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Über die gesellschaftliche Funktion von Drogen und Rausch

Drogen werden verklärt und verteufelt, verboten und sind Moden unterworfen, Drogen machen abhängig und kaputt, sie steigern Konzentration und Leistung – all diesen Einschätzungen und Zuständen widmet sich diese Phase 2. In der Ausgabe geht es um die gegenwärtige politische Bedeutung und die gesellschaftliche Funktion von Drogen. Was wird im Rausch oder in Drogen gesucht, wenn das Interesse immer weniger der Bewusstseinserweiterung oder dem intellektuellen Selbstexperiment gilt? Was sagt die Suche nach den möglichst effektiven Hilfsmitteln zur Selbstoptimierung über das gegenwärtige, gesellschaftlich verordnete, individuelle Verhältnis zu Körper und Geist aus, besonders wenn dabei jegliches »chemiekritische Bewusstsein« (Günter Amendt) verlorengeht? Anhand dieser Fragen diskutieren wir die kulturelle Bedeutung und die subkulturelle Verklärung bestimmter Drogen und die Praxis ihres Konsums im flexibilisierten Kapitalismus.

Drogen und die Funktionalisierung ihres Konsums

So, wie unterschiedliche Rauschmittel existieren und sich über die Zeit entwickelten, veränderten sich mit ihnen gesellschaftliche Bewertungsmaßstäbe und Szenarien des Umgangs. Alkohol, Zigaretten und, konsequenterweise, sogar Kaffee sind etablierte, weitgehend akzeptierte Mittel alltäglicher Sucht. Die Debatte um Drogen ist stets eine ideologische gewesen. Bier und Schnaps wurden im Mittelalter noch bis zum Umfallen getrunken, ohne dass sich die Menschen ihrer Konsequenzen bewusst waren oder der Alkoholkonsum als Missbrauch problematisiert worden wäre. Erst mit der Durchsetzung der protestantischen Ethik und ihres Konzepts des Maßhaltens wurde der Alkoholexzess zum Gegenstand der Kritik. Infolgedessen wurden Kaffee und Tee als tägliche Aufputschmittel attraktiv. Sie galten als unschädliche Substanzen, passten gut zum Arbeitsethos sowie zu den Bedingungen der modernen industriellen Arbeitsweise.

Die puritanische Diskussion um das Verbot von Rausch und die Forderung nach Abstinenz zeigt, dass bereits diese frühen Argumentationen ideologisch aufgeladen waren. Damit setzt sich Jan Tölva in seinem Artikel »Rotwein oder Traubensaft?« auseinander. Dabei beschäftigt er sich nicht nur mit der Kontroverse um den Alkoholkonsum von ArbeiterInnen während der Industrialisierung, sondern auch mit aktuellen Phänomenen wie »Straight Edge« und der »hedonistischen Technolinken«. Er zeigt, dass Drogenkonsum und demgegenüber Abstinenzbewegungen jeweils politisiert beziehungsweise funktionalisiert wurden. Einen genaueren Blick auf die Club- und Technoszene wirft auch Robert Feustel in seinem Artikel »Optimieren statt Überschreiten«. Den Rausch beim Feiern beschreibt er darin als Fortsetzung der kapitalistischen Anforderung zur Selbstoptimierung im Sinne einer möglichst effizienten Work-Life-Balance. Heute gehe es dabei, wie bei den KonsumentInnen von halluzinogenen Drogen in den sechziger und siebziger Jahren, kaum noch um die Flucht aus gesellschaftlichen Zwangsverhältnissen oder um die Erweiterung des Bewusstseins. Leistungsanforderungen würden nun vielmehr vor allem als Forderung an sich selbst verstanden – gerade in der Feier-Szene fände sich dieser Mechanismus auf die Freizeit übertragen und umgesetzt. Dabei lässt sich grundsätzlich eine Verschiebung der politischen Akzeptanz von leistungsfördernden Drogen entlang der Fluchtlinien ökonomischer Verhältnisse erkennen: Es ist kein Geheimnis, dass drei Tage wach zu sein und zu tanzen nicht ohne Hilfsmittel zu leisten sind. In der (Rest-) Freizeit geht es um das sprichwörtliche Durchhalten; der Endorphinausstoß wird über jede körperliche Grenze hinaus in die Länge gezogen. Der Partyspaß darf nicht schon um vier Uhr morgens zu Ende sein, sondern sollte dann erst richtig beginnen.

