The Eminem Show

Der Film „8 Mile“ hat, so scheint es, die Diskussion um Eminem „versachlicht“. Kein Grund ihm die Absolution zu erteilen und die popkulturellen Rezeptionsfehler um „Ghettopoetry“ zu wiederholen.

„Gewiß: Wenn ich lese, leugne ich nicht, daß der Autor leidenschaftlich erregt gewesen sein könne, noch daß er unter der Gewalt der Leidenschaft den ersten Umriss seines Werkes empfangen habe. Sein Entschluß zu schreiben setzt aber voraus, daß er mit seinen Regungen zurückhält...“

Jean Paul Sartre



Darüber, dass Eminem ein genialer Rapper ist, muss nicht diskutiert werden, aber sehr wohl über die Frage seiner musikalisch transportierten Inhalte – die „Hardcore“ sein sollen. Eminem rappt, wie viele andere Vertreter dieses Genres, über die Themen Gewalt, „Credibillity“, Frauen als Sexualobjekte und verwendet das gesellschaftlich akzeptierte Dissen von Schwulen und Lesben, er ist also nicht der „first who smack a bitch and say faggot“ (White America)(1). Das gezielte „Skandale“ wichtig sind, weiß Eminem, da er zum einen ein Underground-Star für den Mainstream sein will und er zum anderen im Gespräch bleiben muss.

 

Sex and Violence

Sexismus und Homophobie sind weitverbreitete Standards in der amerikanischen Hip- Hop-Community. Ohne den Ansatz eines aufklärerischen Untertons wird mittlerweile - gelabelt durch die leere Worthülse des „Freedom of Speech“ - ausschließlich auf Polarisierung und Provokation gesetzt. Insofern ist „das Ghetto zum Äquivalent jener archaischen Gesellschaftsstrukturen geworden, die anthropologisch zur Bildung einer männlichen Kriegerklasse führten.“(2) Während also diese Form von neuer/alter „Hustlerethik“ und dessen Bloßstellung eigentlich schon ein alter Schuh zu sein scheint, werden die Protagonisten des Genres nicht müde, im sexistischen und homophoben „Signyfin’“ eine Form popkultureller Provokationstechniken zu erkennen. Ein Erklärungsversuch, der nicht nur dünn, sondern schlicht und einfach falsch ist.

Eminems Stellung inner- und außerhalb dieser Community, seine Versuche, über Toleranzgesten und Widerrufe zu retten, was nicht zu retten ist, machen deshalb aus ihm noch keinen positiven Sonderfall. Im Gegenteil: Ein Duett mit Elton John – wie vor einiger Zeit zur eigenen Ehrenrettung geschehen - wirkt nicht nur banal, sondern konterkariert sich vielmehr von selbst.

Mit seiner Sichtweise auf die Frau als sein persönliches Eigentum, über deren Gesundheit und Leben er frei verfügen kann (Drips), ist er somit durchaus massenkompatibel. Eminem liefert damit den Soundtrack für die „häusliche Gewalt“ in Familien aller „Klassen“ und Hautfarben. Dies kann auch nicht mit Argumenten der sogenannten „Klassen-Linken“(3) - dass sei ja alles „White Trash“ - paternalistisch verniedlicht werden. Die Herkunft als „Underclass“ entschuldigt kein falsches Bewusstsein! Dennoch muss erwartet werden, dass die Schärfe der Kritik sich dann auch bei allen anderen prominenten Künstlern äußert, wenngleich die Popularität Eminems sie in seinem Fall um so notwendiger macht. Die Kritik sollte zudem auch eine Reflexion beinhalten, was die eigenen Gedanken und Gefühle angeht: Kurz, dass nicht, wie so häufig, nur auf einen besonders bösen Buben gezeigt wird.

 

This is my life ...

Ein Punkt, der Eminem von vielen „Hardcore“-Rappern unterscheidet, ist die konsequente Zurschaustellung seines Lebens, bei der er, was ihn positiv von vielen „Gangstas“ abhebt, auch über seine Schwächen, Fehler und Gefühle textet. Dazu gehören die skurrilsten Aspekte von seinen Erfahrungen als Looser in kindlichen Schlägereien (Brain Damage), seinem Selbstmordversuch - „I don’t want to look at nothin’, this world is too much (...) I could swallow a bottle of Tylenol“ (Sayin`Goodbye to Hollywood) -, über seine Hassliebe zu seiner Ex-Frau (Kim) und seiner Mutter (Kill You), die Vergewaltigungen von Jungen durch ihre Väter (Amityville) bis hin zu seiner geliebten Tochter Hailie, der er ganze Lieder (Hailies Song) und ein Tattoo auf seinem Arm widmet.

