Über die fortwährende Arbeit an sich selbst

Wie müssen Gesellschaft und Ökonomie beschaffen sein, wenn sie es jenseits des institutionalisierten Antriebs zur Arbeit vermögen, ArbeitnehmerInnen beharrlich und zwanglos zu höherer Leistungsbereitschaft zu animieren? Und wie ist es um die Subjekte bestellt, die die an sie gestellten Herausforderungen des beruflichen Alltags in vorauseilendem Gehorsam erfüllen und den ständigen Optimierungsanspruch aus der Arbeitswelt in ihr Privatleben – oder umgekehrt – überführen?

Diese und ähnliche Fragen suchen Herausgeber und AutorInnen im vorliegenden Sammelband zu beantworten. Dem Titel entsprechend werden zwölf exemplarische Zonen des Alltags aufgerufen – von u.a. der Körper-, Zeit-, und Bürokratie-, über die Pop-, und Familien-, hin zur Wettkampf-, Gastronomie- und Therapiezone –, entlang derer das reziproke Verhältnis von systemischer bzw. struktureller Zurichtung der Subjekte und ihrer individuellen Verarbeitung ausgeleuchtet wird. Um das Phänomen der Selbstoptimierung inhaltlich fassen zu können, setzen die Herausgeber in der Einleitung die verschiedenen Facetten zusammen, aus denen die permanente Sorge um und Arbeit an sich selbst hervorgeht. Ausgangspunkt ist ihnen die Zurückweisung der landläufigen Vorstellung, wonach die Selbstoptimierung eine allein bewusst vollzogene Handlung des Individuums darstellt.

Felix Klopotek und Peter Scheiffele zufolge übersetzen die Menschen (un-)bewusst die von außen an sie herangetragenen Erwartungen bzw. den Druck, sich »der ›Kultur‹ eines Unternehmens, den Gesetzen des Marktes, den Zumutungen der Politik, ein guter Staatsbürger zu sein, den Imperativen der Kapitalverwertung« anzupassen »in eine Norm, eine moralische Vorschrift, die ›ich persönlich‹ zu verwirklichen habe«. Die Dialektik dieser Bewegung bestehe nun nicht nur darin, dass der zwanglose Zwang der Verhältnisse vom Einzelnen als subjektive Herausforderung und erstrebenswerte Zielsetzung internalisiert werde, sondern auch, dass mit dieser Internalisierung tatsächlich gesellschaftliche Handlungsfähigkeit und Anerkennung erlangt werde. Es sei noch komplizierter: Der Weg zum »Komplettindividuum« komme heute nicht nur als mühselige und freudlose Drangsal, sondern vielfach als hippe, ökologische, sportliche und konsumkritische Feel-Good-Unternehmung daher, was nicht nur den Eindruck des Zwanges minimiere, sondern ihr zugleich ein Gefühl der Sinnhaftigkeit und Bestätigung verleihe. Dieses Empfinden lasse sich nicht als bloße Ideologie zurückweisen, es verweise stattdessen auf die Vertracktheit des Phänomens.

In einigen der vorgestellten Zonen tritt dieser Widerspruch deutlich zutage und dort, wo er eingeholt wird, gewinnt die Perspektive auf die »Praktiken der Selbstführung« noch einmal deutlich an Schärfe. Greta Wagner etwa identifiziert in »Bessere Gehirne? Neuroenhancement in der Neurokultur« den Ursprung für die Einnahme von leistungssteigernden Substanzen in einer zunehmend auf Flexibilität und Eigenverantwortlichkeit setzenden Leistungsgesellschaft. Zugleich konstatiert sie bei ihren InterviewpartnerInnen eine nicht nur sehr reflektierte und zeitlich konzentrierte Einnahme von z.B. Ritalin, sondern zugleich den Impuls, die angetragenen Anforderungen zu unterlaufen: »Sie verstehen die pharmakologische Unterstützung als Mittel zur Abgrenzung. […] Zwar werden gefragte Fähigkeiten neurochemisch produziert, aber sie werden eben nicht mit Mühe und Anstrengung und Selbstdisziplin hervorgebracht, sondern qua Tablette.«

In etwas vermittelterer Form stellt sich die Hervorhebung der Ambivalenz auch in Judy Wajcmans Beitrag »Zeit finden im digitalen Zeitalter« dar. Sie hinterfragt das in der Optimierungsdebatte vorherrschende Paradigma einer durch die Digitalisierung hervorgerufenen Beschleunigung der menschlichen Lebenswelt. Zwar stellt sie den zunehmenden Fetisch der Geschwindigkeit, der in den Bereichen Kommunikation, Verkehr oder Arbeit sichtbar werde, nicht grundsätzlich infrage, nur bezweifelt sie die weitläufig aus dieser Entwicklung gezogenen Schlüsse: Ergibt sich tatsächlich zwangsläufig ein Gefühl des Gehetzt-Seins sowie ein Bedürfnis nach effizienterem Zeitmanagement?

Dass in nicht allen Lebensbereichen die Aufforderung zur Selbstoptimierung von einer derartigen Ambiguität geprägt ist, sondern vielfach als unnachgiebiger Leistungs- und Verwertungsimperativ auftritt, wird u.a. in Sarah Diehls Text über »Mutterschaft und Fürsorge als Dienst an der Leistungsgesellschaft« oder in Detlev Hartmanns Beitrag »McKinsey – das Selbst – der Klassenkampf« deutlich. Während Diehl herausarbeitet, wie der Frau nach wie vor eine makellose Allround-Performance als Ehefrau, Mutter und Lohnarbeiterin abverlangt wird, hebt Hartmann den »enormen Selbstaktivierungsdruck« der »Ressource Mensch« hervor, die sich als ökonomische Manövriermasse in der modernen Unternehmungsplanung permanent als leistungsbereit präsentieren und ihrer Einsparung erwehren muss.

Die Stärke des vorliegenden Bandes liegt im Vermögen der versammelten Beiträge, über die Widersprüchlichkeit hinaus auch die gesellschaftliche Reichweite der Selbstoptimierung abzubilden.

Momme Schwarz

Felix Klopotek, Peter Scheiffele (Hrsg.): Zonen der Selbstoptimierung. Berichte aus der Leistungsgesellschaft, Matthes & Seitz, Berlin 2016, 288 S., € 22,00.