Zirkulation und Zentralbank

Plädoyer für eine wertformkritische Bestimmung der Geldpolitik

Seit den fünfziger Jahren muss, wer bestimmen will was Geld ist und was seine Existenz mit dem Wesen des Kapitalismus zu tun hat, etwas zu derjenigen Praxis sagen, die Zentralbanken unter dem Namen »Geldpolitik« betreiben. Geldpolitik ist zunächst der Versuch, gezielt Einfluss auf die Geldmenge zu nehmen, die in einem Währungsraum im Umlauf ist. Die Bezeichnung drückt also aus, dass nicht nur mit einfach vorhandenem Geld hantiert wird, sondern die Bedingungen, unter denen Geld entsteht, bewusster Kontrolle unterliegen sollen. Zu Marx’ Zeiten hat es das schlicht noch nicht gegeben, weshalb dazu auch nichts in seinen Schriften steht. Gleichzeitig verändert die Geldpolitik den Zusammenhang von Ware und Geld so tiefgreifend, dass dessen Darstellung zumindest ergänzt werden muss.

Das liest sich, so dahin geschrieben, fast schon als Selbstverständlichkeit. Aber obwohl es im Gefolge der StudentInnenbewegungen nicht an Versuchen mangelte, Marx’ Werk zu ergänzen, zu aktualisieren oder zu revidieren, wurde nur selten gefragt, was Geldpolitik ist und wie sich ihre Existenz auf das Wesen des Kapitalismus auswirkt. Wenn doch, dient(e) Geldpolitik vor allem als Anlass, die Phantasie vom wahlweise technokratisch oder demokratisch steuerbaren Kapitalismus um eine Variante zu bereichern. So ist zum Beispiel für den marxistischen Linkskeynesianer Stephan Krüger noch heute »das Zusammenspiel zwischen Finanz- und Schuldenpolitik der öffentlichen Haushalte und der Geldpolitik der Zentralbanken […] eine höhere Entwicklungsform in der bewussten Regelung und Steuerung des ökonomischen Reproduktionsprozesses, wenngleich seine Grundlage kapitalistisch bleibt und daher der bewussten Regelung und Steuerung prinzipielle Grenzen setzt«. Stephan Krüger, Politische Ökonomie des Geldes. Gold, Währung, Zentralbankpolitik und Preise, Hamburg 2012, 92f.

Gemessen an der Geldtheorie, die sich in Das Kapital findet, überrascht es, dass die »höhere Entwicklungsform« hier ausgerechnet an der Geldpolitik festgemacht wird. Schließlich zählte Marx das Geld dort als die »fertige Gestalt des allgemeinen Äquivalents« (aller anderen Waren) zu denjenigen Formen, »denen es auf der Stirn geschrieben steht, daß sie einer Gesellschaftsformation angehören, worin der Produktionsprozeß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsprozeß bemeistert« (95).Alle folgenden Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf: Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1: Der Produktionsprozeß des Kapitals (MEW 23), Berlin 1962. Das ist eine der vielen Formulierungen, mit denen Marx darauf hinwies, dass die Menschen nicht als freie Individuen, sondern als Charaktermasken wesentlich naturwüchsiger Verhältnisse agieren, die ihnen als Sachzwänge gegenübertreten. Abstreifen würde die »Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses […] ihren mystischen Nebelschleier [nur], sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Individuen unter deren bewußter planmäßiger Kontrolle steht« (94). Solange es Geld gibt, ist nicht davon auszugehen, dass die Ökonomie bewusst organisiert ist.

Die Geschichtslosigkeit des Geldes

Nun könnte Marx’ Position an dieser Stelle einfach antiquiert sein, also im heutigen Kapitalismus nicht mehr oder nur noch eingeschränkt gelten. Dagegen spricht allerdings, dass die bewusst steuernden GeldpolitikerInnen in der aktuellen Krise von äußeren Umständen zu Entscheidungen getrieben scheinen, die vorher nicht geplant und nicht einmal denkbar waren. Auch drehten sich schon die Wirtschaftsnachrichten und die Fachliteratur früheren Datums darum, wie adäquat auf die Launen der Märkte reagiert werden kann, und welche zumeist statistischen Methoden diese Launen ermitteln können.

