Systemcheck

§ 129-Verfahren in Leipzig

Die offizielle Kampagne gegen den Rechtsextremismus mag einige darüber hinweg getäuscht haben, aber unser Staat bleibt in Ordnung. Auch weiterhin richtet sich die Repression gegen die antifaschistische Linke. Beispiel Sachsen.

Früher oder später gelangt eine florierende linke Szene mit halbwegs agiler Polit-Gruppenlandschaft in den Fokus der staatlichen Behörden. Davor schützt auch in Zeiten "zivilgesellschaftlicher" Anti-Nazi-Initiativen der Anspruch, autonomen Antifaschismus zu betreiben, nicht. Sicher, ab und an gehen die Aktivitäten der entsprechenden Gruppen und Projekte als geduldete HandlangerInnentätigkeiten durch. Aber die zumindest potentielle Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols und die Ausrichtung der Antifa auf eine grundsätzliche Gesellschaftskritik "zwingen" die Staatsschutzkommissariate und Sonderkommissionen geradezu, die linken SystemkritikerInnen auch unabhängig von ihrer realpolitischen Relevanz im Auge zu behalten.
Dass, was vor ein paar Monaten in Leipzig durch einen Zufall ans Licht der Öffentlichkeit kam, war also zu erwarten: Am 2. April 2000 leitete die Staatsanwaltschaft der sächsischen Metropole ein Ermittlungsverfahren "wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach §129 gegen unbekannt" ein. "Unbekannt" stimmte aber nur insoweit, dass sich das Verfahren nicht gegen einen engen Personenkreis oder eine bestimmte politische Gruppe, sondern gegen die gesamte Leipziger linke Szene richtete. Quer durch den Gemüsegarten waren Personen aus den unterschiedlichsten Gruppen, Projekten und Subkulturen im Visier der FahnderInnen.
Weder die Vorhersehbarkeit des Ereignisses noch seine Diffusität sollten jedoch dazu verführen, die Folgen zu bagatellisieren. Schon aus der Geschichte entsprechender Verfahren gegen die Autonome Antifa (M) aus Göttingen und die Antifaschistische Aktion Passau ist bekannt, welcher Zweck damit verfolgt wird. Ziel ist die vollständige Durchleuchtung und Überwachung der kriminalisierten Personenkreise. Strafe und Abschreckung sind zwar durchaus gewünschte Konsequenzen, vielmehr noch profitieren die Behörden jedoch von der Legalisierung eines schier grenzenlosen Ermittlungsinstrumentariums. Von der Überwachung der Telekommunikation, Observationen, der Einschleusung verdeckter Ermittler, dem Erstellen von Bewegungsprofilen, dem Verwanzen von Wohnungen, Zentren und Cafés bis hin zur Einschränkung der prozessualen Rechte der Beschuldigten, z.B. verschärften Untersuchungshaft- und Haftbedingungen, reicht mit der Einleitung eines §129-Verfahrens die gesetzlich abgesicherte Palette von Eingriffsbefugnissen. Am Ende einer solchen Überwachungsoffensive stehen zwar nur in 10 % der Fälle eine Anklage und zu einer Verurteilung der Betroffenen kommt es gar nur bei 5% der Verfahren, nichtsdestotrotz gewinnen die staatlichen SchnüfflerInnen ein genaues Raster der Qualität und Quantität des politischen Widerstandspotentials.
Unter anderem aus diesem Grund sollte die Freude über die Einstellung des Verfahrens am 9. Mai diesen Jahres "mangels hinreichenden Tatverdachts" getrübt bleiben. Sicher die Veröffentlichung der geheim gehaltenen Ermittlungen, eine parlamentarische Anfrage durch die PDS und sich ankündigender Protest der Betroffenen setzte die Staatsanwaltschaft unter Druck und führte zur hastigen Einstellung des Verfahrens. Aber zu der Tatsache, dass der §129 jederzeit wieder ohne große Probleme in Anschlag gebracht werden kann, kommt ebenso die Gewißheit, dass die über den Zeitraum von einem Jahr gesammelten Daten zur effektiven Überwachung der Leipziger Szene bereits genutzt werden.
Außerdem zeigt sich, dass der oberflächliche Eindruck trügt, der mit der Verfahrenseinstellung entstehen konnte.
Die "wehrhafte Demokratie" richtet sich auch weiterhin gegen die Linke. Die vom BKA initiierten "Gewalttäterdateien", die Einschränkung der Freizügigkeit für linke Oppositionelle oder die Einschränkung des Demonstrationsrechtes offenbaren, dass der Staat die Linke nicht nur ganz allgemein und routiniert im Blick hat, sondern anlassbezogen zur Aufrüstung fähig ist.
Ohne in Panik zu verfallen, ist gleichfalls darauf hinzuweisen, dass im Freistaat die Angleichung der Repression an "Weststandards" vollzogen wird.
Zu diesem Zweck wurde jetzt in Sachsen ein Pendant zur "Sonderkommission Rechtsextremismus" (Soko Rex) geschaffen. Genannt wird es "Sonderkommission Militante Autonome Gewalttäter" (Soko MAG). Neben der personellen und finanziellen Verstärkung der sächsischen Staatsschutzkommissariate und der Erweiterung der Befugnisse von verdeckten Ermittler, soll die neue Abteilung des Landeskriminalamtes zur Bekämpfung des Linksextremismus dienen. Angekündigt ist eine Truppe von gut ausgerüsteten Spezialisten. Die amtliche Titulierung stellt sowohl einen legitimationsheichenden Appell an die Bedrohungsängste der Bevölkerung dar, spricht aber ebenso für das wirkliche Drohpotential des neuesten Kindes des sächsischen Innenministeriums.
So wie das §129 Verfahren wird auch diese Maßnahme nicht ohne Folgen bleiben. Überwachung, Einschüchterung und die gewaltsame Verhinderung linker Systemkritik bekommen schrittweise eine neue umfassendere Dimension.
Schon wegen der zu erwartenden Auswirkungen läßt sich aus dieser Entwicklung nicht zweckoptimistisch auf die Widerstandsfähigkeit bzw. das Wachstum linker Zusammenhänge schließen. Genauso wenig taugt das abwiegelnde Argument, hier würde mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Es gilt zu beachten, dass der Staat gerne seine Feinde aufbauscht, um sich in unruhigen Zeiten seiner selbst zu vergewissern.
Die reale Repression gegen Links richtet sich dann nicht nur gegen ihr reales umstürzlerisches Potential, sondern dient dem generellen Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft.
So oder so verdeutlicht sie die Funktion des Staates bei der Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung zu Gunsten einer möglichst reibungslosen Kapitalverwertung. So oder so zeigt sie linken AktivistInnen die Grenzen des demokratischen Meinungspluralismus.
So oder so muß die Linke sich gegen die staatliche Repression wenden. Erstens, um sich ihre politischen Freiräume zu erhalten, die Voraussetzung für alles weitere, ja für ihre Existenz sind. Zweitens um im konkreten Widerstand die Notwendigkeit der Abschaffung der herrschenden Verhälnisse zu vermitteln.

Phase 2 Leipzig