Vollkommen rehabilitiert

Die Ausstellung »Flucht, Vertreibung, Integration« lässt ahnen, wie das geplante »sichtbare Zeichen der Erinnerung an Flucht und Vertreibung« im Berliner Deutschlandhaus aussehen wird.

Der Text entstand auf der Grundlage eines Vortrags zur Reihe »Deutsche Umtriebe – Eine Veranstaltungsreihe gegen den deutschen Geschichtsrevisionismus in Leipzig«. Organisiert wurde »Deutsche Umtriebe« von den Leipziger Gruppen LeA und AFBL sowie dem StuRa der Universität Leipzig.

Im Koalitionsvertrag hatten CDU und SPD im Oktober 2005 vereinbart, ein »sichtbares Zeichen« gegen »Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung« zu setzen. Schneller als erwartet konnte das Vorhaben verwirklicht werden. Am 2. Dezember 2005 eröffnete Bundespräsident Horst Köhler im Bonner Haus der Geschichte die Ausstellung »Flucht, Vertreibung, Integration«. Die Ausstellung ging im Frühjahr 2006 auf Wanderschaft und wurde u.a. auch in Berlin und Leipzig gezeigt. Anfragen anderer Städte werden zurzeit abschlägig beschieden. Dem Magdeburger Oberbürgermeister wurde von Seiten der Organisatoren Ende Juli 2007 mitgeteilt, dass die Ausstellung der Öffentlichkeit nicht mehr zur Verfügung stehe.

Die fast einhellig von Presse, Rundfunk und Fernsehen mit Zustimmung und Lob aufgenommene Ausstellung zeigt mit Hilfe von 1500 Exponaten auf 650 m2 Ausstellungsfläche die Flucht und Vertreibung von angeblich 14 Millionen Deutschen am Ende des 2. Weltkrieges, sowie deren Ankunft und Integration in West- und Ostdeutschland nach 1945. Die Ausstellungsgestaltung mache deutlich, so der Direktor des Historischen Museums Hermann Schäfer »dass die nationalsozialistische Eroberungspolitik, dass die gewaltigen Völkerverschiebungen, die von Deutschland während des Zweiten Weltkrieges intendiert und zum Teil auch begonnen wurden, gleichsam das Vorspiel waren für die Entwurzelung von Millionen von Deutschen östlich von Oder und Neiße«. Der deutsche Eroberungs- und Vernichtungskrieg ist nach Ansicht Schäfers nichts als ein Vorspiel für das umfassende Leid, das die Deutschen 1945 getroffen hat.

Aber damit nicht genug: Das Vorspiel NS-Diktatur und 2. Weltkrieg sind wiederum nur Bestandteil einer vor Tausenden von Jahren begonnenen und auch in der Gegenwart praktizierten weltweiten Praxis der Vertreibung. Darauf wird der Besucher gleich am Anfang eingestimmt. Eine symbolträchtige Dreifaltigkeit: Ein sogen. Rungenwagen, Haupttransportmittel der deutschen Ostflüchtlinge, ein Verzeichnis der UN über aktuelle Flüchtlingsströme und ein Gemäldezyklus von Gerhard Marcks Flüchtlinge. Marcks schildert in seinem 1959 entstandenen Gemälde das endlose Leid von Flüchtlingen über alle Zeiten und Kontinente. Assyrer aus Elam, Juden aus Jerusalem auf der Flucht vor den Römern, Flüchtlinge vor der Hunneninvasion, Hugenotten, die Frankreich verlassen.

