Von antideutschen Feministen und deutschen Freiheitskämpfer_innen

Plädoyer für einen konsequenten Antirassismus

Die in den letzten Jahren vollzogene Wende antideutscher Akteur_innen zur Islampolitik ist durchsetzt von vermeintlich feministischen Forderungen. Die Befreiung der Frau in islamischen Nationen, Communities und Familien scheint eines der dringlichsten Anliegen antideutscher Islamkritik geworden zu sein.

Die Instrumentalisierung feministischer Politik ist uns eigentlich schon genug Anlass für einen Artikel. Aber es geht uns um mehr. Denn Kritik an den Ausfällen von Bahamas, der Hedonistischen Mitte und einzelnen Autor_innen der Jungle World und ihres antiislamisch verzerrten Feminismus gibt es bereits: So veröffentlichte der Antifaschistische Frauenblock Leipzig (AFBL) Ende 2008 einen wichtigen Artikel in der Jungle World mit dem Titel »Unterm Klebeband«. »Unterm Klebeband«, in: Jungle World 49/2008.

Nun wollen wir zum einen die Kritiken des AFBL deutlich unterstreichen und uns ihrem Projekt – eine Problematisierung des Verhältnisses zwischen antideutscher Theorie und Feminismus bzw. Antisexismus – gerne anschließen. Zum anderen stellen wir aber die impliziten Grundlagen der Kritik des AFBL in Frage, halten den solidarischen Tonfall ihrer Kritik für falsch und machen in ihrem Text eine entscheidende Leerstelle aus.

Wir nehmen hier ausdrücklich den Text einer Gruppe zum Ausgangspunkt unserer Kritik, zu der auch wir ein solidarisches Verhältnis suchen und die sich selbst um Kritik an den Extrempositionen antideutscher Frauenbefreiungs-Rhetorik bemüht. Aber genau weil der AFBL aktiv an einer doch so wünschenswerten Verschränkung antideutscher und radikaler feministischer Politik arbeitet, halten wir seinen Text für ebenso aufschlussreich wie problematisch. Antisexistische Kritik an antideutscher Politik ist unserer Ansicht nach möglich, auch ohne dass zentrale Annahmen antideutscher Islamkritik übernommen und wichtige Aspekte radikaler Gesellschaftskritik über Bord geworfen werden. Und so bleibt auch im AFBL-Text Rassismus unbeachtet – wie so oft in den einschlägigen Publikationen. Unsere Kritik zielt daher auf die Funktionalisierung eines scheinbaren Feminismus, die letztlich dem Projekt der Enttabuisierung von Rassismus unter dem Schleier pathetischer Emanzipationsversprechen dient.

Was meint das genau? Wir gehen davon aus, dass die antideutsche »Integration feministischer Forderungen« eben nicht nur ein Projekt ist, das im Ansatz schon richtig, nur in der Ausführung eben verkürzt oder ungenau ist. Im Unterschied zum AFBL sind wir der Auffassung, dass dieses politische Vorgehen von vornherein eine andere Funktion hat und damit an eine alte Tradition anknüpft: Das Gerede um die Befreiung des muslimischen Frauenkörpers delegitimiert nicht nur oft die Kämpfe gegen den sexistischen Normalzustand im Hier und Jetzt. Es folgt strukturell rassistischen Mustern, die für antideutsche Theorie und Praxis zunehmend fundamentalen Charakter bekommen.