Unter halluzinogenen Drogen werden gemeinhin das synthetisch hergestellte Lysergsäurediethylamid (LSD), Meskalin und gleichzeitig natürliche Stoffe wie Pilze – u.a. Magic Mushrooms – gefasst, deren Wirkung jenseits von Leistungssteigerung liegt. Ähnliches gilt für Opiate wie Heroin und Morphium, die seit Jahrtausenden aus Samen des Schlafmohns gewonnen werden. Sie bieten immer wieder Erzählstoff für die Kulturindustrie und bleiben eng verknüpft mit den Motiven der Sucht, sozialem Abstieg und Tod. Unzählige Bilder wurden über ihre Wirkung und ihre KonsumentInnen produziert; zahlreiche Reportagen und Dokumentationen widmen sich der Produktion der Drogen. Im drogenkritischen Narrativ ist Heroin die letzte Station der Drogensucht und es wird offen darüber diskutiert, wie der Konsum und die Abhängigkeit durch Methadonprogramme oder Fixerstuben vermindert werden könnte. Kokain hingegen weckt zwar ebenso starke Assoziationen in Bezug auf seine KonsumentInnen, die Zuschreibungen und Klischees unterscheiden sich jedoch erheblich von denen des Heroins. Kokain kommt – obwohl der Kokastrauch bereits 200 Jahre früher von den UreinwohnerInnen Lateinamerikas entdeckt wurde – erst Mitte des 19. Jahrhunderts in Mode. Sigmund Freud beispielsweise versuchte sich unter Einfluss der Droge an einer Abhandlung Über Cocain und suchte ihn – erfolglos – als Entzugsmittel für Morphium einzusetzen. Das Bild der Kokain-KonsumentInnen unterscheidet sich von dem der Heroin-, Crack- und Crystal Meth-Abhängigen: Erstere werden eher als arrogante Snobs, Models und PolitikerInnen wahrgenommen, letztere als Kriminelle, Prostituierte usw. von der Gesellschaft Ausgeschlossene. Hier offenbart sich deutlich die Verknüpfung des Drogenkonsums mit der sozialen Frage. Während einem koksenden, rauchenden und vielleicht auch noch einem trinkenden Individuum seine Subjekthaftigkeit nicht so leicht abgesprochen werden kann, wird die Heroin­abhängigkeit jenseits einer Autonomie des Handelns und Denkens verortet.

Cannabis hat demgegenüber wiederum eine andere Klientel. Das gesellschaftlich etablierte Narrativ – zumindest in Deutschland – ist das von Cannabis als Einstiegsdroge. Nachweislich weniger schädlich als Alkohol, sind es jedoch vielmehr die illegalen Distributions- und Beschaffungsstrukturen, die hier das Bild von einer »gefährlichen« Droge zeichnen. Dieses Bild hat sich in den letzten Jahren gewandelt, denn Cannabis wird heute häufiger in der Alternativmedizin als Schmerztherapie bei Krebserkrankungen oder Entspannungsmittel angewandt. Diese Entwicklung steht exemplarisch für das Spannungsfeld zwischen Verbot und Illegalisierung und der möglichen Karriere von Drogen als Medizin. Vielen der genannten Drogen ist aber gemein, dass ihre Beschaffung und ihr Besitz illegal sind, ihr Konsum sich hingegen in einer legalen Grauzone befindet.

Enhancement

Mit der Entwicklung des Fordismus zu einem »flexibilisierten«, »kreativen« und »individualisierten« Kapitalismus verschwimmt mehr und mehr die Grenze zwischen Arbeit und sogenannter Freizeit und ebenso die zwischen genussorientiertem oder suchtbedingtem Drogen- und zweckorientiertem Medikamentenkonsum. Die Einnahme von stimmungserhellenden, konzentrationsfördernden oder leistungssteigernden Medikamenten wird allgemein mit dem Begriff Neuro-Enhancement gefasst. Mit und ohne medizinische Indikation handelt es sich dabei um eine Antwort auf neue Herausforderungen eines flexibleren, auf Selbstoptimierung ausgerichteten Kapitalismus. Der Begriff bezieht sich hier auf die Verbesserung des Menschen durch biomedizinische Mittel und in letzter Konsequenz bergen Enhancement-Utopien den Gedanken eines Redesign des Menschen. Während die Optimierung des Körpers beim Feiern schlicht bedeutet, länger wach zu bleiben, zu tanzen, aufzulegen und auch mehr trinken zu können, wird in dem Konzept allgemein auch ein Motiv der Aufklärung erkennbar: Naturbeherrschung bedeutet hier die Beherrschung des Körpers. In diesem Sinne erscheint es nur konsequent, dass Drogen wie Speed und Kokain bereits im 19. Jahrhundert, in etwas anderer Zusammensetzung als heute, als verlängerter Arm kapitalistischer Produktionssteigerung oder militärischer Stimulanz galten. Ritalin und andere Substanzen werden zum selbstverordneten »Hirn-Doping« eingesetzt, während der Konsum von Amphetamin und Amphetaminderivaten als eine Form von »Freizeitdoping« betrachtet werden. Depressionen werden mit ähnlichen Amphetaminen bekämpft, wie sie in populären Partydrogen MDMAMDMA ist die Kurzform für 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin. und Ecstasy verwendet werden. Diese Amphetamine und ihre Derivate sind zum größten Teil nicht-halluzinogene, stimulierende Rauschmittel und liegen in Bezug auf ihre medizinische und nicht-medizinische Verwendbarkeit in einer Grauzone. Die zwar verschreibungspflichtigen, aber dennoch legal erhältlichen »Stimmungsaufheller« oder Anti-Depressiva stehen sinnbildlich für den verlängerten Arm pharmakologischer Forschung mit dem Ziel der Optimierung von Körper und Geist.