Der Besucher weiß bereits, hier geht es nicht nur um Vertreibung, sondern auch um Völkermord und Genozid. Dazu läuft ein endloses Videoband im Hintergrund mit Filmaufnahmen aus dem 2. Weltkrieg, deren Entstehung und Inhalt mit keinem Wort erläutert werden. Der Weg in diesen Krieg ist begleitet von Vertreibungen und Genoziden, die Griechen und Türken, Türken und Armenier vollziehen und erleiden. Die Ausstellung folgt in ihren wesentlichen Aussagen, den modernisierten ideologischen Vorgaben des Bundes der Vertriebenen und ihrer Sprecherin Erika Steinbach. Sie vollzog die Anpassung der völkisch-nationalistischen Sprache der deutschen Vertriebenenverbände an den allein noch akzeptablen Jargon des internationalen Menschenrechtsdiskurses. »Indem Steinbach«, so der Frankfurter Politologe Micha Brumlik, »die gemessen an den historischen Debatten der Bundesrepublik Deutschland unhaltbar gewordene These von der Singularität des - nein, nicht jüdischen, sondern deutschen - Leids preisgab und das Gedenken an die Vertreibung mindestens nominell in die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts stellen und zudem auf die Zukunft ausrichten wollte, gab sie dem Anliegen der Vertriebenen jene Form, in der allein es noch öffentlich akzeptabel sein kann«. Besonders die armenischen Opfer haben mittlerweile eine unverzichtbare Funktion für Gedenkveranstaltungen des BDV. Dabei interessieren die konkreten Ereignisse und Strukturen des Großen Mordens kaum. Das Interesse speist sich aus der Gleichsetzung des Schicksals der Armenier und der Deutschen. Der türkische Staat weigert sich bis heute den Massenmord anzuerkennen. Auch die deutschen Vertriebenen werden nach Auffassung ihrer selbsternannten VertreterInnen nicht als Opfer einer genozidalen Politik gewürdigt. Jedenfalls nicht genug. Deshalb fehlt auch jeder Hinweis auf die Politik des kaiserlichen Deutschlands, das mit der Türkei verbündet war und eine gewalttätige Politik in Schlesien und Westpreußen gegen seine polnische und jüdische Minderheit bereits seit 1885 mit der Ausweisung von über 30.000 Menschen aus Deutschland exekutierte.

Der zentrale Beitrag der Vertriebenenorganisationen

Der BDV und die Landsmannschaften spielten für die Konzeption und Ausgestaltung der Ausstellung eine zentrale Rolle. Die Heimatmuseen und Archive, Gedenkstätten und andere Institutionen lieferten einen großen Teil der ausgestellten Exponate. Endlich konnte man bundesweit einmal zeigen, was man so alles hat. Selbst das 1959 abgebrannte ostpreußische Jagdmuseum präsentierte zwei Säbel aus dem geretteten Inventar.

Das »Sudetendeutsche Archiv« recycelte Teile seiner Ausstellung »Odsun – die Vertreibung der Sudetendeutschen«, die im Jahre 2000/01 auf Wanderschaft ging und das politische und historische Weltbild der Sudetendeutschen Berufsvertriebenen mit Unterstützung der bayerischen Staatsregierung der bundesdeutschen Öffentlichkeit präsentierte. So existiert neben den großen Vor- und Hauptgeschichten ein kleiner Subtext, der in mehreren kleinen und mittleren Tafeln das Leiden der Sudetendeutschen unter dem Joch der CSR Demokratie in den Jahren 1919–38 schildert.

Für die uneigennützigen Helfer und Unterstützer findet Museumsdirektor Schäfer klare Worte des Dankes: »In der pluralistischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland hatte die Erinnerung an Flucht und Vertreibung stets Fürsprecher. An erster Stelle sind die Vertriebenenverbände zu nennen [...] Die wechselvolle Geschichte dieser Interessenvertreter zwischen tiefen Verletzungen und Versöhnungsbereitschaft – die Charta der Heimatvertriebenen von 1950 wird im Original ausgestellt und ist hier das wichtigste Signal – zeigen wir in einem Ausstellungsbereich. Ein weiterer Raum beherbergt Objekte aus einer »Heimatstube«, wie sie vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren in großer Zahl im gesamten Bundesgebiet entstanden.«