So verschränken sich nach Thomas Maul Antirassismus mit Antisexismus und Islamismus in unheiliger Allianz zur Kompensation eigener Unzulänglichkeiten. Thomas Maul, Die Macht der Mullahs, Freiburg 2006, 140. Trotz der augenscheinlichen Absurdität dieser Aussage findet sich auch in anderen Argumentationen eine ähnlich problematische Figur: Ein angeblich vorherrschender Antirassismus verhindere demnach die Thematisierung von Sexismus und Homophobie. Diskussion zu Beiträgen der Jungle World: http://fqueer.blogsport.de/tag/jungle-world. Die Stilisierung von Antirassismus als Hindernis für die eigene Islamkritik führt allzu oft zu einer vorschnellen Beerdigung jeglicher Rassismus-Thematisierung; Vgl. dazu beispielsweise das Argument des AFBL zur Kopftuch-Debatte in Fußnote 15, das sich so in zahlreichen Publikationen der letzten Jahre wiederfindet. und das vor dem Hintergrund eines nach wie vor herrschenden deutschen rassistischen Normalzustands.

Eine Kritik an antideutscher Gesellschaftsanalyse zu formulieren, ist erstmal mit (mindestens) einem Problem verbunden. So ist uns ein klares Bild dessen abhandengekommen, was diese Bezeichnung eigentlich genau umfasst. Spätestens seit der »feministischen Wende« im Zuge der Auseinandersetzungen mit Islam und Islamismus stellt sich zumindest die Frage, wer oder was noch unter dem Label »antideutsch« Politik macht. Wir fragen uns, inwieweit die Bezeichnung angemessen bleibt, wenn mit Deutschland als Garant bürgerlicher Werte und Rechte beinahe Frieden geschlossen wird und »deutsch« als »potenziertes faschistisches Ideologiemoment« auf die Reise durch die islamische Welt geht. Klar ist, dass es Brüche und große Transformationen im Projekt einer antideutschen Gesellschaftskritik seit den Neunzigern gibt, die antideutsche Theorie oder Praxis sich kaum noch allgemein fassen lässt, sicherlich nicht homogen ist und zum Teil fragwürdige Wege eingeschlagen hat.

In der Gefahr, dennoch zusammenzubringen, was nicht zusammen gehören möchte, zielt unsere Kritik auf das, was wir eine antideutsche Theorieströmung nennen. Wir lösen damit bewusst den Fokus unser Kritik aus konkreten Gruppen und Zeitschriften heraus, um einen Diskurs zu problematisieren, der eben auch weit über solche linken Zusammenhänge hinausweist und nicht selten fragwürdige Allianzen mit rassistischen und sexistischen Alltagspolitiken schließt. Insofern zielt unsere Kritik auf all die unscharfen Ränder antideutscher Theorieströmungen, an denen rassistische Positionen übernommen und durch einen linken, wie auch immer emanzipatorischen Diskurs gereicht werden. Und darin liegt dann ein Problem, wenn sich die Akteur_innen dieser Theorieströmungen als emanzipatorische Vorkämpfer_innen maskieren und ihren Rassismus – wissentlich oder unwissentlich - als Teil von Befreiungskämpfen propagieren.

Integrationsproblem

Ein zentraler Kritikpunkt des AFBL ist, dass die »Integration eines feministischen Anspruchs in emanzipatorische Gesellschaftskritik« Dieses und alle weiteren nicht gekennzeichneten Zitate aus: »Unterm Klebeband«. erst erfolgt, wenn es um islamische Communities und Länder geht. So werde »Feminismus« zum Dreh- und Angelpunkt einer Islamkritik fixiert und mitunter sogar zur umfangreichen Legitimation derselben erhoben. Der AFBL verweist zurecht auf die Fragwürdigkeit eines affirmativen Bezugs auf bürgerliche Rechte, auf errungene Gleichheit, auf die Verdrängung von Normierungseffekten der problematischen Zweigeschlechtlichkeit – kurz: auf den Sexismus, der mit der vermeintlich kritischen Integration feministischer Positionen einhergeht. Wieder einmal zeigt sich, dass Feminismus und Antisexismus zusammengehören müssen. Dass dem die völlige Affirmation von Zweigeschlechtlichkeit, mithin eine vollständige Blindheit gegenüber der Analysekategorie Geschlecht innewohne und ein notorischer Rückgriff auf sexuelle Befreiungsrhetoriken stattfinde, ist bereits kritisiert worden. Der sexistische Normalzustand im Hier und Jetzt müsse dann eben Teil antideutscher Gesellschaftskritik werden. Denn sie sei keine mehr, wenn sie sich mit dem Status quo der Geschlechterverhältnisse zufrieden gebe. Soweit finden die Positionen des AFBL unsere volle Unterstützung.

