Von Nomadencamps und Mobaction

Antiziganismus in Italien als gewaltsames Gebräu

Antiziganismus meint sowohl die Ideologie von »Zigeunerbildern« als auch die damit verbundene Praxis, die sich in der jahrhundertelangen Verfolgung von Menschen, die als »Zigeuner« beschrieben werden manifestiert und die ihre bisher gewaltsamste Ausdrucksform im Völkermord an Roma, Sinti und anderen Minderheiten während des Nationalsozialismus fand. Doch auch jenseits der konkreten Verfolgung und Bedrohung finden sich antiziganistische Vorurteile bis heute quer durch alle sozialen Schichten in großen Teilen der Mehrheitsgesellschaft. Vgl. Wolfgang Wippermann »Wie die Zigeuner«: Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich. Berlin 1997.  In Europa zählt Antiziganismus zu den virulentesten Ressentiments. In vielen Ländern sind Roma und Sinti und andere als »Zigeuner« bezeichnete Menschen struktureller Repression und offener Gewalt ausgesetzt. Antiziganistische Stereotype, Denkmuster und Bilder werden vielerorts nach wie vor unhinterfragt reproduziert und bewegen sich dabei zwischen den Zuschreibungen »wild, frei und musikalisch auf der einen Seite und [...] dreckig, stehlend und vaterlandslos auf der anderen Seite«. Markus End u.a. (Hrsg.), Antiziganistische Zustände - Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments. Münster 2009. 

In Italien hat der offene Antiziganismus in den letzten Jahren zugenommen. Eine Erklärung, die sich auf den heftigen Rechtsruck seit dem dritten Regierungsantritt Berlusconis beschränkt, greift dabei allerdings viel zu kurz. Als man jeweils Ende Oktober 2007 und Ende Mai 2008 in der internationalen Presse scheinbar plötzlich von heftigen Ausschreitungen gegen Roma und Sinti in Italien las, war das nur ein Höhepunkt einer Kette von Vorkommnissen, die weder neu waren, noch überraschend angesichts einer seit langem staatlich betriebenen antiziganistischen Politik.

Struktureller Antiziganismus auf italienisch: Die Campi Nomadi (»Nomaden-Camps«)

Das häufigste Bild, das Menschen in Italien mit Roma und Sinti Die Eigenbezeichnung als »Roma und Sinti« ist auch in Italien bei den meisten Selbstorganisationen gebräuchlich.  assoziieren, ist das der »NomadInnen im Lager«. Dass von den ca. 150.000 Roma, die in Italien leben, ungefähr die Hälfte italienische StaatsbürgerInnen sind, spielt in der öffentlichen Wahrnehmung so gut wie keine Rolle. Stattdessen werden Roma und Sinti zunehmend als »Sicherheitsrisiko« stilisiert und die Tatsache, dass viele von ihnen in »Nomaden-Camps« unter elenden Bedingungen leben, als Beleg hierfür angeführt: »Die Leute auf der Straße sehen die Auswirkung einer rassistischen Verfolgung und verwechseln sie mit der Ursache eines schwerwiegenden sozialen Problems«. Alexian Santino Spinelli (Sprecher der Associazione Culturale Nazionale Thèm Romanó (Nationale Kulturvereinigung von Roma und Sinti in Italien) in: Antonio Castaldo, «Elemosina, cerimonie, riti quotidiani E per sopravvivere negano di essere zingari« in: Corriere della sera, 14. August 2007. 

Zur Verfestigung dieser antiziganistischen Wahrnehmung hat die italienische Flüchtlings- und Ausländerpolitik einen aktiven Beitrag geleistet. Sie hat eine Integration von Roma, die als Flüchtlinge nach Italien kamen, in normale Wohnsiedlungen kontinuierlich verhindert. In den meisten größeren Städten finden sich mittlerweile reguläre (also zugewiesene) und irreguläre (also »unerlaubt« errichtete) »Camps« dieser Art. Dabei zeichnen sich die meisten dieser »Camps« durch drangvolle Enge, schlechte hygienische Verhältnisse und Isolation von der übrigen Bevölkerung aus. Räumungen von »Camps«, ohne dass den BewohnerInnen eine Wohnalternative in Aussicht gestellt wird, waren in Italien schon lange an der Tagesordnung. Flankiert von einer offen antiziganistischen Stimmungsmache durch Politik und Medien hat die Vertreibung von Roma und Sinti in den letzten Jahren allerdings massiv zugenommen.

