Stimmen der dagongmei

Dagongmei. Arbeiterinnen aus Chinas Weltmarktfabriken erzählen. ermöglicht einen für Linksradikale äußerst spannenden Einblick in den Prozess der Unterwerfung chinesischer Bäuerinnen unter das globalisierte Industriekapital. Die Autorinnen Pun Ngai und Li Wanwei knüpfen in den von ihnen zusammengestellten Texten de facto an zwei Traditionslinien des Versuchs kommunistischer Intellektueller, mit ProletarierInnen in Kontakt zu kommen an.

Zunächst und im Zentrum des Buches stehend ist hier die Tradition der Arbeiterkorrespondenzen zu nennen. Ähnlich KPen, die schon in den zwanziger Jahren versuchten ArbeiterInnen anzuspornen, sich selbst auszudrücken und Gehör zu verschaffen, haben die Autorinnen dagongmei, also Wanderarbeiterinnen, in den Weltmarktfabriken des Perlfluss-Deltas interviewt und die entstandenen Interviews herausgegeben. Zwei Drittel des Buches werden von diesen Interviews eingenommen, die noch unterschieden werden in Berichte, in denen es vornehmlich um Gründe für die Migration, Heiratszwang, Erfahrungen mit der Fabrikarbeit und Erfahrungen mit selbst organisierten Arbeitskämpfen und Streiks geht. Es ergeben sich von den Autorinnen verfasste Lebens- und Erlebnisberichte vornehmlich junger Arbeiterinnen, in die längere wörtliche Zitate eingearbeitet sind. Sie erlauben einen guten Einblick in die Dialektik der Flucht der dagongmei aus dem patriarchalen Landleben, wo sie durch Rückständigkeit, Armut, Gewalt der Eltern oder Ehemänner und Zwangsverheiratungen eingeengt werden, hinein in die Modernität der Proletarisierung am arbeitsintensiven Ende der globalen Wertschöpfungsketten. Pun Ngai spricht von der dreifachen Unterdrückung der dagongmei: durch in- und ausländisches Kapital, den sozialistischen Staat und die patriarchalen Familienstrukturen. Die Interviews vermitteln einen Eindruck davon, wie effektiv diese hegemoniale Dreifaltigkeit Menschenmaterial hervorbringt, das gezwungen ist, sich zu beschissenen Bedingungen auspressen zu lassen, diese Ausbeutung aber oft auch als Befreiung wahrnimmt. Mithin liefern die Interviews einen Einblick in das (Klassen-)Bewusstsein des neuen Proletariats Chinas.

Die zweite Traditionslinie ist die der radikalen Arbeiteruntersuchungen und einer linken Sozialforschung, die durch den Forschungsprozess versucht, unterstützend in den Aufbau von ArbeiterInnen-Selbstorganisation einzugreifen. So entstanden die Interviews seit 2001 innerhalb eines Projektes des Chinese Working Women Network, mit dem die Hongkonger Autorinnen den dagongmei eine Stimme geben wollten und dessen Texte 2006 auf Chinesisch erschienen. Diesen Interviews wurden von den deutschen HerausgeberInnen zum Einen ein erklärendes Vorwort, ein nützliches Glossar und Kartenmaterial angefügt, die allen, die sich noch nicht mit den Arbeitsverhältnissen in den Weltmarktindustrien Chinas auseinandergesetzt haben, einen Einstieg in den Gegenstand erleichtern und den kulturell-historischen Kontext knapp zu erklären versuchen. Zum Anderen finden sich zusätzlich zwei politisch-theoretischere Texte am Ende des Bandes.

Li Wanwei, die selbst aus einer proletarischen Familie in Hongkong stammt und deren Eltern nie gutheißen konnten, dass sie sich an der Uni nicht für Karriere und den sozialen Aufstieg, sondern für »linke Ideale und [… die] Organisierung von Arbeiterinnen und Arbeitern« (190) interessierte, reflektiert ihre Erfahrungen aus den Interviews mit den dagongmei. Aller wissenschaftlichen Pseudo-Neutralität zum Trotz, wird ihre politische Position, mit der sie Sozialforschung betreibt, klar, wenn sie zum Vergleich ihrer Eltern mit den heutigen dagongmei schreibt: »Wie auch die heutige Generation von Arbeitern und Arbeiterinnen mittleren Alters in Hongkong wurden sie vom Kapital erst vernutzt und dann abgeschoben.« (190) Ihre Interviews sind mithin als Teil ihrer politischen Arbeit auch der Versuch, etwas Klassenbewusstsein und self-empowerment unter den dagongmei zu verbreiten.

Pun Ngai, Professorin in Beijing und Hongkong, untersucht in ihrem Text Sozialer Körper, Kunst der Disziplin und Widerstand mit einem von Foucault und Marx stammenden begrifflichen Instrumentarium die Disziplinartechniken in einer Elektronikfabrik. 1995/96 arbeitete sie mehrere Monate am Band dieser Fabrik und lebte mit den dagongmei. Den Gegenstand ihrer Untersuchung bestimmt sie wie folgt: »Das Begehren der dagongmei; in die Fabrik hineinzukommen, trifft auf die Imperative und Techniken des globalen Kapitals. […] Wenn die transnationale Produktion in den chinesischen Städten auf die Arbeitsmigranten trifft, besteht ihre Hauptaufgabe darin, junge, bäuerliche Körper in industrialisierte, produktive Arbeiterinnen zu verwandeln, in dem anscheinend universellen Projekt, Arbeitskraft zu disziplinieren.« (201) Sie analysiert damit die Mikrotechniken der Ausbeutung und Disziplinierung in einer jener Fabriken, die den Weltmarktstandard der Arbeitsproduktivität für immer mehr Industriezweige darstellen.

Beide Texte sind Zeugnis davon, dass am anderen Ende der Welt Leute existieren, mit denen sich politisch vielleicht am selben Strang ziehen ließe. Und sie vermitteln einen Einblick in deren politische Arbeit.

~Von Kris Maschewsky.

Pun Ngai / Li Wanwei: Dagongmei. Arbeiterinnen aus Chinas Weltmarktfabriken erzählen, Assoziation A, Berlin / Hamburg 2008, 257 S., € 18,-.