Zudem macht Eminem seine Biografie „Straight Outta Trailer Park“(4) in der HipHop-Welt, wo street credibility (fast) alles bedeutet, besonders „real“. Dieser Aspekt wird von seinem Marketing geschickt genutzt, von der Webseite bis zu seinem Filmdebüt „8 Mile“(5). Für diese Biografie beneiden ihn viele Vorstadt-Gangsta aber auch aus der Mittelschicht stammende Linksradikale, die doch ziemlich gern Teil der „Unterdrückten und Deklassierten“ sein möchten (zumindest in ihrer Jugend).

Eminem verneint aber keinesfalls die Attribute der Leistungsgesellschaft sondern kämpft darum, innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft erfolgreich zu sein „...all I wanted was to give Hailie the life I never had“ (Sayin`Goodbye to Hollywood). Der Wunsch nach einem gut situiertem Leben auf hohem Niveau ist ja auch nachvollziehbar und richtig!

 

What`s the difference between you and me? (Dr. Dre)

Die bis hier aufgezählten Punkte allein hätten Eminem aber definitiv nicht so berühmt gemacht, weil sie auf eine Vielzahl von Rappern zutreffen würden. Es ist die Kombination der genannten Aspekte mit dem Aspekt seiner weißen Hautfarbe - „If I was black I would’ve sold half...“ (White America) -, mit der er auch ein breiteres Publikum anspricht. Ein Segmentierung, die sicherlich auch auf die weißen Mittelschichtskinder gerichtet ist, womit Eminem ein Problem für die amerikanischen konservativen Elternverbände darstellt. „See the problem is I speak to suburban kids“ (Eminem). Diese Spießer würde es nicht so verärgern, wenn es sich um einen in einer marginalen Sparte erfolgreichen, afroamerikanischen Gangsta-Rapper handeln würde. Die Ironie daran ist, dass Eminem von dem afroamerikanischen Dr. Dre, seines Zeichens Produzent und ehemaliges Mitglied der in LA ansässigen HipHop-Gruppe Niggers with Attitude (NWA), „entdeckt“ und gefördert wurde und wird. Interessanterweise wird ihm von Weißen vorgeworfen, HipHop, das „CNN der AfroamerikanerInnen“ (Chuck D. von Public Enemy), zu „stehlen“. Er ist für einige „...the worst thing since Elvis Presley, to do black music so selfishly and use it to get myself wealthy“ („Without Me“). Diese Kritik persifliert Eminem wie bei vielen anderen Kritiken in seinen Songs u.a. in dem vorherigen Zitat aus „Without Me“ durch Reproduktion.

Abgesehen davon ist das „emanzipatorische Element“ des Gangsta Rap - das schon immer zweifelhaft war - ein Aspekt der Vergangenheit. Innerhalb der afroamerikanischen Community gab und gibt es heftige Diskussionen über die Verbreitung des Image des „kriminellen“, „sexfixierten“ Afroamerikaners, da diese Konnotation eine Realitätsverzehrung darstellt, die primär auf hohe Tonträgerverkäufe via hate speech schielt. Daher stellt der „Diebstahl“ keinen wirklichen Verlust dar. Unabhängig davon, dass es der ursprüngliche Ansatz des Gangsta Rap war, negative Stereotype in eine positive Identität umzudeuten. Außerdem sind die KünstlerInnen heute mitunter selbst afroamerikanische „Mittelschichtskinder“ (Puff Daddy), fern der Lebensrealität der afroamerikanischen „Underclass“. Das ist ein Punkt, den „8 Mile“ hervorragend bei einem Battle zwischen „Rabbit“ und dem „Leader“ der „Free World“ beschreibt. Noch peinlicher wird es, wenn sich weiße Mittelschichtskinder „Nigger“ nennen und versuchen losgelöst vom gesellschaftlichen Hintergrund die wahren Gangstas und Pimps zu sein. Diese Kids müssen nichts umkodieren, gehören zur Gesellschaft und vertreten häufig nur Sexismus. Zudem mögen sie den „schwarzen Flüchtling“ in Deutschland auch nicht besonders, außer er/sie ist cool und entspricht dem Image.