Marx’ Standpunkt könnte aber auch deshalb antiquiert sein, weil sich in Form der Geldpolitik stattdessen eine neue, bewusstere Form kapitalistischer Unterdrückung herausgebildet hat. Solange allerdings sowohl Ware als auch Geld weiterhin existieren, wäre in diesem Fall darzulegen, wie die neue Herrschaft die Kontrolle über das Geld erlangt haben soll, ohne es abzuschaffen oder zumindest seine Bedeutung zu relativieren. Der Antisemitismus der dreißiger und vierziger Jahre formulierte zwar diverse solcher Phantasien, in denen Geld als willentliche Machenschaft erscheint. Und so eine von Moishe Postone »Personifizierung des Abstrakten« genannte Identifikation hat sicher auch ihren Beitrag zur Entstehung der Geldpolitik geleistet. Aber dieser Beitrag bestand, ganz im Gegensatz zur Idee einer bewussten Steuerung des Geldes, in der Verherrlichung des Sachzwangs im faschistischen Arbeits- und Maschinenfetisch. Denn die Dynamik des Antisemitismus entsteht ja gerade, indem die real abstrakten gesellschaftlichen Beziehungen dem Bewusstsein entzogen werden. Die Frage bleibt mithin offen, wie die angebliche Kontrollierbarkeit der Ökonomie durch die Geldpolitik entstanden sein soll.

Dieser Mangel springt auch bei der Lektüre heutiger Lehrbücher der Wirtschaftswissenschaften ins Auge. Die Darstellungen sind durchzogen von völlig ahistorischen Vorstellungen vom Kapitalismus im 19.?Jahrhundert, die nur mit Humor genommen werden können: »Drei große Erfindungen hat der Mensch seit Anbeginn der Zeiten gemacht: das Feuer, das Rad und die Zentralbank.«Paul A. Samuelson/William D. Nordhaus, Volkswirtschaftslehre. Das internationale Standardwer der Makro- und Mikroökonomik, Landsberg/Lech 2007, 586. Dieser Witz eröffnet das Geldpolitik-Kapitel des prominenten VWL-Lehrbuchs von Samuelson und Nordhaus, aber die gelungene Pointe hinderte die Autoren nicht daran, die Zentralbanken einerseits als das »Herz […] des Wirtschaftslebens« zu bezeichnen, weil sie dessen Geldfluss so regulieren würden wie jenes den »Blutfluss durch den Körper«, andererseits den Entstehungszeitpunkt der amerikanischen Zentralbank – völlig korrekt – auf 1913 zu datieren. Ihre Darstellung impliziert, dass vor dem 20.?Jahrhundert eigentlich kein Kapitalismus existiert haben kann. Selbstverständlich wissen sie es historisch besser und scheuen sich auch nicht, auf ökonomische Theorien aus dem 19.?Jahrhundert zurückzugreifen. Diese scheinbare Geschichtslosigkeit der »Geldpolitik« stammt aber nicht nur daher, dass Lehrbücher den aktuellen Verhältnissen die meiste Aufmerksamkeit widmen. Heutige GeldtheoretikerInnen können sich Geld ohne Zentralbanken bzw. Kapitalismus ohne Geldpolitik tatsächlich gar nicht oder höchstens als hochgradig instabiles Gebilde vorstellen. Die Perspektive, aus der Geldpolitik auf die Gesellschaft blickt, enthistorisiert zwangsläufig die kapitalistische Produktionsweise. Und zwar nicht nur, indem sie vorkapitalistische Produktionsweisen leugnet und antikapitalistische Ideen abwehrt, sondern auch im Hinblick auf die Geschichte des Kapitals selbst. Das ist ein Hinweis darauf, dass auch geldpolitisch kontrolliertes Geld als eine Erscheinungsform naturwüchsiger Fetischverhältnisse verstanden werden muss. Denn in diesen Verhältnissen besitzen die Formen des »gesellschaftlichen Lebens« bereits »die Festigkeit von Naturformen« und gelten als »unwandelbar« (90).

