Same procedure as last year?

Die Gleichsetzung von Friedens- und Globalisierungsbewegung verschleiert mehr als sie aufdeckt

Die Diskussionen um die sogenannte Globalisierungsbewegung und den Umgang mit dieser scheint für die radikale Linke ein Dauerthema zu sein. Verschiedene Broschüren, Artikel und Kongresse, wie zuletzt der SPOG-Kongress(1) in München, zeugen davon. Allein die Schwerpunkte der Kritik verschieben sich ab und zu. Vom strukturellen Antisemitismus, der unter anderem in der Fixierung der Angriffe auf globale Finanzinstitutionen und der entsprechenden Kritik der Finanzmärkte liegt, über die Affirmation von sozialstaatlich regulierenden Nationen, über die Zähmung des »Raubtierkapitalismus«, ist nun in Deutschland zumindest der Antiamerikanismus der GipfelstürmerInnen ins Zentrum der Kritik geraten. Eine Entwicklung, die durch die mehrheitlich national-pazifistisch gesinnte deutsche Friedensbewegung beschleunigt und bestätigt wurde. All zu weit liegen die jeweiligen Kritikpunkte damit nicht auseinander und lassen sich am Ende fast zur Gänze auf das Problem einer verkürzten Kapitalismuskritik herunterbrechen. Doch diese scheinbar simple Feststellung stellt die radikale Linke vor bisher ungelöste Fragen und Probleme.
 

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern

Diese Probleme haben sich für die radikale Linke, anlässlich des Irakkrieges und des Comebacks der deutschen Friedensbewegung verschärft. Auf den friedensbewegten Demonstrationen tummelten sich die gleichen Gruppierungen, wie sie auf jedem Gipfelprotest anzutreffen sind, nur diesmal im Verbund mit der deutschen Bevölkerung, die bei vielen Aktionen eine hohe inhaltliche Schnittmenge, mit den von Attac und ähnlichen Gruppen vorgegebenen Parolen aufwies. Die gut gepflegten Ressentiments der Deutschen gegen Amerika verhielten sich auffallend passgenau zu den Forderungen dieser Gruppen, die immer schon mehr staatliche Souveränität gegenüber den Finanzmärkten forderten. Um die letzte verbliebene Supermacht im Zaum zu halten, wurde einerseits der Bruch der Nato-Bündnisverpflichtungen gefordert, um mehr staatliche Handlungsfähigkeit im Interesse von Frieden und Deutschland zu erlangen, anderseits sollte sich Rot-Grün als Hüter der internationalen Rechtsordnung aufspielen, die sich allein an der jeweils passenden deutschen Leseweise der UN-Charter orientierte.

Dass in dieser unheiligen Allianz der Straße kaum noch BündnispartnerInnen zu finden sind, war für einen Teil der radikalen Linken der logische Schluss, der auch gleich auf die Globalisierungsbewegung übertragen wurde. Hatte sich nicht die immer schon formulierte Kritik bestätigt? Die beschriebenen Einfallstüren für nationalistische und antisemitische Ausfälle in dem theoretischen Handwerkzeug der No-Globals waren zwischen Februar und Mai 2003 nicht nur soweit geöffnet wie kaum zuvor, vielmehr marschierten auch teilweise die reaktionärsten Teile der deutschen Bevölkerung hindurch.