Enhancement ist die Idee, die hinter einer zunehmenden Pharmakologisierung der Gesellschaft steht. Sowohl beim Feiern als auch im Falle der Konzentrationssteigerung werden Norm und Abweichung neu definiert: So wie es mittlerweile nicht mehr sozial akzeptiert ist, dass ein Kind zappelig ist oder unter Konzentrationsschwäche leidet, werden LeistungssportlerInnen seit Jahren an Ergebnissen gemessen, die ohne Doping unerreichbar wären. Der Mensch misst sich und wird gemessen an Normen, die ohne leistungssteigernde Eigenmedikation nicht mehr zu erfüllen sind.

Sucht – Suchtkonstruktion

Die Diskussionen in der aktuellen Phase 2 beziehen sich vor allem auf die gesellschaftliche Produktion eines Drogendiskurses sowie auf die ökonomischen Verhältnisse, unter denen diese Produktion stattfindet. Ist Sucht beziehungsweise sind Drogen nicht eine Erfindung der Gesellschaft, um einen genormten Konsum festzulegen? Die These, der Drogendiskurs sei als Konstruktion allein gesellschaftlicher und politischer Macht unterworfen, greift zu kurz – läuft sie doch Gefahr, die Lebensrealität der von Süchten Betroffenen und ihres sozialen Umfelds zu ignorieren. Für eine Kritik der gesellschaftlichen Bedingungen von Sucht erscheint eine dekonstruktivistische Perspektive, wie sie beispielsweise Daniel Sanin in seinem Artikel vertritt, aber notwendig. Der Autor widmet sich dem Phänomen der Sucht: ihrer medizinisch psychologischen Konstruktionsweise einerseits und ihrer gesellschaftlichen Determination als Krankheit andererseits. Intensiv diskutiert er die Voraussetzungen für die Vorurteilsproduktion im Falle bestimmter Drogen und ihres jeweiligen Suchtpotentials. Sanin fordert einen anderen Blick auf Sucht und bezieht sich dabei auf die Ansätze der kritischen Psychologie. Das Bild des Sucht-»Kranken«, das dem Autor wichtig, ist immer auch ein gesellschaftlich konstruiertes.

Sucht als ein Phänomen der Moderne betrachtet Alexandra Schauer in ihrem Artikel »Auf der Suche nach dem verlorenen Selbst«. Für das bürgerliche Subjekt als ein autonom handelndes und »mit sich selbst identisches« Subjekt, so ihre These, bedeutet Sucht eine Bedrohung der Autonomie. Während Rausch in der Vormoderne noch nicht an die Sucht gekoppelt war, ist Drogenkonsum heute stark mit dem Gedanken der Optimierung verknüpft, dem das Subjekt als »unternehmerisches Selbst« entgegenstrebt. Dieses Ideal kann allein durch Selbstoptimierung mittels Substituten erreicht werden. Die Sucht, so die These der Autorin, ist die Kehrseite dieser spätmodernen Ich-Schwäche: Ökonomische Fremdzwänge, denen es eigentlich zu entkommen gilt, werden als Selbstzwänge internalisiert.

Jede Gesellschaft produziert ihre Drogen und legt die Grenzen ihrer Akzeptanz fest. Diese zunächst banal anmutende Einsicht ist wichtig, wenn es um die kritisch-historische Einordnung von Drogenerfahrungen geht. Was beispielsweise Walter Benjamin im Opium- und Ha­schisch­rausch vollbrachte, ist letztlich auch Produkt der Drogenpolitik und des Drogendiskurses seiner Zeit: der des 20. Jahrhunderts und der Weimarer Republik. In der Retrospektive dominiert häufig das Bild der glorreichen zwanziger Jahre, in denen Koks und Opium Eingang in die Welt der Bohemiens fanden und für diese Mittel der Subversion und des Erkenntnis­gewinns wurden.