Ideengeschichte der Geldpolitik

Eine Darstellung der Genese der geldpolitischen Kontrolle des Kapitalismus scheitert also, weil es der geldpolitischen Perspektive überhaupt unmöglich ist, die zu erklärenden Verhältnisse als historisch entstandene, als nicht selbstverständliche zu begreifen. Der Verweis auf den Keynesianismus als Vorgeschichte der Geldpolitik hilft hier nicht weiter. Zwar hat John M. Keynes 1935 erschienene und als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise 1929 formulierte Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes die heutige Geldpolitik erst denkbar gemacht. Allerdings findet sich in ihr nichts, was auch nur den Anspruch erhebt, der fetischistischen Eigengesetzlichkeit der ökonomischen Verhältnisse entgegenzuwirken oder sie gar aufzuheben. Auch Keynes’ Werk setzt bei den »Naturformen des gesellschaftlichen Lebens« an. Es dient der Entdeckung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten, ist also der Formulierung gültiger Sätze der Sorte »wenn x steigt, sinkt y in umgekehrter Proportion« usw. gewidmet. Mit Marx gesagt, will es »den Schein der bloß zufälligen Bestimmung der Wertgrößen der Arbeitsprodukte [aufheben], aber keinesfalls ihre sachliche Form« (89). Zentral ging es Keynes um die Klärung der Frage, wie das Kapital in die Lage versetzt werden kann, alle Arbeit zu verwerten, die sich ihm anbietet, anstatt in die Krise zu geraten. Dazu betrachtete er die ökonomischen Gesetze, die seinen liberalen VorgängerInnen zufolge von selbst ein »Gleichgewicht« zustande bringen sollten, als Sonderfälle allgemeiner Gesetze. Umfassende Verwertung von Arbeit (also Vollbeschäftigung) sei zwar wünschenswert, ergäbe sich aber nur zufällig, weshalb die Bedingungen, unter denen sie besteht, absichtlich herbeigeführt werden müssten. In dieser Perspektive wurde die »Geldmenge, wie sie durch die Aktion der Zentralbank bestimmt wird«, von einer sich verändernden Größe zu einer derjenigen »veränderlichen Größen«, die »das Volkseinkommen und die Menge der Beschäftigung bestimmen«.John Maynard Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Berlin, 1955, 206. So betrachtet erscheinen die staatlichen Institutionen bei Keynes völlig unfraglich als Quelle gesellschaftlicher Verhältnisse, die vom »mystischen Nebelschleier« befreit sind.

Eine der bekanntesten und auch wirksamsten Gegenpositionen zum affirmativen Sog des Keynesianismus formulierte Paul Mattick. Er relativierte die Bedeutung des Keynesianismus 1969 mit der Anmerkung, dieser habe lediglich »der Theorie, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmte, […] eine Praxis entgegengesetzt, um die Wirklichkeit zur Übereinstimmung mit der Theorie zu bringen«.Paul Mattick, Marx und Keynes, Frankfurt a.M. 1971, 16. Das ist auch für den Begriff des Geldes seit der Entstehung der Geldpolitik keine schlechte Formulierung. Vermutlich unbeabsichtigt trifft sie auch den Kern der ordo- und neoliberalen Theorien, deren UrheberInnen in den vierziger Jahren feststellten, dass der »Marktordnung« zum reibungslosen Funktionieren eine passende »Staatsordnung« und damit eine »Geldordnung« beiseitegestellt werden müssen, die beide weit über die Rechtsgarantien des liberalen Staates hinausgehen. Mattick ignoriert den historischen Gehalt seines eher beiläufig formulierten Urteils über den Keynesianismus aber direkt wieder. Dass die mit keynesianischen Überlegungen arbeitenden Institutionen die Wirklichkeit mit der ökonomischen Theorie in Einklang zu bringen versuchen, bedeutet ihm zufolge bloß, dass die marxistische Kritik gültig bleibt, da sich ja nichts Wesentliches geändert habe. Mattick spitzte diese Haltung zu folgender Behauptung zu: Selbst die Entwicklung einer »totalen staatlichen Kontrolle der Volkswirtschaften« aufgrund der »Transformation des Kapitalismus« hätte, »die ökonomische Theorie von Marx nicht beeinflußt, wenn er [sie] hätte voraussehen können; es handelt sich hier um politische Reaktionen auf ökonomische Krisensituationen«. Stattdessen müsse die Theorie »die grundlegenden Widersprüche« enthüllen.Ebd., 141 Als traditioneller Rätekommunist war Mattick ab den fünfziger Jahren vor allem damit beschäftigt, den keynesianisch motivierten Revisionismus mit marxistischer Orthodoxie zu kontern, sodass er schlicht jede Notwendigkeit bestritt, die Theorie der historischen Veränderungen gemäß fortzuentwickeln. Mattick, und mit ihm ein Großteil des sonstigen linksradikalen Marxismus, hat den Kapi-