Aufgrund dieser Verbindung und Vermischung von Teilen der Globalisierungsbewegung, wie Attac und sonstigen Gutmenschen, mit der deutschen Friedensbewegung müssen auch die nächsten Gipfelproteste einer neuen Bewertung unterzogen werden. So resümierte die Redaktionsgruppe der Phase 2 aus Leipzig, nachdem es um das Verhältnis zur deutschen Friedensbewegung entsprechend der aktuellen gesellschaftlichen Situation in Deutschland ging – und zu dieser eine klare Gegenposition gefordert wurde – gleich mit: »[...],die Notwendigkeit eindeutig gegen das nationale Projekt Stellung zu beziehen und die Möglichkeit einer Gesellschaftskritik aufzuzeigen, [...], verbietet die Beteiligung an der Antiglobalisierungsbewegung.«(2) Trotz der Parallelität von einigen Gruppen und auch Inhalten, die sich in den beiden Bewegungen finden, erscheint es wenig differenziert, beide über den gleichen Kamm zu scheren. Kann doch mit Sicherheit behauptet werden, dass es nicht die national gesinnten Teile der Friedensbewegung sein werden, die beim nächsten EU-Gipfel für eine einheitlichere EU-Außenpolitik demonstrieren werden, um endlich den USA zumindest auf diplomatischer Ebene eine adäquate Gegenmacht gegenüberstellen zu können. Sicherlich werden die anderen üblichen Verdächtigen wieder da sein, um an die politischen Führungskräfte zu appellieren, dass die Globalisierung sozial und ökologisch abgefedert werden muss und dies nur mit einer verbindlicheren internationalen Ordnung herzustellen sei, der sich auch die USA unterwerfen muss. Dies wird leider unvermeidlich sein – genauso wie die Nachwehen der Friedensbewegungen aus anderen Ländern, die sich nicht im wesentlichen von der Deutschen unterschieden. Sie konnten es eben auch nicht unterlassen, mit Gerhard Schröder-Schildern die neue deutsche Friedlichkeit zu feiern, die der USA endlich die Stirn bot. Die Sichtweise der Leipziger GenossInnen blendet aber einen Teil der Globalisierungsbewegung komplett aus, den es innerhalb der Friedensbewegung nicht gab und die dem Bild der Gipfelproteste immer wieder den eigenen Stempel aufdrücken kann, ihren radikalen und militanten Teil.

 

Das Comeback der Militanz und das Schweigen

Wer die letzten Gipfelproteste genauer beobachtet hat oder daran teilnahm, konnte einen alten bekannten wieder entdecken, den Black Block. Militante Aktionen, wie sie von Prag, Göteborg und Genua noch irgendwo im Hinterkopf herumgeisterten und nicht mehr in dieser Form für möglich gehalten wurden, waren wieder präsent. Die Zerlegung der Innenstadt von Genf durch den Black Block hatte nichts gemein mit den Friedensdemonstrationen, wie sie in Berlin, Leipzig und fast allen deutschen Städten zu Duzenden statt fanden. Es war kein Verbesserungsvorschlag für einen anderen Kapitalismus, für die rheinische Variante, für die Rückkehr zum Keynesianismus darin zu erkennen. Es war nicht die Hoffnung oder Forderung nach einem stärkeren Souverän oder einer verbindlichen internationalen Rechtsordnung, die diese DemonstrantInnen antrieb. Ebenso wie beim summer of resistance handelte es sich um einen »[...] Ausdruck, der nicht zu vereinnahmen ist, der nicht positiv zu deuten ist, sondern allein durch seine rein negative Ausstrahlung die radikale Kritik an den Verhältnissen vermittelt«.(3) Es war nicht der Versuch in andere Teile der Bewegung hineinzuwirken und dann mit den eigenen Positionen und Inhalten unterzugehen, sondern es wurde der eigene Ausdruck gesucht und gefunden. Entsprechend groß war das Abgrenzungsbedürfnis anderer Gruppen, das den Black Block nicht als Teil ihrer Bewegung verstanden wissen wollte. Die eigenen Handlungs- und Aktionsoptionen aus dem Blickwinkel zu verlieren, ist allerdings nicht allein das Problem der Leipziger GenossInnen, sondern ist bezeichnend für die gesamte Diskussion, um und über die Globalisierungsbewegung. In nahezu jedem Text, der sich mit dem Thema beschäftigt, wird eine berechtigt scharfe Kritik an den reformerischen und auch nationalistischen Strömungen der Globalisierungsbewegung formuliert und somit eine gleichartige Fixierung auf diese vollzogen, wie es jedes bürgerliche Medium vormacht. Die scheinbar logische Absage von Teilen der radikalen Linke an die Gipfelproteste und der Vorwurf an diejenigen, die diese Absage nicht teilen, entlarvt sich als Ausblendung der militanten Protestformen, die selbst der Rest der Gesellschaft und die außerparlamentarische Sozialdemokratie stärker wahrnimmt, als diejenigen die an solche Aktionsformen anknüpfen könnten.