Bevor man diese Exponate ansehen kann, ist es nötig den im Ausstellungsplan als Abschnitt 2.1. gekennzeichneten kleinen Gang zu durchlaufen. In der Topographie der Ausstellung nimmt er ungefähr den gleichen Raum ein wie Abschnitt 6.3.1 »Heimatstube«. Er ist tapeziert mit Bildern aus dem zerstörten Warschau, mit Bildern aus Baby Jar und Lidice. Die Beschreibung ist knapp und ohne Erklärungswert. Der deutsche Vernichtungskrieg, die Ermordung vieler Millionen Menschen erschöpft sich in der Reproduktion tausendmal gesehener Bilder und der Anonymisierung der TäterInnen. Der historische Ort des Verbrechens und die dafür verantwortliche deutsche Nation verschwinden aus der Geschichte. Das Museum für deutsche Geschichte verzichtet darauf, die Ergebnisse der zeithistorischen Forschung der letzten dreißig Jahren in seine Darstellung des Vernichtungskrieges und der Shoah aufzunehmen. Aus guten Gründen hat man es unterlassen die massenhafte Beteiligung etwa der Königsberger und Breslauer Bevölkerung an der Entrechtung, Ausplünderung und Deportation Zehntausender jüdischer BürgerInnen dieser Städte auch nur zu erwähnen. Die Beteiligung zehntausender Volksdeutscher in den Einheiten des »›Volksdeutschen Selbstschutzes‹ an Massenhinrichtungen polnischer Bürger im Rahmen nach der Eroberung des Landes« hätte exemplarisch den Zusammenhang zwischen deutscher Volksgemeinschaft und Vernichtung deutlich machen können. Auf die Darstellung des Überfalls auf die Sowjetunion wurde vollkommen verzichtet. Es starben 26 Millionen sowjetischen Bürger, davon mehr als die Hälfte Zivilisten, als Folgen des von der Deutschen Nation durchgeführten Eroberungs- und Vernichtungsfeldzuges der Jahre 1941–45.Die deutsche Nation und ihr Führer waren allein verantwortlich für den blutigsten Krieg der bisherigen Geschichte. Eine hochindustrialisierte Gesellschaft mit einer langen Tradition des Rechtsstaates, der Wissenschaft und bürgerlicher Kultur hat die monströsesten Verbrechen des 20. Jahrhunderts zu verantworten. Und weigert sich bis heute, die volle Verantwortung dafür zu übernehmen.

Die verschwundene Armee

Folgt man der im zentralen Abschnitt 2 der Ausstellung dargelegten Beschreibung der Ereignisse des Jahres 1944/45, so passiert an der 2.200 km langen deutsch-sowjetischen Front das eigentliche Wunder des 2. Weltkrieges. Die deutschen Verbände, ca. 120 Divisionen mit 2,5 Millionen Soldaten, die bis dahin viele Millionen sowjetische Soldaten und Zivilisten getötet und Tausende Kilometer sowjetischen und polnischen Territoriums in Wüste verwandelt haben, verschwinden spurlos vom Kriegsschauplatz. Die deutschen Siedlungsgebiete erscheinen als eine von Frauen und Kindern bewohnte friedliche Welt, die von einer furchtbaren Heimsuchung getroffen wurde. Jeder Hinweis auf das Universum der Vernichtungs- und Konzentrationslager, den Terrorapparat, das riesige Heer der rechtlosen Sklavenarbeiter fehlt in der Darstellung der Ereignisse.

Dabei ist auch in den letzten Monaten des Krieges die »Deutsche Wehrmacht« an der Ostfront ein gefürchtetes und effektives Tötungsinstrument. Der Historiker Manfred Zeidler hat im Rahmen des von der »Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen« getragenen Forschungsprojekts »Die Rote Armee in Ostdeutschland« in den Jahren 1989 bis 92 eine lesenswerte Studie erarbeitet, deren Ergebnisse in der Ausstellung ignoriert werden. Zeidler zufolge betrugen im Frühjahr 1945 die personellen Verluste der »Roten Armee« aufgrund der effektiven und entschlossenen Kampfführung der Wehrmacht etwa das Doppelte der Deutschen Toten und Verwundeten.

Zeidler vermutet, dass die riesigen Verluste der eingesetzten Fronttruppen eine der möglichen Ursachen für die entfesselte Gewalt gegen die deutsche Zivilbevölkerung im Frühjahr 1945 sein könnten. »So betrugen bei der ostpreußischen Operation die Tagesverluste von Rokossovskijs Heeresgruppe zwischen dem 14. Januar und dem 10. Februar 1945 fast 5.700 Mann an Toten und Verwundeten, während ihr nördlicher Nachbar, die 3. Weißrussische Front etwa 4.000 Mann und ihr südlicher, die 1. Weißrussische Front [...] im gleichen Zeitraum knapp 3.400 Mann Verluste am TAG zu beklagen hatte.«

