Should I stay or should I go?

Die Besten sterben jung, erst kurz vor Weihnachten Joe Strummer, jetzt auch noch das: Mitte Februar 2003 ist die Antifaschistische Aktion Berlin von ihren AktivistInnen aufgelöst worden.

Grund dafür ist die Trennung der Gruppe in zwei etwa gleich große Fraktionen. Wir verstehen uns als der „aktivistische“ Teil der AAB, ein großer Teil der Praxis der letzten Jahre wurde von uns getragen und gestaltet. Warum wir uns für eine Trennung ausgesprochen haben und warum wir der Meinung sind, dass von dieser Trennung beide sich jetzt neu konstituierenden Gruppen profitieren, wollen wir mit einem kurzen Text transparent machen.
Die AAB war seit ihrer Gründung immer Teil der Linken in der BRD, deshalb ist sie auch nicht von den Entwicklungen der Gesellschaft sowie der gesamten Linken verschont geblieben. Als 1989 die Auflösung des realexistierenden Sozialismus so gut wie abgeschlossen war, wurden in der radikalen Linken wieder vermehrt Grundsatzfragen diskutiert. Für die praktische Politik spielt die Frage nach gesellschaftlicher Intervention eine entscheidende Rolle. Während den „InterventionistInnen“ schnell das Mitmachen, die Reproduktion der abzuschaffenden Verhältnisse, das potentiell falsche Verständnis zum Vorwurf gemacht wird, endet die Praxis der „IdeologiekritikerInnen“ oft in Abgrenzung zu anderen Linken und ihrer Politik. Dabei unterscheidet beide Richtungen oft weniger die Analyse der kapitalistischen Verhältnisse, als die daraus gezogenen Konsequenzen. Im Mikrokosmos der deutschen radikalen Linken entwickelten sich unter diesen Vorzeichen seit 1989 Debatten um die sogenannten „Antideutschen“, den Nahen Osten, und zuletzt um die aktuellen Weltordnungskriege. Unterschiedliche Positionen und ihre polemischen Zuspitzungen führten zu Brüchen in Gruppen, Wohngemeinschaften und Freundschaften. Für eine bewegungsschwache Zeit ein denkbar unproduktives kommunikatives Setting, dem sich niemand wirklich entziehen konnte.
 

Things fall apart

Die Trennung der AAB ist die Konsequenz aus den Entwicklungen der Gruppe in den letzten zwei Jahren nach Auflösung der AA/BO.
Ein grundlegender Konflikt war die Frage nach dem Adressaten und der Ausrichtung unserer politischen Praxis: Die AAB ist als explizit praxisbezogene Gruppe angetreten. Ziel der Politik war es, Räume für die radikale Linke wieder zu öffnen, eine Wahrnehmbarkeit für linksradikale Argumentationen und Standpunkte zu gewährleisten. Adressatin der Aktionen sollte eine möglichst breite Öffentlichkeit, gerade auch außerhalb der eigenen Szene sein. Erfolgreich waren wir damit an den Punkten, an denen es uns gelang, in die öffentliche Debatte einzugreifen und Diskussionen zuzuspitzen. Ein Mittel dazu war die Bündelung und Sammlung von radikalen Linken an einem bestimmten Politikfeld, nämlich dem Antifaschismus.
Von diesen Grundannahmen wurde sich in den letzten Jahren von einem relevanten Teil der Gruppe langsam aber sicher verabschiedet, ohne das die Diskussion darüber geführt wurde. Nach dem Ende der AA/BO wurde es versäumt, neben dem Benennen der Gründe des Scheiterns, auch die gemeinsame Perspektive neu zu bestimmen. Als Folge dessen kann jetzt eine Abkehr von Konzepten der politischen Einflußnahme festgestellt werden. Die Frage, ob denn die Strategie der Sammlung und Bündelung prinzipiell gescheitert ist, wurde letztendlich nicht beantwortet; die Notwendigkeit, sich weiter am Aufbau einer linken Bewegung zu beteiligen, war scheinbar nicht mehr gegeben.
 

Wir sind die Guten...

Aufgebrochen ist dieser schwelende Konflikt immer dann, wenn es an die Umsetzung der Aktionen ging, was zu einer faktischen Auftrennung in „KritikerInnen“ und „Praxisdeppen“ führte, Abgrenzen oder Mitmachen. Von einem Teil wurde es bevorzugt, eine distanzierte und lediglich kommentierende Haltung zu den linken Bewegungen der letzten Jahre einzunehmen, so zur Globalisierungsbewegung oder auch zur Antikriegsbewegung. Aus der Angst, sich an den falschen Positionen von Teilen dieser Bewegungen die Finger schmutzig zu machen, hat man es vorgezogen aus sicherer Warte die Bewegungen zu kritisieren, ohne selbst nach vorne weisende („richtige“) Positionen einzubringen oder sich gar um die Gestaltung der Bewegungen zu kümmern. Die Abgrenzung zu anderen Linken, die verstärkt zum Moment der eigenen Politik wurde, begann sich gegen Fraktionen in der eigenen Gruppe zu richten, was folgte war eine gegenseitige Blockade. Praktische Initiativen innerhalb der Gruppe wurden in diesem Sinne „behandelt“: Was weder diskursiv noch durch Kampfabstimmungen verhinderbar war, wurde die Unterstützung verweigert, man beteiligte sich einfach nicht dran.
 