Rassistische Sondergesetze unter der Regierung Prodi

Der Antiziganismus italienischer PolitikerInnen trat seit Anfang des Jahres 2007 mit dem EU-Beitritt Rumäniens immer offener zutage. PolitikerInnen der damals oppositionellen rechten Forza Italia (FI) beschworen einen Anstieg von »Verfall und Kriminalität« insbesondere bei einem massenhaften Zuzug von MigrantInnen mit einem »Hang zum Nomadenleben« herauf. Zit. n. http://www.aduc.it/dyn/immigrazione/noti.php?id=166055 (22. Dezember 2008).  Aber auch die Linke verfolgte eine Politik, die Roma und Sinti als »Sicherheitsrisiko« verstand und die Logik der »Camps« zementierte. Im Mai 2007 wurde in Rom unter dem späteren Linksbündnis/ Partito democratico (Pd)- Präsidentschaftskandidaten W. Veltroni ein »Pakt für ein sicheres Rom« verabschiedet. Eine der ersten dort geplanten Maßnahmen beschreibt als Ziel die »nötige Eindämmung der Bevölkerung ohne Land sowie soziale Inklusion durch die Einrichtung von vier Solidaritäts-Dörfern«. Patto per Roma sicura, 18. Mai 2007, Zit. n. http://www.interno.it/mininterno/export/sites/default/it/assets/files/13/2007_0518_Patto_per_Roma_sicura.pdf (2. August 2008).  Diese sollen jeweils ca. 1000 Personen aufnehmen können und unter gezielter Überwachung der Polizei stehen.

In den überregionalen Medien in Italien und auch in Deutschland las man erst Ende Oktober/ Anfang November 2007 von dem, was im Sprachgebrauch italienischer Medien mittlerweile einfach »Roma-Problem« hieß. Anlass war die brutale Vergewaltigung einer Italienerin in Rom, die kurze Zeit nach der Tat ihren Verletzungen erlag. Beschuldigt wurde ein junger »Nomade«, der in einem Barackenlager am Fluss Tiber lebte. Der »Volkszorn« gegen Roma kochte aufgrund dieses Verbrechens hoch und entlud sich in schweren Ausschreitungen gegen Roma und Sinti. Die rechtsradikale Forza Nuova kündigte eine »Aktionswoche« an, um Roma und Sinti aus Italien zu vertreiben. Parallel dazu begann die Polizei in Rom und anderen Städten, »Campi Nomadi« zu räumen und die BewohnerInnen zu vertreiben.

Doch bereits lange vor diesem öffentlich ausgeschlachteten Verbrechen hatten gut organisierte Übergriffe auf Roma stattgefunden, von denen in den Medien wenig, bis gar nichts berichtet wurde. Stimmungsmache, Hetze und offene Gewalt gehörten in vielen Teilen Italien längst zum gesellschaftlichen Alltag, als Politik und Bevölkerung begannen, nach dem Überfall in Rom antiziganistische Maßnahmen als legitime Selbstverteidigung der italienischen Gesellschaft darzustellen. Nur einige Beispiele:

Mitte September 2007 fanden organisierte Übergriffe auf Roma in Pavia (Lombardei), Opera (ebenfalls Lombardei) und Rom statt. Jedes Mal waren es größere vermummte Gruppen, die bewaffnet mit Knüppeln, Ketten u.ä. zur Tat schritten. In Pavia wurden im Sommer 2007 über 200 Roma vertrieben, die sich in leer stehenden Lagerhallen Wohnraum geschaffen hatten. Nach der Räumung ließ die Bürgermeisterin (Pd) zufrieden verlauten: »Die Roma existieren nicht mehr«. Zit. n. http://files.splinder.com/0ce23addfe76cf46889eeb3a9c57c74f.pdf (23. Dezember 2008).  Ein Teil der Roma fand zunächst Zuflucht in einem alten Gutshof, aktuell von einer katholischen Diözese als Aufnahmezentrum für Flüchtlinge betrieben. Anfang September 2007 rottete sich eine Gruppe von Menschen zusammen, umstellte den Gutshof und warf Steine gegen die Fenster. Dabei schrie die Menge: »Zigeuner, wir werden euch alle verbrennen«. Giuseppe Spatola, «Demolita la snia, crepe nella maggioranza« in: Corriere della sera, 27. Juli 2007.  Diese Angriffe wiederholten sich mehrere Tage lang.