Funktionsstörungen

Zunächst muss deutlich gesagt werden, dass der verwendete Begriff »Integration« irreleitend ist. Wir kritisieren eine breite Funktionalisierung vermeintlich feministischer Ansprüche innerhalb einer entradikalisierten Mit Entradikalisierung meinen wir vor allem die Abkehr von linksradikaler Kritik an den bestehenden Verhältnissen im Hier und Jetzt, die sich auf den oft ausschließlich positiven Bezug auf Recht, Staat und Zivilisation gründet. und rassistischen Politik. So setzen wir gar nicht erst an der Forderung nach einem erweiterten Feminismus in antideutschen Theorieströmungen an, sondern kritisieren die Motive und Zwecke einer »Integration« feministischer Forderungen insgesamt. Warum genau benötigt dieser Diskurs, wenn er über die »Befreiung« im Anderswo reden möchte, das Vehikel der Frauenbefreiung? Warum bringen die Gruppen, Zeitschriften und Theoretiker_innen, auf die der Text des AFBL abzielt und die der feministischen Bewegung gleichgültig bis feindselig gegenüberstanden, nun ausgerechnet feministische Argumente in den Vordergrund? Warum macht es eigentlich niemanden stutzig, dass die Akteur_innen, die in der Befreiung der muslimischen Frau ihr neues »Lieblings(kritik)objekt« entdeckt haben, dieselben sind, die sich durch die widerwärtige Diffamierung antisexistischer Politik Hier sei nur erinnert an die unsäglichen Beiträge zu Vergewaltigungsdebatten, die in den Artikeln der Bahamas ihren Anfang nahmen und in den zum Teil kläglichen Versuchen diverser Blogs und Foren, antisexistische Publikationen zu kritisieren, weiter geführt wurden. Anzumerken wäre noch, dass sich der in vielen Pamphleten erhobene Vorwurf, antisexistische Politik würde den Opferstatus der Betroffenen mit herstellen und reproduzieren, doch recht deutlich im Gerede über muslimische Verschleierung wiederfindet. Sobald der Fokus nicht mehr auf den westlichen Frauenkörpern liegt, scheint Opferzuschreibung unproblematisch zu sein. hervorgetan haben? Hier könnte viel spekuliert werden: psychoanalytisch, historisch, symbolisch und kulturwissenschaftlich lassen sich sicherlich eine Menge Beweggründe für die Fetischisierung des weiblichen Körpers in Befreiungsfragen finden. Ohne allzu weit abzuschweifen, lässt sich festhalten, dass in zahlreichen Publikationen und eben auch im Text des AFBL die Situation der Frau als Gradmesser der Emanzipation von Gesellschaften herhalten muss. Und dass zudem der weibliche Körper und seine Sichtbarkeit in all den Schleier-Debatten zentraler Dreh- und Angelpunkt ist, wenn es um die Bewertung und Einschätzung von Rechten und Freiheiten geht. Die Konsequenzen dieser Vorgehensweise sind vielfältig:

Auffällig ist, dass Feminismus nur dann »integrationsfähig« ist, wenn seine Inhalte selbst negiert werden. Er wird dann anschlussfähig und verwendbar, wenn er des kritischen Potenzials beraubt wird, das dem Projekt Feminismus eigentlich innewohnt, also keine Kritik an der gesellschaftlichen Funktion von Geschlecht und Sexualität zu leisten bereit ist und darüber hinaus sämtliche Debatten um Interdependenzen verschiedener Herrschaftsverhältnisse ignoriert. Wenn das Ringen um postkoloniale Politiken nur die Kompensation eigener (westlicher) Unzulänglichkeiten ist (vgl. Maul), wenn die Thematisierung von Rassismus scheinbar hauptsächlich der Verschleierung von Sexismus (im Islam) dient und das Gerede von ›kritischem Universalismus‹ scheinbar alle anstehenden Konflikte längst überwunden hat, Der Bezug auf Universalismus findet sich in fast allen Texten antideutscher Coleur, die damit einen Einsatz gegen all das machen, was unter dem oft ungenügend differenzierten Label »Kulturrelativismus« zusammengefasst wird. Ein lesenswerter Versuch, diesem ermüdenden Konflikt ein Ende zu bereiten, findet sich in dem Text der Gruppe SPuK »Situierter Universalismus«: pankow.antifa.net/TExte/Situierter%20Universalismus.pdf. dann verbleibt all das in der Logik, Kämpfe gegeneinander auszuspielen, anstatt sie produktiv aufeinander zu beziehen. Und im Grunde wird in der antideutschen Interpretation damit ein Feminismus entwickelt, der sich in seinen Aufgaben darauf beschränkt, Frauenrechte herzustellen und Gleichberechtigungsforderungen zu entwerfen. Es bleibt darüber hinaus auffällig, dass selbst dieses Thema fast ausschließlich in der sichtbaren Befreiung der Frau von ihren Verhüllungen verarbeitet werden muss. Der ständige Rekurs auf den Frauenkörper und seine Funktionalisierung in der Islamkritik geht einher mit der Suspendierung all dessen, was Feminismus in den letzten 20 Jahren ausgemacht hat. Die radikale Rückkehr zum (mit allen Mitteln eindeutig erkennbaren) weiblichen Körper als Fetisch des Feminismus führt uns dazu, hier klar von einem Femininismus Der Begriff Femininismus verweist auf Re-Feminisierungstendenzen des Feminismus, die meist mit Kompetenz- und Relevanzeinschränkungen einhergehen. sprechen zu wollen: Das heterogene, historisch äußerst widersprüchliche Theorie-, Praxis- und Kritikprojekt Feminismus wird zugunsten einer eindimensionalen Pappfigur aufgegeben, deren Kernaufgabe die Verwaltung des weiblichen Körpers bleibt. So wie es auch im bürgerlichen Recht um die Verwaltung der Subjekte geht. Kritik an Geschlecht, politische Kämpfe um sexuelle Differenzen, queere Kritiken, inter- und transsexuelle Kämpfe, aber auch Kämpfe um Abtreibungsrecht Die Selbstverständlichkeiten sind offensichtlich brüchiger als in der (Anti-) Islam-Debatte aktuell suggeriert wird. So ist das Bild der entrechteten Frauen in islamischen Ländern im Kontrast zu angeblich gleichberechtigten Frauen in christlich geprägten Ländern nicht mehr so eindeutig, wenn man hinsichtlich des Verhütungs- und Abtreibungsrechtes vergleicht, also den Klassiker der westlichen Frauenbewegung als Maßstab von Emanzipation benutzen würde. Wenngleich in islamischen Gesellschaften Abtreibungsrecht durch willkürliche Koranauslegung eingeschränkt oder ausgebaut wird, kann von einem grundsätzlichen Recht auf Abtreibung gesprochen werden. Dieses Argument dient keineswegs einem Vergleich, dort besser als hier oder wo auch immer: Vielmehr geht es beispielhaft um die Widersprüchlichkeit der Vergleichsrhetoriken, die dann gerne zugunsten fundamentaler Differenz fallen gelassen wird. und kurzerhand alle Bemühungen um die Destabilisierung der Kategorie »Frau« werden auf den Nebenschauplatz verdammt und egalitäre Zweigeschlechtlichkeit implizit zum Emanzipationsziel erhoben.