Nicht gerade neu: Das Wissen um die Schwierigkeit, die Regierung zu stürzen

Der Wunsch der Linken, erst die richtige Theorie zu entwickeln, aus der man dann die richtige Praxis ableitet, ist so alt wie sie selbst. Die meisten dieser Ansätze haben sich zersplittert, bevor sie überhaupt relevante Praxis, geschweige denn Einflußnahme entwickeln konnten. Wir sind hingegen der Meinung, dass gerade auch die Praxis nach vorne weisen kann, dass sie Motor für inhaltliche Entwicklung ist, ohne dass der Weg bereits ausformuliert sein muss. Da die Linke sich gerade nicht am Vorabend der Revolution befindet, kann es für uns weniger darum gehen, die eine Revolutionstheorie zu entwickeln, sondern die Bedingungen für eine erhöhte Relevanz linker Positionen zu gesellschaftlich relevanten Themen zu schaffen. Als politische Gruppe in einer Bewegungslinken stellte sich für uns auch die Frage, ob wir diejenigen sind, die die Faschismustheorie auf der Höhe der Zeit, die Kapitalismuskritik, die gegen jeden Vorwurf der Unvollständigkeit erhaben ist und die Theorie zur Revolution entwickeln. Der Streit über die „richtige“ Position ist in der Linken ein Bestandteil der Politik, aber ohne die Wahrnehmbarkeit einer praktischen Politik interessiert sich auch niemand für die Positionen, die vertreten werden. Die AAB ist dafür ein gutes Beispiel: Nur aufgrund der praktischen Erfolge unserer Politik wurden auch die Positionen diskutiert.
Dem Anspruch, die Theorie zu verbessern und mit Praxis zusammenzuführen, wurde von den Leuten die dies einforderten, nicht Genüge getan. Im Gegenteil hat die Art und Weise, wie Diskussionen geführt wurden, mehr und mehr zu einem Klima geführt, in dem Projekte gegen einen relevanten Teil in Kampfabstimmungen durchgesetzt werden mussten, bestenfalls gab es eine Art „Stillhalteabkommen“. Von einer kontinuierlichen Diskussion um die Weiterentwicklung der Politik konnte keine Rede sein. Nicht einmal in der eigenen Gruppe wurde sich um Vermittlung der jeweiligen individuellen Positionen bemüht, um sich dann, enttäuscht, dass die eigene Erwartungshaltung nicht von anderen erfüllt wird, selbst bestätigen zu können, dass man eben mit der „richtigen Position“ ziemlich alleine ist.
Jede Gruppe muss sich also fragen, welche Rolle sie einnimmt, ob sie im Bereich der Diskurse in der innerlinken Diskussion Schwerpunkte legt oder in der Entwicklung der Handlungsfähigkeit der Linken, ob sie sich auf die scharfe Intervention im bzw. gegen den linken Mikrokosmos oder den nachvollziehbaren Angriff auf die herrschenden Verhältnisse konzentriert. Wir haben uns dafür entschieden, die Isolation, in die uns die Konflikte in der AAB getrieben haben aufzubrechen und verstärkt für die Gestaltung der Linken, gemeinsam mit anderen Gruppen, einzutreten.
 