Abgesehen davon dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, dass (Sub-)Kulturen nicht per se progressiv sind, egal ob Punk oder HipHop. Es handelt sich dabei um neue Marktsegmente, die versuchen rebellisch zu sein, neue Impulse zu setzen und den Absatz zu fördern. Wer anderer Meinung ist, sollte mal wieder zu einem HipHop Konzert gehen oder sich mit Rassisten in Baggy Pants unterhalten.(6)

 

We are one community?

Die wesentliche und spezifische Kritik an Eminem - auch an „8 Mile“ - muss daher in dem angesprochenen Ausblenden des real existenten Rassismus in den USA liegen, da er sich als auf dem gleichen Niveau diskriminiert sieht. Er verkennt dabei die gesellschaftliche Realität, in der AfroamerikanerInnen versuchen, sich mittels Umkodierung ein positives Image zu schaffen, da sie als „nicht-weiß“ markiert sind und damit nicht voll zugehörig. Parallel dazu wird die Ideologie des „American way of life“ transportiert, nach der es alle Tüchtigen schaffen können „do not miss your opportunity...“ (Loose yourself). Die USA sind bei weitem davon entfernt frei von Rassismus zu sein, das zeigen auch die aktuellen Diskussionen zur Wiedereinführung der rassistischen Flagge der Konföderierten im Bundesstaat Georgia, zur Abschaffung der Affirmative Action, oder so simple Fakten, wie den höchsten Grad an „ethnisch getrennten“ Schulen seit Einführung der Desegregation. Dazu muss auch der überwiegend schlechtere Stand der Ausbildungs- und Einkommensverhältnisse der AfroamerikanerInnen in den USA erwähnt werden. Dass es in den USA, gerade im Vergleich zu Deutschland, sehr viel einfacher ist unabhängig von der Hautfarbe „nach oben“ zu kommen (allein auf Grund des Staatsbürgerschaftsverständnisses), darf nicht vergessen werden. Bevor sich linke AktivistInnen also in die Kritik US-amerikanischer Verhältnisse reinsteigern, sollten sie sich um die deutschen Verhältnisse kümmern.

Zurück zu Eminem. Okay, er hatte auch keinen guten Start in sein Leben, aber er wurde nicht durch seine Hautfarbe diskriminiert. Die Brothers keeper drücken diesen Sachverhalt, der wie gesagt in Deutschland noch sehr viel problematischer ist, sehr gut in ihrem Lied „Sag mir wie es wär“ aus: „Ich hab hier von Geburt an den Rassismus mitgekriegt ...ich kannt` nen Typ namens Frank, ein waschechter Punk... Der sagte, er hätte noch weniger Chancen als ich. Ich sagte, er hat seinen Look selbstgewählt, das konnte ich nicht“. Resümierend bleibt festzuhalten, dass Eminem einen faszinierenden Style mit Meisterwerken des HipHop wie z.B. Stan geschaffen hat. Dazu gehört aber auch zu einem großen Teil homophobe und sexistische „Poetry“, womit er marktkonform ist. Eminem spielt in verschiedenen Variationen den wütenden Rebellen gegen die Middleclass World. Materiell ist er bereits in dieser angekommen, ideologisch war er nie all zu weit davon entfernt - trotz aller Differenzierungsshows um „Realness“.

 

Insofern: „All swindle!!“ (Sex Pistols).

 

 

Fußnoten:

(1) Alle kursiv gesetzten Klammerbemerkungen sind Songtitel von Eminems Tonträgern „The Marshall Mathers“, „The Slim Shady“ und „8 Mile - The Soundtrack“.

(2) Günther Jacob, Agit Pop, Schwarze Musik und weiße Hörer. Berlin 1993, S. 125.

(3) M. Bunz „Mit Eminem auf der Psychocouch“, telepolis 06.04.01.

(4) H. Zwirner, in: Jungle World 42/1999.

(5) Der Film soll zwar nicht Eminem darstellen, aber die autobiographischen Elemente sind unübersehbar.

(6) vgl. auch: Hannes Loh/ Murat Güngör, Fear of a Kanak Planet. HipHop zwischen Weltmusik und Nazi-Rap., München 2002.

Phase 2 Berlin