Aber nur denjenigen vorzuwerfen, die beschlossen haben nicht mehr mitzumachen oder sich nur noch mit Kritik auch auf der Straße an oder gegen diese Bewegung zu wenden, ihre eigenen Handlungsoptionen aus Blickwinkel verloren zu haben, greift zu kurz. Denn auch die Gruppen, die weiterhin zu den Gipfeln mobilisieren und immer noch ein kritisches Potential in ihren eigenen Aktionen sehen, verhalten sich nicht nur so als hätte es keinen Bruch nach Göteborg, Genua und besonders nach dem 11. September 2001 gegeben, sondern sie verzichten größtenteils, im Gegensatz zum summer of resistance, komplett auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit ihrem Tun. Dies ist um so überraschender, nachdem die letzten Publikationen, die von dem radikalen und militanten Teil der Globalisierungsbewegung im Anschluss an den summer of resistance erschienen, mit bisher unbeantworteten Fragen gefüllt waren. Aber nicht nur die eigenen Fragen und Probleme werden in den neueren Publikationen zu Evian oder Thessaloniki nicht mehr aufgeworfen, sondern auch die weltpolitisch veränderte Situation nach dem 11. September und der Konfrontation des »alten Europas« mit der USA und dem »neuen Europa« scheinen einer neuen Analyse kaum als notwendig erachtet zu werden.

 

Wer fragt verliert

Eines haben die »NörglerInnen« den »Bewegungsfanatikern« also voraus. Sie sind sich zum Glück nicht zu fein, immer wieder zu wiederholen, was eh bekannt scheint und niemanden mehr so recht stört. Sie ziehen immerhin die Konsequenzen aus ihrer Bestandsaufnahme. Was der anderen Seite solange verwehrt bleiben wird, bis sie sich wieder traut, mit den offenen Fragen und ihren eigenen Widersprüchen zu beschäftigen. Versuchten die Antifagruppen, die nach Kopenhagen mobilisierten, wenigstens noch, auf die fatale Situation vor Ort – erinnert sei an die unsägliche Boykott-Israel Kampagne sowie die nicht vorhandene Möglichkeit der eigenen Aktionsform aufgrund der vorhandenen und drohenden Repression und gesellschaftlichen Isolierung – einzugehen und sich den Problemen zu stellen, scheint dies mit dem Wiederauftauchen der Militanz verpönt. Bloß nicht auf den neuen bzw. alten Ansätzen herumtreten, wenn sie gerade wieder im entstehen sind, scheint die Losung zu sein. Mit dieser »Augen zu und durch«- Methode, läuft alles auf den nächsten großen Kater hinaus, der mit dem ersten Misserfolg mit Sicherheit kommen wird.