In Opera fanden bereits seit Ende des Jahres 2006 mehrere Angriffe auf ein Roma-»Camp« statt. Wiederholt wurden gut besuchte Demonstrationen gegen Roma organisiert, angeführt von den faschistischen und rechtsradikalen Parteien Alleanza Nazionale, der Lega Nord und der Forza Nuova.

Am 17. September 2007 fand in Rom ein Brandanschlag auf ein »Camp« in der Nähe der Brücke Mammolo statt. Zwei Tage später wurde das gleiche »Camp« von ungefähr 40 Personen mit Knüppeln, Ketten, Steinen und Molotowcocktails angegriffen. Der Überfall konnte lediglich abgewendet werden, weil die Polizei sich aufgrund des vorherigen Anschlages in Bereitschaft in der Nähe des »Camps« befand. La repubblica, 22. Juli 2007, zit. n. http://roma.repubblica.it/dettaglio/articolo/1371348 (15. August 2008). 

Während diese Übergriffe es jeweils maximal in die regionale Berichterstattung schafften, wurde der Mord an der Italienerin Ende Oktober 2007 direkt auf die Titelseiten der großen überregionalen Tageszeitungen gehoben. Medien und Politik waren sich schnell einig, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen Rom gehandelt haben soll. Die politische »Reaktion« auf das medial groß inszenierte Verbrechen fand ungewöhnlich schnell statt – bereits einen Tag (!) nach dem Überfall wurde durch die Regierung Prodi ein Dekret präsentiert, welches quer durch alle politischen Lager sofort auf Zustimmung stieß. Es sieht die Möglichkeit der Ausweisung von EU-BürgerInnen vor, wenn sie eine »Bedrohung für die öffentliche Ordnung« darstellen. Das Dekret richtete sich in seiner praktischen Umsetzung hauptsächlich gegen rumänische StaatsbürgerInnen und unter ihnen vor allem gegen Sinti und Roma. Es erlaubte der Polizei, ganze Gruppen rumänischer MigrantInnen ohne großen bürokratischen Aufwand abzuschieben.

Dass diese Maßnahme sich speziell gegen Roma richtet, wird u.a. in einer Aussage von F. Frattini (damals EU-Kommissar für Justiz, Freiheit und Sicherheit) deutlich: »Ganz einfach: Man geht in ein Nomaden-Camp in Rom [...] und fragt die, die dort sind ›von was lebst du?‹ Wenn derjenige antwortet ›weiß ich nicht‹, nimmt man ihn und schickt ihn nach Rumänien zurück.« Zit. n. http://www.corriere.it/politica/07_novembre_15/frattini_sicurezza_ue.shtml 

In vielen Städten Italiens fing die Polizei direkt nach Erlassung des Dekrets damit an, Listen von »unerwünschten Einwanderern« zu erstellen, die als erste abgeschoben werden sollten. In den folgenden Monaten war es italienweit an der Tagesordnung, dass die Polizei »Camps« von Roma und Sinti durchsuchte, und/oder räumte.

Hetze gegen Roma im Zuge des Wahlkampfes und des Regierungsantritts der Regierung Berlusconi

Bereits im Wahlkampf hatte Berlusconis Allianz in sehr deutlicher Form MigrantInnen und speziell Roma und Sinti als Hauptschuldige für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Italiens ausgemacht. Für den Fall seines Wahlsieges hatte er restriktive Maßnahmen angekündigt, die er in einer Parole zusammenfasste: »Null Toleranz für Roma, illegale Migranten und Kriminelle«. Zit. n. Peter Walker, http://italiadallestero.info/archives/499, (2. August 2008) und http://sucardrom.blogspot.com (2. August 2008). 