Neben der »Roten Armee« beginnen auch die Tschechen, so die Darstellung der Ausstellung, ihren Krieg gegen die »Deutsche Zivilbevölkerung«. Wiederum illustrieren Filme ohne konkrete Angaben zu Ort, Zeit und Umständen die Übergriffe gegen unschuldige Deutsche. Ein Foto, das zwei erhängte halbnackte Erwachsene zeigt ist untertitelt »Deutsche Zivilisten und Soldaten sind häufig Opfer aufgebrachter tschechoslowakischer Bevölkerung oder selbsternannter Volksgerichte. Sie werden vor Ort aufgehängt oder erschossen« Wann das Foto entstand und wen es zeigt, wird nicht angegeben. Auf einer Konferenz des »Hamburger Instituts für Sozialforschung« im Frühjahr 1999 zu dem Thema »Das Photo als historische Quelle« wurden, in Anwesenheit leitender Mitarbeiter bundesdeutscher Archive, Mindeststandards für den Umgang mit Photographien bei historischen Ausstellungsprojekten festgeschrieben und in der Fachöffentlichkeit mit breiter Zustimmung kommentiert. Dies hätte man sich auch für die Ausstellung gewünscht. Die FAZ, die die Ausstellung in höchsten Tönen lobt, bedauert hingegen, dass das Foto mit den gelynchten und an Laternen und Bäumen aufgehängten Deutschen nicht in den Ausstellungskatalog aufgenommen wurde. Die Frage, wer die Opfer sind und warum sie dieses furchtbare Schicksal erleiden mussten, wird nicht gestellt.

In der Öffentlichkeit der alliierten Nationen wuchs im Verlauf des Krieges die Überzeugung, dass der Nationalsozialismus und sein Führer die Unterstützung und Loyalität der übergroßen Mehrheit der Deutschen besaßen. Ein Sieg Deutschlands hätte den Einbruch eines neuen Zeitalters bisher unvorstellbarer Barbarei für die Menschheit bedeutet. Im Sommer 1942, auf dem Höhepunkt der deutschen Machtausdehnung waren 260 Millionen Menschen der deutschen Terror- und Vernichtungspolitik unterworfen. Die wichtigsten Ziele des Nationalsozialismus - Lebensraum und Sklaven für die deutsche Herrenrasse, Vernichtung des jüdischen Volkes in seiner Gesamtheit - schienen in greifbare Nähe gerückt. Die Dynamik des Krieges hatte das imperiale Programm der alten deutschen Machteliten längst hinter sich gelassen. Es ging um mehr als um ökonomische Macht und die politische Kontrolle der eroberten Gebiete. Der Krieg wurde geführt für den Aufbau einer menschlichen Zivilisation nach den Kriterien einer rassischen Anthropologie. Die Völkermordkohorten der deutschen Wehrmacht und der SS, die am 22. Juni 1941 in die Sowjetunion einfielen, führten nicht nur einen Ausrottungsfeldzug gegen die »Rote Armee« und die sowjetische Zivilbevölkerung. Sie waren auch die Phalanx des weltweiten Antisemitismus. Mit dem Vormarsch der deutschen Armeen wurde im gesamten deutschen Machtbereich das radikalste Programm zur Ausrottung einer menschlichen Gruppe realisiert, das jemals erdacht und geplant wurde. Von der norwegischen Stadt Bergen am Polarkreis, aus der Ende November 1942 532 norwegische BürgerInnen jüdischen Glaubens nach Auschwitz deportiert wurden, bis zur griechischen Insel Rhodos vor der türkischen Küste, wo im Sommer 1944 die jüdische Gemeinde auf Lastkähnen der deutschen Kriegsmarine ihren Weg nach Auschwitz antrat, erstreckte sich das deutsche Vernichtungsprogramm.

Ein neuer Lagertypus entstand: Sobibor, Belzec, Chelmo und Treblinka sind für zwei Millionen Jüdinnen und Juden reine Vernichtungsstätten, deren Funktion ausschließlich darin besteht, alle ankommenden menschlichen Wesen zu töten und ihre Körper restlos zu beseitigen.

Von 1939 bis 45 hatte die deutsche Nation Hunderte Millionen Menschen einer entfesselten, unbarmherzigen Gewalt unterworfen. Deutschland hatte eine Welt geschaffen, in der die Existenz von Abermillionen Menschen auf den Kampf um das eigene Überleben reduziert wurde. Bei einer militärischen Niederlage musste sich der in Jahren aufgestaute elementare Hass entladen. Längst hatte sich der traditionelle Antifaschismus in antideutschen Hass verwandelt, der sich im Frühjahr und Sommer 1945 in Lynchaktionen, Selbstjustiz und Exekutionen entlud, denen auch offensichtlich Unschuldige zum Opfer fielen. Die Zustände waren geprägt von der Willkür lokaler Behörden und Milizen. Hinzu kamen marodierende Banden von Kriminellen und Deserteuren, die das Klima der Gewalt und Rechtlosigkeit verschärften. Rache, Vergeltung, eine Selbstmordwelle, die allein im Sudetengau ca. 6.000 Opfer zählte, aber auch kriminelle Gier und Mordlust kosteten tausende Menschen das Leben.

