist. Diese Einschätzung teilt auch die TV-Moderatorin Sylvana Simons, die im Dezember 2016 die Partei verlassen hat. Sie begründet ihren Austritt aus der Partei damit, dass sie sich kaum für die »Frauen- und Homoemanzipation« einsetze. Im Parteiprogramm lässt sich überdies keinerlei Positionierung gegen den Hass auf Inter- und Transpersonen finden.

Durch diese Leerstellen spielt Sexualität im Wahlprogramm von DENK nur ein einziges Mal eine Rolle, nämlich wenn es um die Bestrafung von »Kindesmissbrauch« geht. In der entsprechenden Klausel fordert die Partei im Sinne einer »sicheren Gesellschaft« neben einer »Behandlung« auch eine schärfere Bestrafung von »Kindesmissbrauch durch chemische Kastration«. Abgesehen davon, dass vollkommen unbestimmt bleibt, was die Partei unter einer »Behandlung« fasst, scheint sie in diesem Programmpunkt eine rigide und patriarchale Sexualmoral zu vertreten. Einer solchen, von Sanktions- und Rachebedürfnis geprägten Kastrationsforderung, liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich »Kindesmissbrauch« durch Härte – symbolisiert durch körperliche »Entmannung« – »chemisch« auslöschen ließe.

Zugleich drückt sich in dieser Forderung der Wunsch nach einer höheren Form der Bestrafung aus, womit implizit eine intakte, normale und gesunde männliche Sexualität vorausgesetzt wird. Diese Vorstellung korrespondiert damit, dass die Partei keine Forderungen zur sexuellen Selbstbestimmung von Frauen und zur Bekämpfung von Homophobie aufstellt. Sie verbleibt so im Bereich der Sexualpolitik im heterosexuell-androzentrischen Weltbild und rückt zugleich in die Nähe von autoritären bis faschistischen Ansätzen. So forderte die NPD bereits 2009 eine »chemische Kastration« für »Kinderschänder«. Darauf, dass auch katholische und erzkonservative DemokratInnen für solche Forderungen offen sind, verweist, dass Polen im Oktober 2010 die »chemische Kastration von Pädophilen« eingeführt hat.typo3/ So scheint im Bedürfnis, Pädophilie durch »Kastration« bestrafen zu wollen, eine Vorstellung von Sexualität durch, die im Kern durch biologische Merkmale bestimmt und auf das männliche Genital fixiert ist. Die Kritik und Bekämpfung des gesamtgesellschaftlichen Problems Pädophilie wird dadurch individualisiert und auf abnorme biologische Prozesse verkürzt.

Insofern bleibt auf der inhaltlichen Ebene von DENKs Diversitäts- und Fortschrittsanspruch wenig übrig. Vielmehr erscheint die Klausel als Ticket, um jene linken WählerInnen anzusprechen, die ein unbestimmtes Unbehagen gegenüber gesellschaftlicher Ungleichheit und Ungerechtigkeit empfinden.

Mit Identitätspolitik gegen Rassismus

Das Hauptbetätigungsfeld von DENK ist der Kampf gegen Rassismus in der niederländischen Gesellschaft. Obwohl die Partei zögert, MigrantInnen explizit als ihre Interessengruppe zu definieren, weil sie hinter ihrem eigenen Anspruch zurückfallen würde, wenn sie alle NiederländerInnen, die von Rassismus betroffen sind, als MigrantInnen identifizierte, tritt sie dennoch rhetorisch mit einem identitätspolitischen Anspruch an. Darum betont der Parteienforscher Paul Lucardi, dass sich die Partei »vor allem (aber nicht ausschließlich) auf Migranten« fokussiere. Insofern zielt DENK primär darauf ab, Betroffene von Rassismus in ihrem Alltagserleben anzusprechen und, daraus abgeleitet, Forderungen nach Reformen der niederländischen Gesellschaft aufzustellen. Grundsätzlich stellt sie in ihrem Programm wiederholt heraus, dass Migration so alt ist wie die niederländische Gesellschaft selbst, womit sie mit nationalen Mythen aufräumen will, denen zufolge die Niederländer ein homogenes Volk seien, die als Autochthone die Werte der Aufklärung gebaren hätten.

Mit ihrer Kritik am Rassismus, sowohl auf institutioneller als auch auf diskursiver Ebene, spricht die Partei virulente Probleme der niederländischen Gesellschaft an, in der geringe Aufstiegschancen, struktureller Rassismus, Segregation und Diskriminierung von sogenannten Allochthonen schon seit Jahren konstatiert, diskutiert, aber wenig effektiv bekämpft worden sind. In ihrem Positionspapier zur Bekämpfung von Diskriminierung vom Oktober 2016 fordert DENK darum beispielsweise eine Überarbeitung von Schulbüchern, die »verfälschende Stigmatisierungen von gesellschaftlichen Gruppen« reproduzieren würden, sowie eine Reform des Schulwesens, das aktuell zur Segregation beitrage. Darüber hinaus fordert die Partei in ihrem Fünf-Punkte-Programm eine breite gesellschaftliche Aufarbeitung der niederländischen Kolonialgeschichte, da ihr zufolge nur eine Gesellschaft, die unbewusst tradierte rassistische Stigmata zu Bewusstsein bringt, eine Gesellschaft der Gleichberechtigung sein könne.