talismus aus einer Verteidigungshaltung heraus also ebenfalls enthistorisiert und sich dabei in einen Widerspruch verstrickt, der bis heute fort-

wirkt.

Um die Nebensächlichkeit bloß innerkapitalistischer Transformationen und politischer Reaktionen behaupten zu können, musste er auf eine Marx-Interpretation aufbauen, die den Wert als einen objektiv prozessierenden Widerspruch

begreift, dem auch wissenschaftlich informiertes, bewusstes Handeln immer nur zur weiteren Entfaltung verhilft.

Diese Haltung motiviert jene linken Darstellungen politökonomischer Trends, die stets nur verkünden, dass das Kapital wieder einmal alles zum bestmöglichen Gelingen seiner Verwertung eingerichtet hat. Allerdings lesen sich diese Texte gleichzeitig so, als würde die Anpassung der Wirklichkeit an die volkswirtschaftliche Theorie heute von den herrschenden Technokrat-

Innen in den Zentralbanken, Lobbyverbänden und Konzernzentralen ohne weiteres gemeistert. Sie ignorieren, dass der Gedanke eines in sich widersprüchlichen Zusammenhangs auch und grade bedeutet, dass dieser Zusammenhang unmöglich total kontrollierbar ist. Zum einen kann es im instrumentellen volkswirtschaftlichen Denken so etwas wie einen »objektiven Widerspruch« gar nicht geben, und zum anderen müsste die kontrollierende Instanz dann ihrerseits gegensätzlich handeln, wenn sie einen Widerspruch in Bewegung halten wollte.

Die Wertform des Zentralbankgeldes

Der Linkskeynesianismus und die linksradikale Orthodoxie unterscheiden sich also nur darin, dass die von beiden unterstellte Beherrschbarkeit der kapitalistischen Ökonomie einmal als Fortschritt und einmal als Übel erscheint. Da sie diese Beherrschung voraussetzen, ist es kein Wunder, dass beide Positionen der Geldpolitik als neuem Beherrschungsinstrument kaum Aufmerksamkeit gewidmet haben. Was fehlt, ist eine wertformkritische Bestimmung der Geldpolitik, die erläutert, wie sich in der Geldpolitik Sachzwang und Herrschaft zueinander verhalten.