Dabei wäre ein Anfang – nicht die Lösung der Widersprüche – doch so einfach. Das Material und die Diskussionen, auf die zurück gegriffen werden kann, müssen nicht erst aus der Mottenkiste hervorgekramt werden, sondern liegen in der obersten Schublade bereit. Wie kann das Spektakel über seine eigene Aussage der negativen Kritik an dem Bestehenden für die Darstellung weitergehender kritischer Positionen genutzt werden? Wie kann verhindert werden, dass ein Gipfel nicht nur eine Stadt in Trümmern zurück lässt, sondern auch die Linke vor Ort danach mit Repression überzogen wird? Wie kann eine Auseinandersetzung mit anderen radikalen linken Kräften in Europa geführt werden, die eine Kontinuität aufweisen kann und damit überhaupt erst eine Perspektive erhält? Neu in diesem Fragespiel ist allein die Frage der Bewertung der neuen weltpolitischen Situation und wie darauf reagiert werden muss. Diese Frage stellt sich aber nicht nur bei jedem Gipfel, sondern schon bei jeder politischen Aktion der nächsten Wochen und Monate. Und an der Bewertung dieser Situation entlang, müssen die Antworten auf die restlichen Fragen gefunden werden. Dabei kann getrost auf einige der Voraussetzungen, die die Leipziger GenossInnen aufgestellt haben, zurückgegriffen werden: Dass eine radikale Linke in Deutschland sich zu erst an den gesellschaftlichen Entwicklungen hier orientieren und diese zur Grundlage ihrer Kritik machen muss. Am Ende dieser Kritik muss zumindest eine eindeutige Absage gegen jedes nationale Projekt stehen, so dass ein positiver Bezug auf Heimat und Staat unmöglich ist, und es sollte die Möglichkeit einer Gesellschaftskritik jenseits davon aufgezeigt werden.

 

Eine Frage weniger

Wer jetzt die alten Diskussionsbeiträge schon zur Hand nimmt, schön wär’s, wird feststellen, dass hier ein Problem nicht mehr aufgeworfen wird. Die Verhinderung der Spaltung entlang der Gewaltfrage. Galt am Anfang die Vielfalt der Bewegung als ihre Stärke und wurde von allen Seiten betont, dass es keine Spaltung in friedliche und militante geben dürfte, weil dies zu einer Schwächung führen würde, hat sich dieses Problem erledigt. Hatte sich die radikale Linke dem zunehmenden Repressionsdruck bis zur totalen Integration gebeugt und darum gezittert, ansonsten auch noch aus der Bewegung gestoßen zu werden, ist dies inzwischen eindeutig entschieden. Größtenteils ist die Spaltung vollzogen, doch sollte dies nicht als Schwächung gesehen werden, zumindest nicht in Deutschland, denn mit dieser Spaltung vollzieht sich auch die Trennung von vielen Teilen der unappetitlichen Ausformungen dieser Bewegung. Die »formierte Zivilgesellschaft«(4) hat diesmal der Linken einen Gefallen getan und sie ausgestoßen. Es wird viele geben, die dies bedauern und sich nach der Pluralität und der Vielfalt zurück sehnen, doch bei einer genaueren Betrachtung der Situation kann es nur als eine richtiger Schritt gesehen werden, um endlich den Blick auf die eigene Situation und die Verhältnisse in Deutschland wieder zu schärfen. Das eigentlich tragische ist nur, dass die radikale Linke zu dieser Entscheidung nicht selber fähig war und in ihrer Fixierung auf die Bewegung den besagten Schritt nicht selber vollzog. Zu hoffen bleibt, dass sie bei der Bewältigung der weiteren Probleme selber auf die richtigen Ansätze kommt, denn die Kritik der bestehenden Verhältnisse wird niemand anders für sie übernehmen.

 

 

Fußnoten:

(1) Eine ausführliche Dokumentation des Kongresses »Spiel ohne Grenzen«, der Ende Mai diesen Jahres in München stattfand, findet sich auf der Homepage der VeranstalterInnen www.spiel-ohne-grenzen.org. Demnächst erscheint das Buch zum SPOG, das die verschieden Ergebnisse der Veranstaltungen zusammenfasst.

(2) Phase 2, Leipzig: Der antiamerikanische Traum vom euronationalen Kapitalismus – Warum Antiamerikanismus nicht dummer Antikapitalismus ist, sondern gar keiner, in: Phase 2.08, S. 43ff.

(3) Assassini!, Flugblatt der Autonomen Antifa [M], Juli 2001,

www.nadir.org/nadir/initiativ/aam/2001/goeburg/mord.htm.

(4) Phase 2, Leipzig, Der antiamerikanische Traum.

Phase 2 Göttingen