Auch im AFBL-Text wird Kritik an »Eurozentrismus« und der »Dominanzkultur« belächelnd abgelehnt. Hier scheint eine weit verbreitete Abgrenzung von postmodernen Feminismusdebatten durch, die sich vielleicht ein wenig zu voreilig von wichtigen Infragestellungen verabschiedet hat und gleichzeitig den Vorwurf des Kulturrelativismus recht instrumentell einsetzt. Und hier muss festgehalten werden: Die Infragestellung des homogenen (weißen) Subjekts des Feminismus ist nicht nur eine postmoderne Spielerei, um die Vermittlungen der »heterosexuellen Matrix« zu analysieren und allerlei Queeres zu erzeugen. Die Destabilisierung des Subjekts des Feminismus beruht auf konkreten Kämpfen, die nicht zuletzt im Kontext postkolonialer Situationen von Women of Color an einen rassismusblinden Feminismus herangetragen wurden. Diese historische Situation und die damit verbundenen Fragen und Kritiken bleiben bedauerlicherweise weitgehend abwesend, wenn es um antideutsche Gesellschaftsanalyse geht.

Dass der AFBL in seiner Betrachtung des Antiislam-Diskurses die Kategorie Rassismus dann vollständig ignoriert, ist umso verwunderlicher, da die Bezugnahme auf die unterdrückten Frauen der »Anderen« schon seit jeher ein grundlegendes Element rassistischer Vorstellungen ist. Und nicht selten waren Protagonist_innen dieser europäischen »Kritik« Vertreter_innen einer patriarchalen Politik des eigenen Landes. Als Beispiel sei hier der Kolonialist Lord Cromer angeführt, der 1908 in seiner Schilderung Ägyptens „als erstes und wichtigstes« sich über die Unterdrückung der Frau entrüstet und den Unterschied zur respektvollen Verehrung der Frauen in der christlichen Welt betont. Interessant ist, dass Cromer Präsident der »Männerliga zur Verhinderung des Frauenwahlrechts« war. Vgl. Georg Klauda, Die Vertreibung aus dem Serail. Europa und die Heteronormalisierung der islamischen Welt, Hamburg 2008, 99-102. Die Bezugnahme auf Frauenrechte in der »unzivilisierten« Welt zu benutzen, um »dort« westliche Herrschaft durchzusetzen und »hier« die Verhältnisse zu harmonisieren, ist demnach eine Strategie mit Tradition. Die Projektion auf die fremde Kultur verschleiert heute und historisch betrachtet die Widersprüche und die gewalttätige Realität in der westlichen Welt. Auch der Schleier als frauenfeindliches Symbol war seit jeher Teil des Anti-Orientalismus im 19. und 20. Jahrhundert. Diese Gegenüberstellung vom Eigenen und Fremden spiegelt sich dann auch im Diskurs über bürgerliche Rechte und Freiheiten wieder.

So werden in vielen Texten immer wieder Rechte und Freiheiten der westlichen Welt gegenüber dem Islam in Anschlag gebracht. Der unkritische Rekurs der Islam-Kritiker_innen auf das bürgerliche Recht ist ohnehin aus linksradikaler Perspektive abzulehnen. Recht innerhalb kapitalistischer Gesellschaften ist vornehmlich dafür zuständig, Eigentumsverhältnisse zu schützen, nicht aber dafür, Frauen vor sexistischen Verhältnissen zu bewahren. Wohlstand ist hier genauso wenig einklagbar wie ökonomische Unabhängigkeit. Wo das Recht als Errungenschaft propagiert wird und nicht als Moment von Herrschaft, wird ausgeblendet, dass Menschen vor allem das Recht besitzen, sich immer wieder in Ausbeutungsverhältnisse zu begeben, um überleben oder an der Gesellschaft teilhaben zu können. Nicht zuletzt sei auf die konstitutive Verbindung von Recht und Nationalstaat verwiesen, die die weitgehend verschwundene Frage aufkommen lässt, für wen Recht wann überhaupt einforderbar ist. Über die Situation von Illegalisierten in Deutschland und Europa und den Zynismus deutscher Asylgesetzgebung geht antideutsche Politik dann viel zu oft schweigend hinweg. Recht in der westlichen Gesellschaft greift nicht in den existenziellen Bereich ein, in dem Frauen (und andere) sich und ihren Körper konkurrenzgerecht aufbereiten müssen, um sich besser verkaufen zu können. Auch kann das Recht nicht das Machtgefüge heterosexueller Beziehungen aufheben. Der Begriff ist also denkbar ungeeignet, um gesellschaftliche Emanzipation zu messen.