Dem Zusammendenken von Rauscherfahrung und Erkenntnisgewinn widmet sich Sebastian Tränkle in mit seinem Artikel »Der Spitzentanz der Vernunft«. Drogen werden hier zunächst als eine Chance konzeptualisiert, für kurze Zeit dem individuellen Leiden an den bestehenden Verhältnissen zu entfliehen. Anhand von Texten und Erfahrungen Charles Baudelaires und Walter Benjamins verdeutlicht der Autor, was Rauscherfahrung auch bedeuten kann: Reflexions- und Erkenntnisgewinn jenseits eines rein funktionalistischen Konsums zum Zwecke der Optimierung oder Luststeigerung. Dem ästhetischen Genuss, der über die sinnliche Erfahrung des Erkenntnisgegenstandes entsteht, stellt der Autor den Wohlfühlgedanken vieler heutiger »Freizeit-Konsument­Innen« entgegen.

Parallel zu Erkenntnis und positiven Rauscherfahrungen existiert der Komplex der physiologischen Auswirkungen von Drogen. Sowohl synthetische als auch auf natürlicher Basis gewonnene Substanzen greifen das Nervensystem an oder zeigen anderweitig ihre Wirkung auf Körper und Geist. Alkoholsucht beispielsweise betrifft nicht nur die Konsument­Innen, sondern meist auch deren soziales und/oder familiäres Umfeld. Gewalt gegen sich selbst, aber auch gegen andere, kann ebenso ein Resultat der gewünschten Regression und des Kontrollverlusts sein, wie es eben auch die angestrebte Bewusstseinserweiterung und der Erkenntnisgewinn sind. Sucht zu problematisieren, leistet keiner Pathologisierung Vorschub, sondern bezieht vielmehr die sozialen Aspekte ein, die mit der Abhängigkeit von bestimmten Stoffen beziehungsweise mit ihrer Wirkung einhergehen. Wenn Süchtige als Kranke behandelt und sozial ausgegrenzt werden, verweist das auf den Charakter von Sucht nicht nur als konkretes physiologisches und psychologisches Problem, sondern als ein soziales – dem sich häufig mit Vorurteilen, moralischen Anrufen oder auch mit Repression genähert wird.

Nur wenige Drogenprogramme oder Aufklärungskampagnen widmen sich den gesellschaftlichen, ökonomischen und ideologischen Aspekten von Drogen und Sucht auf eine fortschrittliche Weise. Die beiden Gruppen Drugscouts aus Leipzig und rave it safe aus Bern in der Schweiz stehen jeweils für eine solche Politik der progressiven Drogenaufklärung. Ein Ansatz beider Gruppen ist es, durch Aufklärung einen verantwortungsvollen Umgang mit Drogen zu ermöglichen und durch sogenanntes Drugchecking – der Überprüfung chemischer Substanzen – psychische und physische Schäden möglichst zu vermeiden. Neben den jeweils unterschiedlichen Praktiken schildern sie in dem Interview ihre Sicht auf die Drogenpolitik in Deutschland und der Schweiz.

Den ökonomischen Bedingungen des Drogengeschäfts widmet sich ein weiteres Interview mit der Berliner Gruppe jimmy boyle. Sie vertritt darin die These, dass sich das Drogengeschäft nur durch seine »besonderen Geschäftsbedingungen« von der kapitalistischen Produktionsweise unterscheidet. Darüber hinaus diskutiert die Gruppe die Frage nach den Motiven der Illegalisierung von Drogen und argumentiert auch hier weitgehend aus einer ökonomischen Perspektive: Die Gesundheit der Bevölkerung sei in erster Linie ein Standortfaktor, wobei die jeweilige Politik von Staaten ökonomischen Kalkülen und ideologischen Vorstellungen folge. Die Politik sei zwar jeweils variabel, grundsätzlich gelte jedoch das Primat der Verwertbarkeit von Arbeitskraft.

Das Verbot bestimmter Drogen scheint jedoch auch für Motive des Drogenkonsums zu gelten, die über medizinische Fürsorge hinausgehen: die Flucht aus einer unerträglichen Realität, das Bedürfnis nach Erweiterung des alltäglichen Erfahrungshorizonts, die Lust an der Regression und am Suspendieren der Vernunft zu Gunsten des Rausches.

Der Schwerpunkt der Phase 2 beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten von Drogen und Rausch. Auf der einen Seite steht das den gegenwärtigen Konsum bestimmende Verhältnis von Genuss, Rausch und Selbstzerstörung, auf der anderen Seite Selbstoptimierung, Disziplinierung und Funktionswahn. Letztendlich wird die Frage nach ihrem emanzipatorischen Potential vorwiegend negativ beantwortet.