Nur fünf Tage nach Amtsantritt von Berlusconi, der mit den Stimmen der offen rassistischen Lega Nord und der postfaschistischen Alleanza Nazionale die Regierungsmehrheit gewann, kam es zu schweren Übergriffen gegen Roma in Neapel. In der Nacht zum 13. Mai 2008 wurde ein »Camp« von BewohnerInnen aus der Nachbarschaft mit Molotowcocktails angegriffen. Dem Angriff vorausgegangen waren sensationsheischende Berichte in Zeitungen und im Fernsehen, in denen eine italienische Frau behauptete, eine 16jährige Romni hätte versucht, ihr neugeborenes Kind aus der Wohnung zu entführen. Die Aussage dieser Frau, die ein klassisches antiziganistisches Klischee bedient, wurde in den Medien wieder und wieder aufgebläht und dramatisiert. Mit Zitaten von BürgerInnen wie »Nur Bosheit kann hinter einer solchen Geste stehen« und »Sie müssen weg von hier« wurde den Berichten über den angeblichen »Kinderraub« zusätzlich Klarheit verschafft. Dario Del Porto, »Così ho salvato mia figlia« in: La repubblica, 12. Mai 2008.  Die so angeheizte Stimmung entlud sich direkt in dem Angriff auf das »Camp« in der Nachbarschaft. Die Menge bedrohte die BewohnerInnen so massiv, dass die Polizei sie aus dem »Camp« in Sicherheit bringen musste, woraufhin der Mob die Gebäude und Wohnwagen in Brand setzte. Die erfolgreiche Stimmungsmache in den Medien zeigt, wie geübt auf der antiziganistischen Klaviatur gespielt werden kann und wie diese Hetze und anschließende Übergriffe ineinandergreifen. In den nächsten Tagen wurden wiederholt Roma-Siedlungen in Neapel angegriffen.

Auf der politischen Ebene wurde die allgemeine Stimmung gegen Roma angeheizt und genutzt, um im Zuge der Verabschiedung neuer, verschärfter »Ausländer«-Gesetze spezielle Maßnahmen gegen Roma zu ergreifen. Der Vorsitzende der Lega Nord, U. Bossi, rechtfertigte die Pogrome mit den Worten: »Ich teile das, was passiert, nicht, jedoch muss sofort gehandelt werden. [...] Wenn die Leute sehen, dass die Regierung sich nicht bewegt, fühlen sie sich allein gelassen und schreiten alleine zur Tat.« Francesco Grignetti, Sicurezza la stretta del PDL Rom, e' l'ora dei commissari A Roma, Milano, Napoli, esclusa Torino. Chiamparino: se e' cosi' lo chiediamo anche noi, in: La stampa, 16. Mai 2008.  Und die Reaktion der Regierung folgte: Am (21). Mai 2008 unterzeichnete Berlusconi ein Dekret, in dem bis zum 31. Mai 2009 in drei Regionen ein »Notstand bezogen auf die Siedlungen der Nomaden-Gemeinschaften« Zit. n. http://www.governoberlusconi.it/detail.php?id=97&idf=450&ids=480 (10. August 2008). ausgerufen wurde – in der Folge in den Medien kurz als »emergenza nomadi«(»Nomaden-Notstand«) bezeichnet. Das Dekret spricht für sich: Es arbeitet mit dem Begriff der »Rasse« und sieht die Nominierung von »Kommissaren für Roma« vor.

Doch nicht nur die Regierungsparteien, auch die linke Opposition bezog scharf Stellung gegen Roma. Der Präsident der Provinz Mailand, F. Penati (Pd), äußerte sich klar: »Vorgesehen sein muss die Ausweisung der unerwünschten EU-Bürger. Die Listen sind bereits fertig bzw. es fehlt wenig. Wir machen eine Reinigung von den Kriminellen, das muss die erste Pflicht des Kommissars sein«. Grignetti, Sicurezza, in: La stampa. 