Kritikversagen

Welche absurden Züge die »Islam-Kritik« in der Linken trägt, zeigt als aktuelles Beispiel der Artikel »Neues aus Burkistan« in der vorangegangenen Phase 2, in dem die Autor_innen das umfassende Kopftuchverbot fordern, damit der »Unterdrückungslappen« nicht die »demokratische Ordnung zu Fall« bringe. Anstatt Disziplinierung und Unterdrückung von Frauen mit oder ohne Schleier anzuprangern, sollen Kopftuchträgerinnen aus der Öffentlichkeit verschwinden, perfiderweise mit dem Argument, »muslimischen Frauen damit Schutzräume zu schaffen«. Alle Zitate aus Burglinde Hagert/Susan Wille, Neues aus Burkistan. Über Zweckbekleidung, Burkinis und verschleierte Prinzessinnen, in: Phase 2.34/2009, 62-65.

Schleiertragende Muslima, die meist an der »demokratischen« Öffentlichkeit durch das sie ausschließende Staatsbürgerrecht ohnehin nicht teilhaben dürfen, sollen demnach gänzlich aus dieser verbannt werden. Denn um es noch einmal festzuhalten: Es sind mit Muslimen und Muslima meist Migrant_innen, die den Zorn von (bemerkenswerter Weise zumeist ost-) deutschen Linken auf sich ziehen und dies in diesem Fall in einer Region, in der erst jüngst eine Kopftuchträgerin aus muslimfeindlichen Motiven ermordet wurde. Ein Vorfall, der von der ortsansässigen Linken weitgehend unbeachtet blieb. Im Gegenteil erschien es den Antifaschist_innen in Dresden drei Tage nach dem Mord wichtig, eine islamkritische Demonstration durchzuführen. Vgl. http://venceremos.antifa.net/specials/040709dresden_iran.html. Thematisierung von muslimfeindlichem Rassismus oder andere Bezugnahmen auf diesen Mord finden sich in ihrer Webpräsenz nicht. Ein Kopftuch öffentlich in Deutschland zu tragen, bedeutet auch Diskriminierung, wenn nicht gar die Gefahr von Übergriffen, was dazu führt, dass sich vor allem in den neuen Bundesländern Muslima aus Angst vor deutschen Rassist_innen häufig nicht trauen, ein Kopftuch auf der Straße zu tragen. Vor diesem Hintergrund macht die Anrufung des starken Staates durch die Leipziger Autor_innen, um Muslime und Muslima noch stärker in die Schranken zu weisen, deutlich, was in einer linken, kritischen Zeitung alles diskutierbar geworden ist. Zugespitzt schließt diese Argumentation eine Allianz mit jenen, die meinen, dass das deutsche Sachsen in Kreuzberg wieder erkennbar werden soll.