Denn das Geld verdankt seine ganze Existenz der Verselbständigung des unbeherrschbaren Widerspruchs zwischen Tauschwert und Gebrauchswert. Geld ist »der verselbständigte Wert der Waren« (130). Aus dem Widerspruch entspringt im Austauschprozess die Verdopplung der Ware in Ware und Geld, und im Tausch wechselt der Wert, den sowohl Ware als auch Geld darstellen, immer nur seine Form, nicht aber seine Größe. Der Wert der umlaufenden Geldeinheiten hängt immer am Wert aller anderen Waren, die in einem gegebenen Zeitraum umgeschlagen werden sollen. Die Verdopplung führt zwar auch laut Marx nie zu einer 1:1-Entsprechung von Warenwert und Geldwert. Denn zum einen bezieht sich das Geld im Austauschprozess nicht auf den Wert, sondern auf die Preise der Waren, die um ihn herum schwanken. Zum anderen kann ein Geldquantum im gegebenen Zeitraum mehrfach getauscht werden. Wird es der Zirkulation nach erfolgtem Tausch entzogen, dann nicht zum Gebrauch, sondern zur Schatzbildung, die den Geldwert ebenfalls in eine dynamische Relation zum Warenwert setzt. Für Geldpolitik ist aus marxscher Perspektive kein Platz, und die Zirkulationsformen, die er analysiert hat, sind auch nicht ihr Ort. Die Zentralbanken nehmen auf keines dieser Bestimmungsmomente direkten Einfluss, denn das würde einen Eingriff in den privatwirtschaftlichen Geschäftsverkehr bedeuten. Das heißt, aus dialektischer Perspektive muss die Geldmengenregulation weit mehr sein als ein zwar machtvoller, aber letztlich bedeutungsloser und unkomplizierter technokratischer Akt. Vielmehr gibt das Wirken der Zentralbanken der Menge der Geldmittel eine Bedeutung, die außerhalb des privatwirtschaftlichen Verkehrs liegt.

Geldpolitik geht statt von einem Vermittlungs- von einem Kausalzusammenhang zwischen Geldmenge und Warenwert aus. In dem skizzierten marxschen Begriff des Geldes wird die Geldware dem Tausch immer wieder zugeführt und entzogen. Die sonstigen Umlaufmittel (Wechsel, Banknoten) entstehen und verschwinden im Vollzug der Tauschakte. Im Kausalzusammenhang, den Geldpolitik unterstellt, sollen hingegen unvermittelt modifizierbar erscheinende Geldmengen auf sogenannte Gütermengen wirken. Auch soll sich das Bestimmungsverhältnis umgekehrt haben. Nicht die Masse tatsächlich realisierbaren Warenwerts bestimme die zur Realisierung nötige Geldmenge, sondern die Geldmenge habe Einfluss auf die Wertsumme der Waren. Die könnten daher so produziert werden, dass sich Wert und Mehrwert des eingesetzten Kapitals realisieren können, also Akkumulation möglich wird. Die Geldpolitik der Zentralbanken stifte lediglich Chancen, die andere ergreifen müssten.

Erkennbar ist dieser Unterschied an den beiden zentralen Themen der zugehörigen Geldtheorie. Sie dreht sich zum einen um die Frage, welche Besitztitel zur Geldmenge gezählt werden müssen, und zum anderen darum, wie sich Mengenänderungen des Geldes, die monetäre Impulse genannt werden, im sogenannten Transmissionsprozess, etwa durch höhere Investitionen, in die »Güterwirtschaft« umsetzen.

An dieser Differenz zwischen qualitativer Vermittlung (bei Marx) und quantitativ wirkender Kausalität (durch Geldpolitik) lässt sich gut darstellen, was Matticks Formulierung bedeuten könnte, wenngleich sie es bei ihm noch nicht tut. Einerseits kannten die ökonomischen Theorien, an die die geldpolitische Praxis die Realität anpasst, Geld immer nur als eine vermittlungslose Quantität, die autonom wirkt. Die Idee einer autonomen Wirkung des Geldes ist eines der Momente des notwendig falschen Bewusstseins: »Obgleich daher die Geldbewegung nur Ausdruck der Waren-

zirkulation, erscheint umgekehrt die Warenzirkulation nur als Resultat der Geldbewegung.« (130) Die aktuelle Geldpolitik geht nun umstandslos von dieser vermittlungslosen Quantität aus, sie ist das zentrale Objekt des ökonomischen Wissens, das sich um sie gebildet hat. Die am Zentralbankgeld hängende Geldmenge ist zunächst ohne Warenumschlag vermehrbar und wirkt auf diesen erst im Anschluss, indem sie Nachfrage nach Investitionsgütern schafft. Eine Vermehrung wird Expansion und eine Verminderung Kontraktion genannt. So ist die Zinsrate, in der der Weg von G zu G’ ohne den real nötigen Weg über W, also vermittlungslos erscheint, von einer Größe, die naturwüchsiger Veränderung unterliegt, in Form der Leitzinsen zu einem Mittel der Veränderung geworden.