Noch einen Schritt weiter ging kurz darauf der Innenminister Maroni, der ankündigte, alle in »Camps« lebenden Roma einschließlich Minderjähriger mit einem digitalen Fingerabdruck erfassen zu wollen. Dieser Vorschlag löste italien- und europaweit Empörung aus. Das Europaparlament forderte im Juli 2008 in einer Resolution die italienische Regierung auf, die Erfassung von Roma zu stoppen. Siehe http://www.europaparl.europa.eu_sides_getDoc.pdf (07. Dezember 2008).  Mitte Juli 2008 verkündete die Regierung die Abkehr von ihrem Plan, alle Roma mit einem digitalen Fingerabdruck registrieren zu lassen, was aber kein Ende der systematischen Erfassung von Roma und Sinti bedeutete. Die drei Sonder-Kommissare aus Rom, Neapel und Mailand waren schon seit einiger Zeit mit eigenen Mitteln dabei, eine »Roma-Zählung« durchzuführen und verlegten sich nun darauf, Roma mittels Fotos zu identifizieren und zu erfassen. Zit. n. http://www.valdimagranews.com/rassegna-stampa/provincia/05-07-08-naz-rom-impront-o-foto-prefetti-in-ordine-sparso.html (08. Dezember 2008). 

Widerstand von Roma und Sinti und UnterstützerInnen

Am 8. Juni und 8. Juli 2008 kamen in Rom jeweils über 10.000 Menschen zusammen, um gegen die neuen leggi razziali (»Rassegesetze«) der Regierung Berlusconi und die Diskriminierung und Ausgrenzung von Roma und Sinti in Italien zu demonstrieren. Neben den OrganisatorInnen von Thèm Romanó unterzeichneten den Aufruf für die Demonstration zahlreiche politische Organisationen aus dem außerparlamentarischen linken Spektrum, Gewerkschaften, Freiwilligenvereine, Intellektuelle und Einzelpersonen. Eine Kampagne mit dem Titel »Für mehr Sicherheit – biete Maroni einen Finger an« rief italienweit alle BürgerInnen zur Abgabe eines digitalen Fingerabdruckes auf, um gegen die geplante Erfassung der Roma zu protestieren. Zit. n. http://calabria.indymedia.org/article/2488 (15. März 2009). 

Die anarchistische Verlags-Kooperative »A« aus Mailand hat bereits 2006 einen Film über den Porajmos Das Romanes-Wort Porajmos (auch Porrajmos, deutsch: das Verschlingen) bezeichnet den Völkermord an den europäischen Roma durch die NationalsozialistInnen.  an den Roma und Sinti veröffentlicht. Er wurde 2008 auf vielen Veranstaltungen gezeigt, die sich gegen die aktuelle Politik der Hetze, Repression und Gewalt gegen Roma und Sinti richteten. Trotz der Heftigkeit der strukturellen wie körperlichen Gewalt gegen Roma ist allerdings auch von linker Seite keine tiefer gehende Auseinandersetzung mit Antiziganismus als Herrschaftsstruktur erkennbar. Der Begriff ist noch weniger geläufig als in der BRD, und es scheint keinerlei analytische Ansätze zu geben. So wird das Phänomen eher unter allgemeine rassistische Erscheinungen einer protofaschistischen Regierung subsumiert.

Italienweit gibt es viele Organisationen, die für eine andere Wahrnehmung von Roma und Sinti und für ihre Rechte eintreten. Sie kämpfen dafür, dass sie als Verhandlungspartner mit einbezogen werden, wenn in Regionen und Kommunen das »Roma-Problem« diskutiert wird. Bei aller Unterschiedlichkeit in ihrer politischen Ausrichtung sind sich die Vereinigungen, die für eine Verbesserung der Situation von Roma und Sinti in Italien kämpfen, in einem Punkt einig: Die Hauptforderung ist die endgültige Abschaffung der »Campi Nomadi«, die das bestimmende Element des strukturellen Antiziganismus in Italien darstellen. An der Auseinandersetzung um diese Frage wird sich zeigen, ob die italienische Mehrheitsgesellschaft irgendwann bereit ist, Roma und Sinti als BürgerInnen in ihrer Gesellschaft anzuerkennen. Bei der Renaissance, die offen antiziganistische, rassistische und faschistische Haltungen derzeit in der italienischen Mehrheitsgesellschaft erfahren, besteht dafür allerdings wenig Anlass zur Hoffnung. Für eine ausführliche Beschäftigung mit dem Thema verweise ich auf den im Mai 2009 erschienenen Sammelband: Markus End, Kathrin Herold, Yvonne Robel (Hrsg.), Antiziganistische Zustände - Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments, Unrast Verlag. 

~Von Katrin Lange. Die Autorin ist Psychologin und lebt in Bremen.