Zudem stellt die junge Partei weitreichende Forderungen zur Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, zur Verbesserung von Melde- und Beschwerdemöglichkeiten von »rassistischen Äußerungen« und schließlich zur Sensibilisierung von RichterInnen, Polizei- und anderen BeamtInnen auf. Durch Fortbildungsprogramme soll verhindert werden, dass »Menschen mit Migrationshintergrund« aufgrund von »unbewussten« rassistischen Stereotypen »öfter und zu höheren Strafen verurteilt« werden. Die Programmatik der Partei hebt hier auf die Emotionalisierung von Diskriminierungserfahrungen und das Empowerment von Betroffenen ab und funktioniert – neben den erwähnten sozialpolitischen Forderungen und institutionellen Reformvorschlägen zur Bekämpfung des Rassismus in Bildungs- und öffentlichen Einrichtungen – auch über Sprach- und Kulturkritik, die wie aktuell überall medial breit rezipiert und diskutiert wird.

In dieser Hinsicht bleibt jedoch der zugrunde liegende Rassismusbegriff inhaltlich kaum bestimmt und verlässt nie die Ebene des »bewussten oder unbewussten Stigmas«. Dadurch erscheint der Rassismus letztlich als Artefakt der niederländischen Kolonialgeschichte und als etabliertes Vorurteil in den Köpfen der weißen NiederländerInnen, wodurch die Partei im moralisierenden Narrativ von der (gleichwohl unbewussten) rassistischen Mehrheitsgesellschaft gegenüber einer betroffenen Minderheit verbleibt und auch in dieser Hinsicht keine gesellschaftskritischen Impulse gibt. Die bereits erwähnte Nähe der beiden Gründungsmitglieder Kuzu und Öztürk zum türkisch-nationalistischen Narrativ bezüglich des Genozids an den ArmenierInnen und die Tatsache, dass sie sich zum Vorgehen der AKP-geführten Regierung gegen KurdInnen in der Türkei nicht verhalten, deutet darüber hinaus auf eine autoritäre Einstellung hin. Diese Probleme führten Taylan Devrim in einem Artikel in der antirassistischen Zeitschrift Doorbraak von Februar 2015 zum Urteil, dass die »türkisch-niederländische Partei DENK nicht in der antirassistischen Bewegung Zuhause« sein könne.

In dem Zusammenhang reproduziert die Partei auch das Problem, dass sie den Antisemitismus zwar moralisch auf die Agenda setzt, ihn inhaltlich aber weitestgehend unbearbeitet lässt, was sich auch im Parteiprogramm von DENK widerspiegelt. Ein Problem, das auch bei Devrim zum Ausdruck zu kommen scheint, wenn er auf seiner Facebookseite einen Artikel von Rutilio Grande empfiehlt, in dem dieser über das Verhältnis von Geert Wilders zu Israel schreibt. Darin behauptet Grande, dass Wilders in die »Fußspuren der Apartheidspolitik von Südafrika und Israel« trete. In dem Zusammenhang legt er noch einmal nach und setzt, vermittelt über die Rezeption einer Aussage des ehemaligen südafrikanischen Staats- und Ministerpräsidenten Balthazar Johannes Vorster, der Südafrika mit dem Nationalsozialismus verglich, auch Israel mit dem Nationalsozialismus gleich (http://bit.ly/2k60hRI).

Offene Flanke Antisemitismus

In ihrem Programm findet der Antisemitismus genau einmal Erwähnung, nämlich als Bestandteil von »Hass« im Allgemeinen. Doch bleibt es nicht bei dieser Lücke. Die mangelnde Bereitschaft, sich inhaltlich und praktisch mit Antisemitismus auseinanderzusetzen führt auch bei DENK dazu, dass antisemitische Äußerungen und Verhaltensweisen einzelner Parteimitglieder nicht oder nur inkonsequent kritisiert, geschweige denn sanktioniert werden.