Seitdem Krieg ist, wohne ich im Keller

Diskutiertes wurde zum Ende der AAB immer mehr als unverbindlich angesehen und Positionierungen auf irgendwann verschoben, wie es z.B. bei unseren Diskussionen um den drohenden Krieg gegen den Irak der Fall war: Bereits kurz nach der Diskussion um Aktion, Aufruf und Position konnten sich die Beteiligten schon nicht mehr daran erinnern, dass wir eine Position dazu entwickelt hatten. Ein Teil der Gruppe äußerte sich gar nicht zum Thema, die einen hielten die Position einfach für „schlecht“, andere meinten, dass ein Krieg, in dem es nicht die objektiv „Gute Seite“ gibt, kein geeignetes Thema für die radikale Linke ist, viele blieben indifferent, „interessiert mich nicht so sehr“ etc. Man schließt einfach die Augen vor einer der wichtigsten politischen Entwicklungen, anstatt mit einer radikalen linken Position gegen Krieg, Kapitalismus und Rot-Grün zu agitieren. Zwar wird immer wieder bekundet, dass man Diskussionen an sich interessant findet, ohne damit aber irgendwo hin zu wollen. Die VertreterInnen einer Antikriegsposition werden aufgefordert, diese doch auch Leute schmackhaft zu machen, die der Meinung sind, ein Krieg mit UN-Mandat wäre eine berechtigter Krieg. So gelangt man an den Punkt, an dem man nicht mehr darüber reden kann, wie der Krieg zu stoppen bzw. zu sabotieren ist, sondern die Frage dreht sich darum, ob der Krieg überhaupt bekämpfenswert ist. Für uns, die wir in dieser Frage eine Antikriegs- und antimilitaristische Position einnehmen, stellt das eine Blockade dar, von dem was wir an Intervention für notwendig erachten. Ohne an vergangene Diskussionen anzuknüpfen, wird je nach Zusammensetzung der Runden stets bei Null angefangen, und versucht, eine öffentliche Positionierung zu verhindern bzw. klar zu stellen, dass nur ein Teil diese Position auch tatsächlich vertritt. Beispielhaft dafür ist das Dementi, das unter dem Namen AAB vor einigen Wochen auf der Leserbriefseite der Jungen Welt veröffentlicht wurde und das bezugnehmend auf ein zuvor veröffentlichtes Interview behauptet, dass es keine Antikriegsposition der AAB gegeben hätte.
Die hier beispielhaft skizzierte Situation hat letztendlich dazu geführt, dass es in einem Punkt doch noch einen Konsens in der AAB gab: So wie es ist, kann es nicht bleiben. Unausgesprochen war den meisten Beteiligten klar: So kann es zusammen nicht mehr weitergehen, zu unterschiedlich waren die Positionen, die Vorstellungen und Wünsche, die man in und mit der AAB verwirklichen wollte. An diesem Punkt haben wir den ersten Schritt gemacht und für eine Trennung plädiert. Nicht, weil wir wie manche vermuten „Linientreue“ einfordern (wer die AAB kennt weiß, dass es diese Linie nie gegeben hat) oder zurück in die autonome Wohlfühlgruppe wollen, sondern weil wir weiterhin an einer praktischen und öffentlichkeitswirksamen Politik interessiert sind, für die wir unter diesen Umständen keine Grundlage mehr gesehen haben.
 

You\'re making plans, we\'re making history

Wir wollen auf Grundlage eines gemeinsamen Selbstverständnisses weiterhin Politik machen, orientiert an der Analyse der gesellschaftlich relevanten Entwicklungen. Die Art und Weise unserer Politik wird an den Grundlagen der verflossenen AAB ausgerichtet sein, d.h. wir wollen über die radikale Linke hinaus wirken und unsere Politik entwickeln, als Teil der Bewegungslinken mit eigenen Positionen bestechen, statt uns an der „Beschränktheit“ anderer Linker abzuarbeiten.
Zum einen bleibt der Antifaschismus zentrales Element und Ansatzpunkt unserer Politik und das nicht nur, weil nach dem wirkungslos verpufften „Aufstand der Anständigen“ die Notwendigkeit linksradikaler Anti-Nazi-Arbeit nicht ad acta gelegt werden kann - nicht nur weil die Zahl und Qualität der Nazi-Übergriffe unverändert hoch ist, sondern auch weil Antifaschismus immer noch ein zentraler Punkt der politischen Verortung in der BRD ist.
Seit unserer Mobilisierung 1999 gegen den EU-Gipfel in Köln haben wir unser Praxisfeld erweitert durch die Aspekte der Globalisierungskritik und den Widerstand gegen den Neoliberalismus. Daran wollen wir weiter anknüpfen, mittelfristiges Ziel dabei ist es, die antikapitalistischen Teile der Bewegung, die sich links von Attac verorten, zu stärken und mit dafür zu sorgen, dass die generelle Kritik am Kapitalismus wahrnehmbar bleibt. Darüber hinaus wollen wir den erstarkenden Antisemitismus fernab von Szenediskussionen als gesellschaftliche Entwicklung thematisieren und Möglichkeiten der politischen Einflussnahme weg von der denunziatorischen Selbstbeschäftigung in einem Teil der Linken suchen.
Unsere nächsten Aktionen werden sich auf den anstehenden Krieg gegen den Irak beziehen. Wir mobilisieren weiter zu einer Demo am Tag X unter dem Motto „No Nation - No War - No Capitalism. We will stop you.“ Wir sehen hier die Notwendigkeit, bei einer der wichtigsten gesellschaftlichen Fragen mit einer Position präsent zu sein, die über die Unterstützung der rot-grünen Regierung, die noch 1999 lustig Bomben auf Belgrad warf und einen Angriffskrieg ohne UN-Mandat führte, hinaus weist und auf die Zusammenhänge von Krieg, Menschenrechten und Kapitalismus aufmerksam macht. Eine Beteiligung an der Organisation der revolutionären 1.Mai-Demo steht für uns auch in diesem Jahr wieder an, ebenso werden wir im Frühsommer bei den Aktionen gegen den ein oder anderen Gipfel (Evian/G8 bzw. Thessaloniki/EU) anzutreffen sein.
Den Genossinnen und Genossen, die sich in ihrem Schreiben als „die bessere Hälfte“ bezeichnen, wünschen wir selbstverständlich viel Erfolg mit ihrem zukünftigen Projekt, in der Hoffnung, dass es auf der nächsten revolutionären 1. Mai-Demo einen Demo-Truck mehr geben wird...

see you on the barricades...
mail@antifa.de

www.antifa.de




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