Zur Aktualität von Rosa Luxemburg

Anlässlich des 90. Todestages Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts widmet jüngst die von der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) und dem Studierendenverband der Linkspartei herausgegebene Broschüre Die Revolution sagt: Ich war, ich bin, ich werde sein mehrere Aufsätze dem Leben, Wirken, Andenken und politischem Vermächtnis der beiden KPD-MitbegründerInnen. Die Aufsätze eignen sich auch für LeserInnen mit geringen Vorkenntnissen.

Den Auftakt bildet der ALB-Text Es gibt kein Ende der Geschichte, in dem man sich aus erinnerungspolitischen Gründen für die traditionsreiche Gedenkdemonstration für Luxemburg und Liebknecht ausspricht. Es fehlt nicht die polemische Wendung gegen jene, die sich zwar als radikale Linke begreifen, aber wenig Gemeinsamkeiten feststellen können zwischen sich und den autoritär-kommunistischen Grüppchen und alten SEDlern, die auf der alljährlichen Ehrung in Erscheinung treten, und dem Treiben daher distanziert gegenüberstehen.

Es folgen biographische Skizzen zu Luxemburg (Britta Schubert) und Liebknecht (ALB). Schließlich versuchen die Beiträge Stefan Bornosts (Luxemburg zu Reformismus und Revolution), Werner Rätz’ (Luxemburg zur »kapitalistischen Landnahme«), Tobias Pflügers (Liebknecht zu Militarismus und Antimilitarismus) und Florian Wildes (Luxemburg und Liebknecht in Weltkrieg und Revolution) die antiimperialistische, antimilitaristische Politik Luxemburgs und Liebknechts und deren Eintreten für die soziale Revolution für heutige linksradikale Politik fruchtbar zu machen.

Politisch-historisches Grundwissen zu vermitteln und sozialistische Ansätze für unsere Zeit zu aktualisieren – dies sind im Grunde begrüßenswerte Ansinnen. Sie werden hier jedoch teils in einer Weise verfolgt, die mir ein paar kritische Anmerkungen angemessen erscheinen lässt. Denn bei aller Beständigkeit, die das Problem der wesentlich krisenhaften und menschenfeindlichen Marktwirtschaft kennzeichnet, dürfen doch nicht die zahlreichen neuen Probleme übersehen werden, vor die sich die Linke 90 Jahre später gestellt sehen muss.

Von der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen einmal ganz abgesehen, wären dies zunächst: Der Strukturwandel der kapitalistischen Weltwirtschaft, der den »westlichen Imperialismus« als Leitmotiv der geopolitischen Analyse fragwürdig erscheinen lässt; das vielleicht nur vorläufige, aber doch in jedem Fall noch lange nachwirkende Scheitern und weitgehende Verschwinden der kommunistischen Bewegungen. Letztlich die kritische Lage, in die mehr oder weniger jede den Traditionen der Französischen Revolution und des aufklärerischen Universalismus verpflichtete politische Philosophie spätestens mit dem Fall der Sowjetunion zu geraten scheint; in diesem Sinne die sich unter ideologisch verschärften Bedingungen stellenden Herausforderungen einer (Welt-)Gesellschaft, in der die Klassenkonflikte in verwirrender Weise von religiösen, kulturellen und weltanschaulichen Widersprüchen überlagert und verkompliziert werden.

Sodann eine Bemerkung zum erinnerungspolitischen Teil der Broschüre: Eine kritische, geschichtsbewusste Linke hat der Welt sicher viel über diese und sich selbst mitzuteilen. Es ist bedauerlich, dass der Geschichte der Arbeiterbewegung gegenwärtig wenig Platz eingeräumt wird, auch bei Teilen der heutigen radikalen Linken. Es ist aber auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass nicht wenige VertreterInnen der Arbeiterbewegung, und bestimmt nicht die Schlechtesten, eben nicht rechten Banden, sondern dem Säuberungswahn ihrer eigenen GenossInnen zum Opfer gefallen sind. Ohne dass damit die Berechtigung eines ehrenden Gedenkens an Persönlichkeiten wie Liebknecht und Luxemburg angezweifelt wäre, muss sich darum die ALB fragen lassen, warum dies ausgerechnet in der gegenwärtigen Form, im Einvernehmen mit MöchtegernstalinistInnen und ähnlichen Gestalten, zu erfolgen hat. Das LL-Gedenken thematisiert nicht nur die Geschichte, es hat auch selbst eine, die sich mit einem etwas zähneknirschenden Verweis auf die »Schwächen« auch der linken Geschichte (12) nicht abtun lässt. Die Forderung, sich im Bereich der Erinnerungskultur gegen die »herrschenden Zustände« (ebd.) zu wenden, muss sich auf die Geschichte der Linken selbst ausdehnen, wo diese nicht mehr Gegenkraft, sondern Bestandteil der »herrschenden Zustände« war. Dies bedeutet gerade nicht Verrat, sondern nur, längst überfällige Lehren aus Verbrechen zu ziehen, die im Namen des Kommunismus begangen worden sind, und so die moralische Integrität zu erlangen, ohne die es eine vernünftige kommunistische Politik in Zukunft wohl nicht geben kann. Andere Beiträge (Bornost, Wilde) lesen sich hier sachlicher und umsichtiger.