Damit wird dem vormals falschen Aspekt der Theorie tatsächlich ein reales Objekt geschaffen. Allerdings entsteht mit der Geldpolitik, und hier prozessiert der Widerspruch fort, eine komplett neue Sphäre. Die falsche alte Theorie kann nur wahr werden, indem ihr Gegenstand erneut vermittelt wird. Das heißt: Die Sphäre der Geldpolitik entsteht durch eine aktive Verselbständigung des Widerspruchs, dem sich die frühere Praxis durch fetischistische Wahrnehmung bloß ausgeliefert hatte. Die neuen Steuerungsmöglichkeiten der Geldpolitik lassen sofort wieder das sachliche Gebot entstehen, die Mittel ja auch richtig einzusetzen. Aus der Freiheit, sie zu nutzen, wird die Einsicht in ihre Notwendigkeit. Naturwüchsigkeit und Fetisch sind sofort wieder in Kraft gesetzt.

Die staatlichen und die geldpolitischen Institutionen setzen sich an den Stellen fest, an denen zuvor die VerwandlerInnen von Geld in Kapital bzw. die kreditgebenden GeldbesitzerInnen und die Banken als autonome Subjekte erschienen sind. So erheischen Zentralbanken in ihrer Sphäre gleichzeitig Autonomie, vulgo »politische Unabhängigkeit«. Die privatwirtschaftlichen Subjekte werden nicht direkt kontrolliert, sondern die Entstehungsbedingungen des Kreditgelds, mit dem sie arbeiten lassen. Sie liegen nicht mehr in der Zirkulationssphäre, sondern in der geldpolitischen Sphäre. Politisch entspricht dem der Machtanspruch des autoritären Staates. Ökonomisch hat das zur Folge, dass private Kreditbeziehungen keine Umlaufmittel mehr schaffen, die wie die Wechsel und Banknoten im 19.?Jahrhundert außerhalb der Banken zirkulieren. An deren Stelle treten Besitzansprüche auf Teile der durch Zentralbankgeld vermittelten Bilanzsummen des Bankensystems. Dies drückt sich in der Bezeichnung »Buchgeld« aus, die synonym zu »Giralgeld« verwendet wird. Das so bezeichnete Geld, also die Guthaben auf Bankkonten, entsteht durch Kreditvergabe von Banken, und macht den größten Teil des heute existierenden Gelds aus. Es ist nicht neu, dass Geld in Kreditbeziehungen entsteht. Von »Zettelbanken« herausgegebene Banknoten und vor allem Wechsel waren die bedeutenden Umlaufmittel des 19.?Jahrhunderts und wurden von Marx auch so begriffen. Neu ist allerdings eine Homogenisierung der Geldformen, die sich darin ausdrückt, dass sie gesamtgesellschaftlich bilanzierbar ist. Die Geldquanten gelten hier nicht nur quantitativ (im Hinblick auf die Wertgröße) und qualitativ (im Hinblick darauf, die Form unmittelbarer Austauschbarkeit zu sein), sondern auch als funktional gleich. In der neuen geldpolitischen Sphäre existieren sie durch Abstraktion von der Funktion, in der sie Geldform erlangt haben und durch Abstraktion vom Weg, den sie anschließend in der Zirkulation gegangen sind. Sie stellen schlichtweg das dar, was die Geldtheorie »Liquidität« nennt. Dieser Gedanke ist aus heutiger Perspektive sperrig. Allerdings nicht, weil es so schwierig ist, den abstrakten Charakter der Liquidität nachzuvollziehen, sondern umgekehrt, weil dieser Nachvollzug heutigen Geldsubjekten so vertraut ist, dass dahinter verschwindet, wovon hier überhaupt abstrahiert wird.