Radikale Verknüpfung

Was diese Positionen eint, ist nicht selten die Produktion von fundamentalen Differenzen zwischen islamischen Communities, Nationen und Gesellschaften und einer selten kritisierten Situation im Hier und Jetzt. Wenn hinsichtlich des Islams die Wahrnehmung von »gravierenden Unterschieden zwischen direkter und struktureller patriarchaler Herrschaft« angemahnt wird, wenn der Bikini dann doch noch gegen die Burka ausgespielt wird und von einem »worst-case-Scenario gewalttätiger und offenkundiger Geschlechterhierarchien« gesprochen wird, zementiert sich eine Differenz, die dann universale Forderungen braucht, um überbrückt zu werden. Und auch in dem Wissen, dass der AFBL sich sehr wohl um eine Problematisierung deutscher Zustände bemüht, machen sie doch unserer Ansicht nach einen Diskurs anschlussfähig, der über diese Differenz letztlich rassistische Bedürfnisse artikuliert und sich heimlich mit dem Normalzustand in Deutschland versöhnen lässt. Sexismus, Unterdrückung und der Schleier als Lieblingssymbol vermeintlicher Ideologiekritik werden kurzerhand transferiert auf die als Opfer stilisierten Körper muslimischer Frauen, um Rassismus als Problem linker Gesellschaftskritik aufzugeben oder sogar massiv zurückzuweisen. In diesem Sinne ist es fatal, Antirassismus zum Ursprung mangelnder Debatten zu stilisieren um damit die eigene Kritik im selben Zug von rassistischen Elementen freizusprechen, wenn der AFBL argumentiert: » Mit Rassismus hat die Benennung anti-emanzipatorischer Tendenzen im Islam allerdings wenig zutun, viel mehr hat dieser falsch verstandene Antirassismus erst dazu geführt, dass es lange Zeit keine öffentliche Diskussion um Zwangsverschleierung, Zwangsheirat und Ehrenmorde geben konnte. « Vgl. Kopftuch als System, AFBL Referat (2007), http://www.left-action.de/afb/pdf/kopftuch_als_system.pdf Hier liegen die großen Anschlussstellen an allgegenwärtige Diskurse: Erinnert doch der eindimensionale Pappfigur-Feminismus der antideutschen Theorieproduktion ganz offen an den grellen Post-Feminismus a lá Alphamädchen. Sind doch die Entschleierungsforderungen mitunter so drastisch und paternalistisch bis staatstragend formuliert, dass Bündnisse mit Akteur_innen von CDU bis Pro-Köln zumindest partiell realistisch erscheinen.

Dramatisch ist also die Ausbreitung rassistischer Redeweisen, die Enttabuisierung alltäglicher Rassismen quer durch sogenannte linke, antifaschistische und emanzipatorische Projekte und Diskurse: kurz, der Eindruck, fast alles an traditionellen rassistischen Stereotypen ist mittlerweile sagbar, solange es sich in das Mäntelchen der Islamkritik zu kleiden weiß. Und um das noch mal deutlich zu formulieren: Rassismus ist kein Diskriminierungsproblem und Antirassismus kein Konzept von gestern. Es gibt eine gewalttätige rassistische Realität in Deutschland, es gibt einen umfassenden rassistischen Rollback in den Biowissenschaften und »Fortress Europe« findet nun mal nicht irgendwo, sondern genau hier und jetzt statt.

Wir fragen uns: Warum scheint es so unmöglich, die verrückten Mullahs im Iran und anderswo zu kritisieren und gleichzeitig Wiederherstellungsprozesse deutscher (oder weißer) Identität in der rassistischen Abgrenzung zum »Orient« mitzudenken?

Antirassismus und Antisexismus/Feminismus dürfen nicht in ein sich gegenseitig ausschließendes Verhältnis gebracht werden, und eine Kritik an sexistischen Herrschaftsverhältnissen muss immer auch die Reflexion rassistischer Strukturen miteinbeziehen. Wir fordern daher eine konsequente Verknüpfung von Antisexismus/Feminismus und Antirassismus in linker Gesellschaftskritik.

~Vom Antisexismusbündnis Berlin. Mehr über die Gruppe auf

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