Diese Deutung bestätigt sich mit Blick auf die einseitige Positionierung von DENK im »Israel-Palästina-Konflikt«. Darin beklagt die Partei das Leid der PalästinenserInnen, die lediglich als Opfer einer westlichen Übermacht erscheinen. Auf Facebook erwies sie »dem palästinensischen Volk« am 29. November ihre volle Solidarität. Sie schreibt dazu auch in ihrem Parteiprogramm, dass DENK »das Unrecht der Folgen des Palästinensisch-Israelischen Dramas« beklage, um im Anschluss auf die vermeintlichen Verantwortlichen zu sprechen zu kommen: Die letzten »israelischen Regierungen erhalten das Unrecht aufrecht.« Darum spricht DENK sich für eine »sofortige Anerkennung des palästinensischen Staates« und »für ein Importverbot von Produkten aus illegalen israelischen Siedlungen« aus. Darüber hinaus fordert die Partei, dass die niederländische Regierung »Investitionen für Entwicklungsprojekte in Palästina« von der »israelischen Regierung« zurückfordern soll, die »nachgewiesenermaßen durch die israelische Regierung zerstört« worden seien.

Mit dieser einseitigen Solidarisierung geht die Partei auf einen weit geteilten anti-israelischen Konsens innerhalb ihrer Basis und Parteiführung ein. Die Ablehnung des israelischen Staates geht bei Kuzu, Parteivorsitzender und Gründungsmitglied, so weit, dass er im September 2016 dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu gegenüber bei einem Empfang den Handschlag verweigerte und somit einen politischen Eklat provozierte. Zudem greift er in einem Statement zum »Israel-Palästina«-Konflikt auf Youtube die einseitige Schuldzuschreibung der weltweit agierenden Kampagne Boycott, Divestment, Sanctions- (BDS) gegenüber Israel auf. Die BDS-Bewegung, deren »Existenzrecht« Kuzu in rhetorischer Anlehnung an das Existenzrecht Israels einfordert und mit der er sich explizit solidarisiert, wird unter anderem vom Antisemitismusforscher Samuel Salzborn als »nicht nur antiisraelisch, sondern auch antisemitisch« eingestuft. Als Reaktion auf den bereits erhobenen Vorwurf, er bediene antisemitische Ressentiments, verweist Kuzu darauf, dass die »Antisemitismuskarte« lediglich gezogen werde, um KritikerInnen des israelischen Staates »mundtot« zu machen. Anders als im Parteiprogramm behauptet, erscheint die Kritik am Antisemitismus eher als politisches Hindernis, denn als Kernelement der Diversitätsklausel.

Überfällig aber nicht progressiv

Eine politische Gegenbewegung zu den rechtspopulistischen Mobilisierungserfolgen der europäischen Rechten war längst überfällig. Als solche leistet DENK einen Beitrag zur Popularisierung der Kritik am Rassismus und Kulturalismus in der niederländischen Gesellschaft. Die Tatsache, dass das ehemalige DENK-Mitglied Sylvana Simons unter Polizeischutz steht, weil sie mit sexistisch und rassistisch motivierten Beleidigungen und Morddrohungen konfrontiert ist, ist für die Notwendigkeit der Kritik und Bekämpfung des Rassismus ein deutlicher Beleg. Doch begegnet die Partei dem identitären Kulturalismus und Rassismus der RechtspopulistInnen ihrerseits mit einer positiv gewendeten Identitätspolitik, die sie für rechte und autoritäre Deutungsangebote anfällig macht. Diese Identitätspolitik führt die Partei zu einer mangelnden inhaltlichen Bestimmung des Rassismusbegriffs und nicht zuletzt zu einer unkritischen Haltung gegenüber Antisemitismus, sodass sich ihr progressives Selbstverständnis ins Gegenteil verkehrt. Die einseitige Positionierung von Kuzu im »Israel-Palästina Konflikt« ist dabei Ausdruck der identitätspolitischen Frontstellung gegen einen seinerseits kulturalisiert verstandenen und zu »anti-muslimischem Rassismus« verflachten Rassismus.

Will DENK ihrer progressiven Selbstdarstellung gerecht werden und sowohl ihre offene Flanke zum Antisemitismus schließen, als auch in den Themenfeldern Sexismus, Homophobie und Klassenverhältnis einen progressiven Beitrag leisten, müsste sie sich inhaltlich von ihrem identitätspolitischen Primat verabschieden. Dabei müsste sie eine überfällige Debatte über den Antisemitismus, Sexismus und Autoritarismus – auch in ihren eigenen Reihen – führen, um auch islamistischen Deutungsangeboten konsequent entgegentreten zu können. Bis dahin bleibt zu hoffen, dass die Partei erfolgreich genug ist, um die niederländischen Linksparteien zu einer schärferen Kritik am Rassismus zu bewegen, aber nicht erfolgreich genug, um direkten Einfluss auf die niederländische Politik auszuüben.

Felix Sassmannshausen

Der Autor interessiert sich für die Schriften Franz L. Neumanns und arbeitet an einer Aktualisierung seiner politischen Theorie vor dem Hintergrund der strukturellen Krise des Kapitals.