Bis heute sind die Vertriebenenverbände nicht daran interessiert, eine realistische deutsche Opferbilanz zu erstellen. Wichtig ist stattdessen, die Zahlen immer weiter nach oben zu treiben. Auch die Ausstellung folgt diesem Beispiel und verzichtet darauf, eine aktuelle, dem Forschungsstand entsprechende Bilanz zu ziehen. An der Zahlenmagie, wie sie von der Sudetendeutschen Landsmannschaft seit Jahrzehnten betrieben wird, lässt sich dies verdeutlichen:

Bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft hat sich die Opferzahl seit Jahren bei 250.000 Toten eingependelt. Dies wären fast 10 Prozent der deutschen Bevölkerungszahl von 1939 in der CSR gewesen. Die deutsch-tschechische Historikerkommission hat diese Zahl als frei erfunden bezeichnet. Sie ergibt sich aus der Differenz zwischen den bei der Volkszählung vom Mai 1939 im NS-Gau Sudetenland registrierten Deutschen und der Zahl der ausgesiedelten Deutschen von 1950 in Aufnahmestaaten, die teils errechnet, teils geschätzt (DDR) wurden. Den größten Unsicherheitsfaktor bilden jene 143.000 Personen, die von Mai 1945 bis Juni 1947 Anträge auf Einbürgerung in die CSR gestellt haben, sowie die nicht geklärte Zahl der Sudetendeutschen, die als Angehörige der Wehrmacht, der SS und des Sudetendeutschen Volkssturms gefallen sind

Was die Landsmannschaft und ihre publizistischen Hilfstruppen anbelangt, kann man jedes Interesse an einer seriösen Auseinandersetzung über die wirklichen Opferzahlen ausschließen. Die Erfindung von 250.000 während der Vertreibung getöteten Sudetendeutschen ermöglicht die Konstruktion der Landsmannschaft als Opferverband. Die sudetendeutsche Totengemeinschaft ist fast identisch mit den tatsächlich ermordeten 260.000 jüdischen BürgerInnen der CSR in den Grenzen von 1937.

Ankunft und Integration

Der Ankunft und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Ost- und Westdeutschland ist der zweite Teil der Ausstellung gewidmet. Die erste Volkszählung nach Beendigung des Krieges hatte 1946 ergeben, dass seit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches mehr als neun Millionen Menschen in die vier Besatzungszonen der Alliierten gelangt waren. Etwa sechs Millionen befanden sich hauptsächlich in der amerikanischen und britischen Besatzungszone. In der sowjetischen Besatzungszone zählte man drei Millionen Menschen.

Ihre Ankunft und schwierigen Lebensbedingungen sind mehrere Abschnitte der Ausstellung gewidmet. Die totale Niederlage Deutschlands hatte sie sehr viel gekostet: die Heimat, fast allen Besitz, den beruflichen Status und die soziale Sicherheit. Sie trafen vor allem in den ländlichen Aufnahmeregionen auf den Teil der Volksgemeinschaft, der unter ökonomischen Kriegsverlusten vor allem den Verlust der Arbeitskraft der Zwangsarbeiter zu bilanzieren hatte. Die schnelle Integration der NeubürgerInnen wird zu Recht als ein Erfolg des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders gefeiert. Die Positionen einer kritischen Geschichtsschreibung die die Ursachen für dieses »Wunder« vor allem in den Erfolgen der NS-Kriegswirtschaft sehen, finden keine Erwähnung.

Einig waren sich die Alt- und Neubürger vor allem in der Ablehnung jeglicher Entschädigungszahlungen für die überlebenden Opfer der NS-Kriegs und Vernichtungspolitik. Bereits in den ersten Nachkriegsjahren werden Erinnerungen und persönliche Zeugnisse über die Erfahrungen von Flucht, Vertreibung und erlittener Gewalt publiziert. Darauf macht die Ausstellung aufmerksam und präsentiert die jeweiligen Veröffentlichungen

Ein Autor wird besonders auf einer Tafel hervorgehoben. »Edwin Erich Dwinger schrieb bereits 1950 mit Wenn die Dämme brechen einen ersten Roman über Flucht und Vertreibung. Zahlreiche andere Romane folgen im Laufe der Zeit, die den Abschied, die Schrecken der Flucht, das Leiden im Lager und die brutale Vertreibung eindringlich und berührend beschreiben«.

