Wer bestimmt, was gestern war...

Das Bauhaus ist durch seine allmähliche Kanonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg zur Ikone der Kulturnation geworden. Als Deutschlands berühmteste Schule der Moderne, die durch die Nationalsozialisten geschlossen und deren Schüler, Meister und Direktoren zum Teil in die Emigration gezwungen wurden, standen das Bauhaus und die klassische Moderne als Synonyme für kulturelle Liberalität und Weltoffenheit. Die anlässlich des neunzigjährigen Jubiläums in Berlin gezeigte und mittlerweile in New York zu sehende Ausstellung »Modell Bauhaus« schreibt noch einmal eine Rezeption fest, die sich an der minimalistischen Schönheit labt und die altbekannten ProtagonistInnen huldigt. Sie spiegelt damit hervorragend die von Walter Prigge im vorliegenden Sammelband formulierte These, dass die Sammlung, beziehungsweise die Musealisierung von Kultur und Kulturstätten, eine Dekontextualisierung in dem Maße vorantreibt, wie ihr Wert als nationaler historischer Besitz steigt. Der Besuch im Bauhaus – dem »kulturellen Leuchtturm« Deutschlands, dem »Weltkulturebe« – , oder die Max Bill-Armbanduhr sind im neuen Deutschland nicht mehr als Ausdruck guten Geschmacks akademischer Besserverdiener. Fragen nach radikaleren politischen Elementen des Bauhauses und eine Kritik an der modernen Vereinheitlichung von Lebens- und Arbeitsformen wurden mit dem Antritt des Erbes nachhaltig unterdrückt. 

Der vorliegende Band Bauhaus-Streit. 1919–2009. Kontroversen und Kontrahenten, herausgegeben von Philipp Oswald, versucht mit einer Sammlung thematischer Essays zu den internen Auseinandersetzungen in den Weimarer, Dessauer und Berliner Jahren des Bauhauses zwischen 1919 und 1933 und zur Rezeptionsgeschichte in beiden deutschen Staaten nach 1945 einer Simplifizierung und bequemen Historisierung des Bauhauses entgegen zu wirken. Diese Datierung deutet jedoch auch auf die größte Schwäche des Buches hin. Durch die Auslassung der Diskussion der Rolle des Bauhauses im Nationalsozialismus erspart man sich nicht nur den Blick auf das Changieren der BauhäuslerInnen zwischen Anbiederung und Verfolgung, sondern verzichtet damit teilweise auch auf eine kritische Diskussion der Moderne selbst. Blinder Glaube an einen Neubeginn, das Wechselspiel zwischen Schaffen und Zerstören, die Selbstergriffenheit durch die Größe der eigenen Mission waren nicht nur Begriffe der nationalsozialistischen Barbaren, sondern fanden auch in den avantgardistischen Ideen des neuen Menschen und neuen Lebensformen zur Durchsetzung von Emanzipation, Solidarität und Wohlstand ihre Entsprechung. Die hier angesprochene Doppeldeutigkeit der Moderne findet sich dennoch in der Darstellung einzelner Konfliktlinien wieder. Der Beitrag von Michael Müller befasst sich mit linken Bauhaus-Skeptikern, wie Adolf Loos, Ernst Kallai, Walter Benjamin und später Ernst Bloch und Theodor W. Adorno, die vor einer rationalistischen Modernisierung um ihrer selbst Willen warnten, da sie letztlich nur der Rationalisierung des Alltagslebens zugunsten einer Anpassung an die kapitalistische Gesellschaft zuarbeite. Unter dem Eindruck der deutschen Barbarei stellte sich insbesondere für Bloch und Adorno die Frage, wie sich das rationalistische Kalkül technisch befreiten Wohnens den Bedürfnissen des Subjekts öffnen und wie sich das vom »befreiten Wohnen« ergriffene Subjekt der Masse bzw. dem Kollektiv gegenüber behaupten könne. Das Bauhaus versuchte – wie andere künstlerische Avantgarden auch – das Verhältnis von Leben und Kunst neu zu bestimmen und obwohl selbst seine Kritiker sich von dieser Aporie nicht ganz frei machen konnten, ist die Debatte um Kunst als Arbeit an den sozialen Verhältnissen und Kultur als ästhetischer Reflexionszusammenhang aus der gegenwärtigen, eher bildorientierten Rezeption des »Bauhaus-Stils« so gut wie verschwunden.

Der Verdienst dieses Buches ist es, diese Retuschen der Bauhausgeschichte zugänglich zu machen: Paul Betts zeigt, dass zugunsten einer Instrumentalisierung des Bauhauses im Kalten Krieg alle sozialistischen und kommunistischen Strömungen diffamiert bzw. verschwiegen wurden. Und dass es eben diese Umstände waren, die es Walter Gropius – als einem eher moderaten Modernisten, als Zeuge eines besseren Deutschlands und als jemand der in den USA als anerkannter Vertreter des International Style höchste Anerkennung genoss – erlaubten, die Geschichte des Bauhaus über seine Direktorentätigkeit hinaus auf ästhetische Fragen zu reduzieren und maßgeblich an seiner Person auszurichten. Die Rekonstruktion dessen, wer bestimmt, was gestern war, ist nicht nur in den Beiträgen zu Westdeutschland, sondern auch im Kontext des Stalinismus und der Bauhaus-Rezeption in der DDR sehr erhellend. Insbesondere gelingt es Magdalenan Droste anhand der Auseinandersetzung der beiden Direktoren des Bauhauses, Walter Gropius und Hannes Meyer, einer weniger prominenten Epoche der Bauhaus-Schule Aufmerksamkeit zu widmen. Meyer versuchte ab 1927, in Abgrenzung zu Gropius und dem »Bauhaus-Stil,« eine Baulehre zu etablieren, in deren Zentrum das »Leben« und die »Organisation der Bedürfnisse«, anstatt der Kunst stehen sollten. Die Anekdote, wie Gropius nach Mayers Rauswurf aus dem Bauhaus und dessen Gang ins sowjetische Exil ab 1930 die Begriffe aus dessen Baulehre sozialpolitisch entschärfte, um sie selbst zu übernehmen, während er Mayer noch einen »roten Antiästheten« schimpfte, ist ein selbstredender Verweis darauf, dass es sich auch bei dem scheinbar doch sehr abgelatschtem Thema Bauhaus lohnt genauer hinzugucken, um eventuell auch für die Gegenwart Relevantes und Streitbares zu entdecken. Hierfür bietet das vorliegende Buch einen komprimierten Einstieg.

~Von Jennifer Stange. 

Philipp Oswalt, Stiftung Bauhaus Dessau (Hrsg.): Bauhaus

Streit. 1919–2009. Kontroversen und Kontrahenten,

Hatje Cantz Verlag 2009, 312 S., € 20,-.