Worin besteht nun die Aktualität Luxemburgs als politischer Denkerin? Dieser Frage nähert sich nicht nur besagte Broschüre, sondern umfassender und weniger (oder doch anders) dem tagespolitischen Geschäft verpflichtet, Frigga Haugs Band Rosa Luxemburg und die Kunst der Politik. In ihrem Buch versammelt Haug mehrere ihrer Arbeiten zur politischen Philosophie Luxemburgs in überarbeiteter und erweiterter Form. Im Mittelpunkt steht nicht die Biographie Luxemburgs, überhaupt tritt die Ereignisgeschichte in den Hintergrund. Haug setzt vielmehr bei einer strukturierenden Analyse der Schriften Luxemburgs an. Es handelt sich also zunächst um eine Untersuchung von Sprache, Begriffen und Argumentationsmustern, in deren Verlauf sich der politische Denkstil Luxemburgs auf einer allgemeineren, uns Heutigen zugänglicheren Ebene kristallisieren soll. Als ein Hauptanliegen kann dabei die Sichtbarmachung jenes besonderen Verhältnisses gelten, in das Luxemburg den alltäglichen politischen Kampf um Demokratie und Sozialreformen und das große Ziel der revolutionären Zerschlagung der kapitalistischen Ordnung setzte. Nicht als Entweder-Oder, so machte sie besonders in ihrer Auseinandersetzung mit den reformistischen Sozialdemokraten um Bernstein in Sozialreform oder Revolution (1898) deutlich, seien diese beiden zu betrachten, sondern in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Anlässlich des 20. Todestages von Marx 1903 prägte Luxemburg den Begriff der »revolutionären Realpolitik«. Es sei »die große Idee des sozialistischen Endziels in die Scheidemünze der Tagespolitik umzuwechseln und die politische Kleinarbeit des Alltags zum ausführenden Werkzeug der großen Idee zu erheben.« (hier zit. n. Haug, 68.) Der Kampf um die Verbesserung des alltäglichen Lebens kann, so Luxemburg, ohne revolutionäre Perspektive so wenig sinnvoll geführt werden, wie diese auf die allmähliche Entwicklung des Bewusstseins der Massen angewiesen ist, die allein, nach Luxemburgs Auffassung, eine solche Revolution »von unten« zu bewerkstelligen haben. In diesem Sinne grenzte Luxemburg sich nicht nur gegen den Reformismus ab, der den Richtungsstreit innerhalb der deutschen Sozialdemokratie bekanntlich für sich entscheiden sollte. Sondern auch gegen jene Kräfte, deren Verhältnis zum demokratischen Prozess wesentlich taktischer bestimmt war, die eine Revolution »von oben« zumindest in Kauf nahmen, die also im Interesse des Sieges des Sozialismus die Macht dann an sich zu ziehen gewillt waren, wenn sie »auf der Straße lag«.

Das heutige Interesse an Luxemburg als politischer Denkerin hängt natürlich mit dieser Haltung zusammen. 90 Jahre nach ihrer Ermordung ist die »soziale Reform« vor allem als eine freundlichere Umschreibung für den Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften bekannt. Der Sowjetmacht ist gescheitert und verschwunden, nachdem es ihr nicht gelungen war, einen Ausweg aus der ideologischen und weltpolitischen Zwangslage zu finden, in die sie sich in den turbulenten Jahren der Revolution teils selbst manövriert hatte, teils hatte drängen lassen. Es ist also die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Erneuerung des sozialistischen Projekts vor dem Hintergrund seiner zweigestaltigen historischen Niederlage, die Luxemburgs Denken so reizvoll und nützlich erscheinen lässt. Frigga Haugs Buch ist besonders zu empfehlen auf Grund der Fülle seiner durchaus kritischen Perspektiven. Als Einführung will es dagegen nicht dienen und ist dazu auch nur bedingt geeignet. Eine gewisse Vertrautheit mit den Grundtatsachen der Geschichte der Arbeiterbewegung und des Marxismus ist unerlässlich, um dieses reichhaltige Buch mit Gewinn lesen zu können.

Wer sich auf der Suche nach einem solchen einführenden Titel befindet, darf auf das in der Reihe Suhrkamp Basis Biographien voraussichtlich im Juli dieses Jahres erscheinende Buch über Luxemburg gespannt sein, das aus der Feder Dietmar Daths stammt. Einem historisch-biographischen Teil, in dessen Zentrum der Werdegang der Politikerin und Theoretikern steht (als Wegmarken: der Richtungsstreit der SPD, die russische Revolution 1905, Weltkrieg, Oktober 1917 und Novemberrevolution), folgt ein gelungener Überblick über das Werk, das in die damaligen Debatten eingebettet wird. Kritischen Blickes und mit treffendem Spott begegnet Dath der späteren Geschichte des Sozialismus und vergisst darüber nicht die Aufgaben, vor denen die heutige marxistisch orientierte Linke steht. Dem Rezensenten lag zwar kein vollständiges Manuskript vor, die rund zwei Drittel desselben legen aber den Verdacht nahe, dass es sich bei dem fertigen Buch um ein aufgeräumt-informatives, darum nicht weniger schwungvolles und anregendes Werk handeln wird, dem zahlreiche LeserInnen zu wünschen sind.

~Von Naldo Fischer.

Frigga Haug: Rosa Luxemburg und die Kunst der Politik, Argument, Hamburg 2007, ca. 235 S., € 16,50.

Antifaschistische Linke Berlin, dielinke.SDS (Hrsg.): Die Revolution sagt: ich war, ich bin, ich werde sein. Luxemburg und Liebknecht fürs 21. Jahrhundert, o. Verlag, Berlin 2009. ca. 80 S. Broschüre für € 1,- zu bestellen bei www.antifa-versand.de oder als download frei im Internet.