Die Lektüre von Das Kapital hilft über diese Schwierigkeit nur bedingt hinweg. Zwar hat Marx Geldformen in Relation zu den Geldfunktionen gesetzt und betonte damit auch die jeweiligen Besonderheiten dieser Formen. Das Kreditgeld zum Beispiel entspringt der Funktion des Geldes als Zahlungsmittel. Die unmittelbaren Geschäftsinteressen der Zirkulationsagenten auf dem

Waren-, Geld- oder Kapitalmarkt wirken darauf ein, in welchem Umfang im weiteren Verlauf mal die eine und mal die andere Geldfunktion erfüllt wird. Es ist hier also der Zirkulationsprozess, der das Geld in bestimmter Weise fungieren lässt. Weil die Darstellung der Zirkulation aber nur gelingen kann, wenn die qualitative Gleichheit der Geldformen hervorgehoben wird, hat Marx die Betonungen dieser funktional differenten Formen auch immer wieder relativiert. Anders ist die Rede von den Formwechseln des Werts nicht zu verstehen. Entgegen Marx’ Vorstellung von der Zirkulation des Geldes versuchen Zentralbanken, Geld auf bestimmte Weise einzusetzen, und sie stehen bei diesem Versuch auch nicht auf völlig verlorenem Posten. Die Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, die Zins-, die Refinanzierungs- und die Offenmarktpolitik (der Ankauf von Wertpapieren) sind tatsächlich dazu geeignet, die verschiedenen Geldformen ineinander zu transformieren. Die spezifischen Geldfunktionen sind dadurch zwar nicht tatsächlich einerlei geworden. In der geldpolitischen Sphäre sind sie aber aufgehoben. Und zwar unabhängig von der Frage, ob die jeweils spezifische Politik der Zentralbanken Liquidität gerade dort und so schafft, wo und wie sie den geldpolitischen Ansichten gemäß gerade gebraucht wird. Die ahistorische Logik der Lehrbücher entwickelt sich nicht erst an der Frage, wie die Geldpolitik ausgerichtet sein muss, sondern bereits im Verlauf der Erläuterungen, welche Besitztitel genau in der Bilanz des Bankensystems an welcher Stelle verbucht werden müssen.

Bilanz

Die Geldmenge ist also durch die Geldpolitik zur Kategorie erhoben worden, die die Menge Liquidität darstellender Mittel bezeichnet. Es handelt sich nicht bloß um eine Oberflächenerscheinung, die nun ergänzend zu bisherigen ökonomischen Kategorien erforscht werden kann. Die Kategorien der bürgerlichen Ökonomie werden nach Marx von »gesellschaftlich gültige[n], also objektive[n] Gedankenformen« gebildet (90), und dem ökonomischen Denken ist tatsächlich eine neue, vom Staatsfetisch durchdrungene Form aufgezwungen worden.

Anders als der linksradikale Marxismus meint, wurden durch die Etablierung der Geldpolitik sämtliche alten politökonomischen Kategorien in ein neues Licht getaucht. So erscheint es jetzt, als wären sie nie etwas Anderes gewesen als unvollkommene Vorläufer der Formen, die Geldpolitik stiftet. Die zusätzliche Verselbständigung der Wertabstraktion in einer historisch neuen Sphäre hat die »grundlegenden Widersprüche«, denen eben auch das Geld entsprungen ist, in eine neue Konstellation gezwungen. Deshalb ist eine Neubestimmung aller derjenigen Formen nötig geworden, die diese neue Sphäre durch Abstraktion von diesen Formen in sich einschließt. Das ist ein Gedanke, der Marx alles andere als fremd war. Alle Formen, die ihm bekannt waren, hat er ja ebenfalls durchs Wesen des zu seiner Zeit voll entfalteten Ganzen bestimmt. Die Bestimmungen der Wertformanalyse, die Geldformen usw., gelten auch nur durch den entfalteten »Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion« hindurch.

JustIn Monday

JustIn Monday lebt und schreibt in Hamburg.