Über Grenzen des Konsens

Gerade einmal fünf Monate waren im Jahr 2020 vergangen, für engagierte Feministinnen fühlte es sich wohl mindestens doppelt so lang an. Sowohl die Kampagne #mybodyisnotyourporn und deren Vernetzungsarbeit als Antwort auf die frauenverachtenden Videos vom Monis Rache Festival als auch die steigenden Zahlen häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie sowie mehrere Übergriffe und deren Verhandlung innerhalb der linken Szene fordern zum Handeln und reflektieren auf. Manchen mag es so vorkommen, dass die Novellierung des Strafrechts oder die Etablierung des Konsensprinzips ultimative feministische Errungenschaften sind, doch dabei kann es nicht belassen werden. Das Thema sexualisierte Gewalt hat leider immer Konjunktur. 

Eine aktuelle Ergänzung der black book-Reihe des Schmetterling-Verlags, Ja heißt Ja? Feministische Debatten um einvernehmlichen Sex hat der Rezensentin so manchen Denkanstoß gegeben und deshalb schon vorweg: Das Buch ist ein gelungener Debattenbeitrag rund um Konsensprinzip, einvernehmlichen Sex und den feministischen Kampf gegen sexualisierte Gewalt. Die Autorin Rona Torenz ist Geschlechter- und Sexualwissenschaftlerin und engagiert sich seit vielen Jahren für Feminismus und Antirassismus. Ihr vorliegendes Erstlingswerk ist ein feministisches Theoriebuch in handlichem Taschenbuchformat. Das komplexe Thema wird durch sieben Kapitel strukturiert, auf 155 Seiten gelingt ein Überblick über die Neuformulierung feministischer Strategien gegen sexualisierte Gewalt und eine feministische Analyse der vermeintlich manifestierten Maxime »Ja heißt ja«. 

Das Buch beginnt mit den Grundlagen: einer Einordnung von sexueller Befreiung, Debatten um Sexualität und sexualisierte Gewalt seit 1968, die Forderungen der Zweiten Frauenbewegung, und der Subjektwerdung des Menschen. Anschließend beschreibt sie die Entwicklung von Konsensprinzipien: von »Nein heißt Nein«, also der vorausgesetzten Zustimmung zu Sex bis diese widerrufen wird, hin zu »Ja heißt ja«, der Forderung nach verbal eindeutiger Zustimmung, bevor Körperlichkeit initiiert wird. Dies ist nicht nur zur Verortung der Debatte wichtig, sondern auch zur Betrachtung der Entwicklung feministischer Konzepte anhand veränderter gesellschaftlicher Umstände, Diskursverschiebungen und rechtlichen Veränderungen. So erschien es sinnvoll, dass ein ausgesprochenes Nein die reflektierte und ehrliche Ablehnung eines Menschen bedeutet, doch die folgende Umdeutung hin zum victim blaming, »Sie hätte ja nicht laut Nein gesagt«, belehrt eines Besseren. Die Aufforderung zur Kommunikation und die Herstellung der Sprachfähigkeit bezüglich der eigenen Wünsche und des Begehrens als Prävention wurden dem entgegengesetzt. 

In den folgenden Kapiteln diskutiert die Autorin die Fragen: Welche Voraussetzungen müssen für Einvernehmlichkeit gegeben sein? Verhindert verbal eindeutige Kommunikation sexualisierte Gewalt? Setzt diese Annahme doch voraus, dass Menschen autonome und selbstbestimmte Subjekte, dass sie informiert, frei und nüchtern sind, fordert sie außerdem Bewusstsein und Sprachfähigkeit, und ignoriert die Bedeutung nonverbaler Signale und indirekter Fragen für zwischenmenschliche Kommunikation. Auch gute und einvernehmliche Sexualität und erfülltes Begehren werden nicht über das Abarbeiten von Punkten auf einer Liste hergestellt, ist es doch eine hohe Anforderung an Personen, ihr Begehren immer verbalisieren zu können. 

Die Autorin möchte an dieser Stelle neue Denkanstöße zu Kommunikation und Sprachfähigkeit geben. Weitere Kapitel des Buchs setzen sich mit der (Re-)Produktion von Heteronormativität und Anforderungen an eindeutige und unmissverständliche Kommunikation auseinander. Inwieweit werden durch heteronormative Annahmen vergeschlechtliche Rollen reproduziert und welche Auswirkungen hat das auf Konsens? Rona Torenz fordert auf, zu hinterfragen: wer begehrt, wer muss Einverständnis zum Begehren geben, wer ist vermeintlich schutzlos, wer initiiert Sex, wer trägt Verantwortung, gleicht Einverständnis auch Lust? Wenn Feministinnen die Prävention sexueller Gewalt als wichtiges Ziel ihrer Arbeit begreifen, muss an dieser Stelle weitergedacht werden. Der Autorin gelingt die wohlwollende und kritische Betrachtung feministische Strategien zur Verhinderung sexualisierter Gewalt und von Grenzen von Zustimmungskonzepten. Sie verweist auf die Verinnerlichung heteronormativer und patriarchaler Vorstellungen von Sexualität und fordert die feministische Leserin zur kritischen Auseinandersetzung auf. Kritik an feministischen Konzepten sieht sie als Chance zur Weiterentwicklung. Wie können wir sexualisierte Gewalt verhindern? Wie können wir aus der Individualisierungsfalle, also der Kommunikation zwischen den Beteiligten, heraustreten und die strukturellen Probleme aufzeigen? Herausgekommen ist ein großartiges Buch, das nicht nur feministische Debatten anhand der Entwicklung des Konsensprinzips der letzten Jahrzehnte darstellt, sondern auch neue Analysen zu Kommunikation und Einverständnis im Kontext von Geschlecht und Heteronormativität gibt und sich traut, Empfehlungen zum Weiterdenken zu geben

 

Caroline Dalibor

 

Rona Torenz: Ja heißt Ja? Feministische Debatten um einvernehmlichen Sex, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2019, 164 S., € 13,80.