Dwinger war ein NS-Bestsellerautor. Seine Romane über seine Kriegserlebnisse im Kampf gegen den Bolschewismus erreichten Massenauflagen. 1935 erhielt er den nationalsozialistischen »Dietrich-Eckart-Preis« und wird zum Reichskultursenator ernannt, Himmler verleiht ihm den Rang eines Obersturmführers der SS-Reiterstaffel. In seinem Roman Spanische Silhouetten verherrlicht er den Einsatz der deutschen »Legion Condor« auf Seiten der spanischen Faschisten im Krieg gegen das republikanische Spanien.

Im Auftrag Heinrich Himmlers berichtet er von der Ostfront. Nach 1945 lässt sich Dwinger als Gutsbesitzer im Allgäu nieder und veröffentlicht den in der Ausstellung lobend erwähnten Roman Wenn die Dämme brechen. Bereits 1940 hatte Dwinger mit dem Roman Der Tod in Polen – eine volksdeutsche Passion das tragische Schicksal der Deutschen in Polen beschrieben.

»Am 3. September 1939 nach Christi Geburt, am dritten Tage des polnischen Krieges, verkündete Warschau einen Rundbrief. Es hieß darin nur kurz, dass Anweisung Nr. 59 durchzuführen sei [...] Nach diesem Rundbrief stürzte sich das polnische Volk, von seinen Soldaten samt ihren Offizieren dazu angetrieben, auf alle Deutschen, ermordete innerhalb weniger Tage 60.000 Menschen. Nur wenige von ihnen wurden erschossen, die meisten wurden tierisch erschlagen, auch Leichenschändungen kamen in großer Anzahl vor.«

Besonders gewürdigt wurden die politischen Leistungen der deutschen Landsmannschaften und der »Bund der Vertriebenen«. Direkt neben der »Heimatstube« befindet sich der Bereich 5.4. »Vertriebenenverbände«. Einzelne Landsmannschaften wurden vorgestellt. Allerdings fehlen wesentliche Informationen über die Entstehung und Politik der bundesdeutschen Vertriebenenverbände. Selbst 60 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges sollen in Deutschland laut Aussage der Ausstellung noch bis zu 14 Millionen Vertriebene leben. Die Erklärung für dieses biologische Wunder wird dem Besucher vorenthalten. Mit der Inkraftsetzung des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes am 19. Mai 1953 wurde der Vertriebenen- und Opferstatus erblich. Schon 1950 waren die in der Bundesrepublik geborenen Nachkommen erstmals als »Vertriebene« gezählt worden. Diese juristische Konstruktion, die den Willen der Vertriebenenorganisationen und ihrer politischen Verbündeten widerspiegelte die »Volksgruppe im Exil«, und ihre politischen Forderungen aufrechtzuerhalten, hat zu einer rapiden Zunahme der bundesdeutschen Vertriebenen geführt. Ihre Zahl stieg von 7,8 Millionen im Jahr 1950 auf 13 Millionen 1970. Nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden waren im April 1970 46,7 Prozent der »Vertriebenen« fast 7 Millionen nach Kriegsende geboren. Die zahlenmäßig größte Vertreibung der Weltgeschichte hat in der Bundesrepublik von 1950 bis 1970 durch Geburt stattgefunden.

In einem DIN A4 Ordner befinden sich knappe Biographien von Verbandsfunktionären. Man hätte gerne mehr gewusst, etwa wieso der Alt-Nazi Theodor Oberländer, der immerhin 1923 mit seinem Führer zur Münchener Feldherrenhalle marschierte und ein Vordenker und Praktiker der deutschen Vernichtungspolitik in der okkupierten Sowjetunion gewesen war, nach 1992 »vollkommen rehabilitiert wurde«.

Aber nicht nur Oberländer erhält seinen Persilschein. Die gesamte Organisation des BDV und der Landsmannschaften erscheint von mustergültigen Demokraten gegründet und geleitet worden zu sein.

