Über den Feminismus der Besserverdienenden

»Meine Leitfrage ist«, so der Autor des Buches Geschlechterpolitik und Klassenherrschaft Jörg Nowak, »in welcher Weise moderne Staaten in Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise auf geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen einwirken. Es soll theoretisch rekonstruiert werden, wie Klasseninteressen das Verhältnis von Geschlecht und Staat bestimmen, aber auch, wie Geschlechterhierarchien gesellschaftliche Arbeitsteilungen präformieren.« Im Grunde plädiert das Buch dafür, in einen linken feministischen Diskurs stärker als bis dato Klassenverhältnisse zu integrieren. Das scheint sowohl vor dem Hintergrund einer theoretisch abstrakten Staatsanalyse notwendig zu sein, ist aber ebenso an ganz pragmatischen Tatsachen ablesbar. Auch wenn sich der Feminismus im Westen heute in seinem liberalen Gewand zumindest formaljuristisch – und im Rahmen bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse durchgesetzt zu scheinen hat, profitieren davon in erster Linie gut qualifizierte Frauen. Die weibliche Erwerbsquote, welche bekanntlich einen zentralen Bezugspunkt des liberalen Feminismus bildet, war zwar nie zuvor höher als derzeit, ist aber primär an den Ausbau des Niedriglohnsektors gekoppelt. Diesen Umstand führt Nowak als Paradebeispiel für die Blindstellen und die Kurzsichtigkeit des liberalen Feminismus an. Es ist kein Paradoxon, dass die scheinbare Emanzipation der Frau über Erwerbstätigkeit (auf dem Niedriglohnsektor) wieder in die Abhängigkeit des meist vollzeitbeschäftigten und besser entlohnten Mannes zurückführt, sondern die Logik der Verschränkung von Klassen- und Geschlechterverhältnissen. So festigt sich das Einernährermodell, welches eigentlich ab-geschafft werden soll, getarnt unter dem angeblichen Ausgleich des Geschlechterungleichgewichts. 

Die Rolle des Staates für die Durchsetzung des liberalen Feminismus verortet Nowak auf unterschiedlichen Ebenen. Er führt auf der einen Seite die Debatte um den Wohlfahrtsstaat, das »Doppelverdienermodell«, welches wie beschrieben die Geschlechterverhältnisse eher absichert als in Frage stellt, und die Familienpolitik des 21. Jahrhunderts an. Die vielleicht wichtigere, weil subtilere, Aufgabe kommt im liberalen Feminismus allerdings den nichtstaatlichen Organisationen zu. Den theoretischen Hintergrund bildet dafür der Verdichtungsbegriff von Nicos Poulantzas, welcher ähnlich wie Foucault von verstreuten Machtverhältnissen und wechselseitiger Beeinflussung von Basis und Überbau ausgeht. In diesem Sinne sind die feministischen Errungenschaften des liberalen Feminismus lediglich Befriedungs- und Entschärfungstaktiken. Die Integration gemäßigter Teile der feministischen Bewegung in den Staatsapparat, wie z.B. die Partei der Grünen, oder die Erfüllung von sanften feministischen Forderungen marginalisieren einen radikaleren Feminismus und führen zur »Klassenspaltung des Feminismus«, was M.F. Katzenstein treffenderweise als »divided feminism« bezeichnet hat. Um den gesamten Prozess der staatlichen Integration feministischer Initiativen und Forderungen zu fassen, beleiht sich Nowak bei Antonio Gramsci und spricht von einer »passiven Revolution«.

Die Gleichstellung der Geschlechter, die der liberale Feminismus vorgibt zu erfüllen, trifft dem Autor zu folge maximal auf gut qualifizierte Frauen und Familien mit einem hohem Einkommen zu, z.B. auch deshalb, weil sich gut situierte Familien von nicht entlohnter Hausarbeit befreien und somit auch Frauen am Erwerbsleben teilhaben können. Dieser Umstand wird durch die Familienpolitik der Regierungen Schröder und Merkel noch verstärkt, wie Nowak an drei familienpolitischen Gesetzen nachweißt. Und weil in Deutschland ergänzend ein relativ starkes Gefälle zwischen Frauen entlang ihrer Qualifikation besteht, wird deutlich, weshalb Geschlechteranalysen multidimensional sein müssen, »um nicht selektive Positionen zu untersuchen«. Spätestens an diesem Punkt wird dem/der Lesenden klar warum im Untertitel des Buches steht: Eine Integration marxistischer und feministischer Staatstheorien. Dazu steht einem recht schwer zu lesenden Kapitel zur marxistischen Staatstheorie ein sehr gut verständlicher Block zur feministischen Staatstheorie gegenüber, die Verschmelzung beider bleibt aber leider auf wenige Seiten beschränkt. Ganz klar sind nach der Lektüre des Buches zwei Erkenntnisse: Erstens: der liberale Staatsfeminismus folgt einer wachstumsorientierten Strategie, bei der Frauen die »Reservearmee der Lohnarbeit« bilden, hat aber dennoch – und das muss betont werden – auch positive Errungenschaften hervorgebracht und Zweitens: Geschlechter- und Klassenanalyse müssen gemeinsam diskutiert werden.

Mit Geschlechterpolitik und Klassenherrschaft »soll linken und feministischen Politiken ein Werkzeug geliefert werde, um die widersprüchliche Einbindung feministischer Strategien in den neoliberalen Staat bestimmen und die Möglichkeit und Bedingung für eine linke geschlechterpolitische Intervention genauer erfassen zu können.« Ein Ziel, das dem Autor gelingen sollte, insofern sich seine Leserinnen und Leser nicht vom arg steifen Dissertationscharakter des Buches abhalten lassen und den Band trotzdem durchringen.

~Von Bruno Berhalter. 

Jörg Nowak, Geschlechterpolitik und Klassenherrschaft. Eine Integration marxistischer und feministischer Staatstheorien, Westphälisches Dampfboot 2009. 292 S., € 29,90.