Eine riesige Reproduktion des Textes der Charta der Deutschen Heimatvertriebenen von 1950 hängt an der Wand. Über die 30 Unterzeichner der »Charta« der »deutschen Heimatvertriebenen« erfahren wir nichts. »Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen«, so Ralf Giordano, »ist ein überzeugendes Dokument innerer Beziehungslosigkeit zur Welt der Naziopfer, der unaufhebbaren, unkaschierbaren Ferne zu ihrer Gefühls- und Leidensgeschichte [...]. Der einzige Superlativ, den die Unterzeichner dieser Schrift der Umschreibungen und der Verschwommenheit finden, dient der Beschwörung des eigenen Leides.« Nach einer Erklärung hierfür braucht man nicht lange zu suchen. Die Unterzeichner waren mehrheitlich Mitglieder der NSDAP, der SA und SS gewesen. Einige hatten die volksdeutschen Minderheiten im Sinne der NS-Volksgruppenpolitik organisiert und sich an der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas aktiv beteiligt. Sie waren keine »Heimatvertriebenen«, sondern NS-Funktionäre und Aktivisten, die fliehen mussten, um nicht für die Beteiligung an der deutschen Aggressions- und Vernichtungspolitik zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Die Ausstellung verzichtet auf jede kritische Darstellung der Rolle der Vertriebenenorganisationen in der BRD. Die Darstellung ihrer Geschichte folgt der Habilitationsschrift des Würzburger Politikwissenschaftlers Matthias Stickler »Ostdeutsch heißt Gesamtdeutsch. Organisation. Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzungen der deutschen Vertriebenenverbände 1949–72«

Stickler bezeichnet in seinem 2004 erschienenen Buch alle Informationen bezüglich der Nazi-Vergangenheit der Führungsgruppen des BDV und der Landsmannschaft als von kommunistischen Agenturen und Einflussagenten erfunden. Ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung denunziert er auf 436 Seiten alle Kritiker der deutschen Vertriebenenverbände als Kommunisten bzw. »Vertriebenenfeinde«. Vertriebenenfeinde, die Ähnlichkeit des Begriffes zum Verfassungsfeind ist beabsichtigt, setzen nach 1989 die Arbeit der Kommunisten fort. Vor allem der Giessener Politologe Samuel Salzborn, der mit einer Reihe kritischer Arbeiten zu den deutschen Vertriebenenverbänden hervorgetreten ist, wird von Stickler im Sinne seiner potentiellen Arbeitgeber beim BDV als »Feind« gekennzeichnet.

Stickler, hervorgetreten mit Arbeiten über das katholische Burschenschaftswesen, rehabilitiert Massenmörder und Schreibtischtäter. Sein zentrales und einziges Argument: Es waren Kommunisten und Linke, die die Vergangenheit so vieler Nazi-Täter in den Vertriebenenverbänden öffentlich gemacht haben. Deswegen lohne es sich nicht, darauf einzugehen. Wenn es überhaupt Nazis gab, so lebten sie hauptsächlich in der DDR oder waren in der BRD zum Kommunismus konvertiert Vor allem den überlebenden Führungsmitgliedern der sudetendeutschen NSDAP. SA und SS bescheinigt der Hofhistoriker des BDV eine bemerkenswerte Wandlung, die er anhand eines verlogenen Briefwechsels zwischen dem in der CSR wegen Beihilfe zum zehntausendfachen Mord verurteilten slowakischen Volksgruppenführer Franz Karmasin und dem Mitglied der NSDAP Gauleitung Sudetenland Friedrich Bürger zu beweisen versucht . Ein ganzes Kapitel widmet Stickler dem rechtsradikalen »Witiko-Bund«, dem Zusammenschluss der NSDAP, SA und SS des Reichsgaus Sudetenland in der Bundesrepublik. Er bescheinigt der sudetendeutschen NS-Elite und den Vertriebenenverbänden das erfolgreiche Agieren als »Resozialisierungsagentur, die im Ergebnis für die Integration der alten nationalen Rechte in die Bonner Demokratie sorgte«. Aus Nazi-Massenmördern »alte Rechte« zu machen ist eine wissenschaftliche Leistung besonderer Art und wurde mit der Mitarbeit an der Ausstellung belohnt.

Am 21. August 2006 verkündete Erika Steinbach, dass der BDV seine »Geschichte ›aufarbeiten lasse wolle‹«. Da die tatsächliche oder behauptete NS-Belastung von Funktionsträgern des BDV in der Vergangenheit wiederholt Gegenstand der Berichterstattung gewesen sei, wolle sie nun jeglicher spekulativen Berichterstattung ein für alle Mal den Boden entziehen und wissenschaftliche Studien veranlassen bzw. unterstützen, die zwei Themenkreise untersuchen sollen: in welchem Ausmaß gab es in BDV – Führungsämtern schuldhaft belastete frühere Nationalsozialisten und welchen Einfluss hatten diese auf die Verbandspolitik?

Als ob das nicht jeder längst wüsste oder wissen könnte, Schuld an ihrer braunen Vergangenheit aber, das wissen die Vertriebenen schon heute, waren nicht die Nazis, sondern wer von ihnen Aufhebens machte, weshalb Steinbach vor allem untersuchen lassen will: »In welchem Ausmaß hatten die DDR und andere östliche Dienste den BDV ausgespäht und durch Desinformation die westdeutsche Haltung zu den Vertriebenen beeinflußt«.

Am 24. Oktober 2007 beschloss die SPD/CDU Koalition das »Gedenken an Flucht und Vertreibung Millionen Deutscher kurz vor und nach Kriegsende« durch eine zu gründende Stiftung zu organisieren. Es soll ein Ausstellungs- und Dokumentationszentrum im »Deutschland-Haus« in Berlin-Mitte aufgebaut werden. Auf 2000 Quadratmetern Fläche soll eine Dauerausstellung zur Erinnerung an Flucht und Vertreibung geschaffen werden. Dafür soll unter der Trägerschaft des Deutschen Historischen Museums eine unselbstständige Stiftung gegründet werden. Die Bundesregierung finanziert den Umbau des Gebäudes mit 29 Millionen Euro und übernimmt die laufenden Kosten von geschätzten 2,5 bis 2,9 Millionen Euro. Im Aufsichtsrat der Stiftung sollen Vertreter der Parteien und der Bundesregierung sitzen. Auch der BDV soll eingebunden werden.

Inhaltlich wird das verkündet, was zu erwarten war. Die Dauerausstellung soll sich konzeptionell und inhaltlich an die Ausstellung »Flucht, Vertreibung. Integration« anlehnen, bzw. diese unter neuem Namen präsentieren.

Es gab keinerlei inhaltliche Differenzen innerhalb der Koalition. Lediglich die Berufung der BDV – Vorsitzenden Steinbach in den Aufsichtsrat der Stiftung wurde von der SPD abgelehnt. Angelica Schwall-Düren, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion hatte die Haltung der Partei auf den Punkt gebracht: Selbstverständlich sollen die Deutschen Heimatvertriebenen daran mitwirken, dass ihrem Leid angemessen gedacht wird. Frau Steinbach ist dafür aber keine geeignete Ansprechpartnerin. Wo sich außerhalb des BDV noch nennenswerte Populationen von Heimatvertriebenen der zweiten, dritten oder vierten Generation befinden, die man gegen Erika Steinbach in Stellung bringen könnte bleibt das Geheimnis von Frau Schwall-Düren.

Sollte das Projekt, mit welchem Beirat auch immer, in dieser Grundausrichtung in der Mitte Berlins realisiert werden, so hat die deutsche Nation ihr alternatives Museum des zweiten Weltkriegs erhalten und die Deutungs-, Entschuldigungs-, und Rechtfertigungsmuster der fünfziger Jahre, die der Entlastung der Volksgemeinschaft dienten, nun sprachlich modernisiert und anschlussfähig an den internationalen Menschenrechtsdiskurs angelehnt, ihren öffentlichen und zentralen Ort gefunden.

Die zentrale Gedenkstätte wird dann der krönende Abschluss des unermüdlichen Bemühens des BDV sein, überall in seinem Wirkungsbereich Gedenkstätten, Mahnmale, Ehrenhaine etc., die der deutschen Opfer der Alliierten gedenken, einzurichten. Nach eigenen Angaben sind dies bisher über 1.400.

Man kann in Berlin am zentralen Mahnmal »Nie wieder Vertreibung« mit ewiger Flamme, gelegen am Theodor-Heuss-Platz gedenken. An hunderten Orten in Bayern oder Hessen. Natürlich in Österreich am Ulrichsberg, wo auch die Kameraden der SS gedenken. Neuerdings in Kroatien, in Ungarn. Sechs Gedenkstätten gibt es bereits in Polen. Etliche in der Tschechischen Republik.

Das Gedenken an die deutschen Opfer von Flucht und Vertreibung ist grenzenlos geworden. Selbst in Afrika wird gedacht: »Ostdeutsche Provinzen unvergessen« heißt es auf dem Gedenkstein, bestiftet von den Ostpreußen in SWA-Namibia, 4.3 1989. Standort: Parkanlage vor der Christuskirche in Windhoek, Namibia

ERICH SPÄTER

Der Autor ist 1959 geboren, Buchhändlerlehre, Studium in Berlin und Saarbrücken. Er arbeitet für die Heinrich-Böll-Stiftung und schreibt für die Zeitschrift Konkret.