»Zur Kenntlichkeit entstellt«

Interview mit Marcus Hammerschmitt über Science Fiction als unversöhnliche Satire

Polyplay ist der dritte Roman von Marcus Hammerschmitt, der bei Argument Social Fantasies erscheint. Es handelt sich um einen Science-Fiction-Krimi, der in der DDR des Jahres 2000 spielt – richtig, in der DDR. Der Sozialismus war siegreich, die USA sind in mehrere Teilstaaten zerfallen und das wiedervereinigte Deutschland kürzt sich folgerichtig etwas anders ab, als wir das gewohnt sind. Phase 2 sprach mit Hammerschmitt über die Spannungsfelder, die sich in der Science Fiction zwischen Kritik, Affirmation und Utopie auftun.
 

Polyplay schildert ausgesprochen “deutsche” Verhältnisse. Die Groß-DDR erscheint verglichen mit der realexistierenden BRD weder als Utopie noch als Dystopie. Die Unterschiede stecken eher im Detail – zum Beispiel in der Bemerkung, dass die öffentlichen Verkehrsmittel im sozialistischen Berlin konkurrenzlos billig sind. Insgesamt bleibt Deutschland sich ähnlich – deine Version wirkt vielleicht etwas spießiger und gemütlicher, ist dafür aber mit moderner Informations- und Verkehrstechnologie aufpoliert. In einer amüsanten Wendung rekrutieren sich die Stiefelfaschisten vor allem aus den Reihen der Wessis, und auch unser aktueller Außenminister bleibt uns bei Polyplay erhalten ... Wenn man deinen neuen Roman also mit einem Schlagwort charakterisieren wollte, wäre er dann antideutsch?

Das ist mir zu schlagworthaft. Ich hoffe, der Roman ist antiermüdend, d.h. gegen eine fortdauernde Ermüdung durch die Tatsache gerichtet, dass wir das Gemeinwesen nicht sinnvoll einrichten können. Dass die DDR keine Alternative war. Dass daher Nostalgie giftig ist. Dass es theoretisch wie praktisch nur ganz zarte Ansätze zu einer Alternative sind, in einer Situation, die schreiend nach einer Alternative verlangt. Und am Ende stellt sich Polyplay der Ermüdung durch die Tatsache, dass sich vor unseren Augen Techniken der Machtausübung entwickeln, die wir nicht einmal verstehen, weil wir sie nicht verstehen wollen. Wir blenden eine Welt der totalen Heteronomie aus, weil wir sie uns nicht vorzustellen wagen. Wer immer die Verhältnisse kritisiert, hofft darauf, dass das “Rettende wächst, wo Gefahr ist”. Auf dieser Hoffnung basiert jede Form widerständischer Praxis. Ob man will oder nicht, man möchte Teil des “Rettenden” sein. Sich der Möglichkeit zu stellen, dass nur die Gefahr wächst, wo die Gefahr wächst, ist nicht leicht.
 

Wenn man deine letzten drei Romane betrachtet, kann man eine Entwicklungslinie ausmachen: Im Opal gibt es am Ende noch eine Art Befreiungsschlag, in dem das System kollabiert. Beim Zensor steht eine Umwälzung am Ende zwar in Aussicht, erscheint aber doch alles in allem recht fraglich und auch fragwürdig. Polyplay dagegen schließt mit der Feststellung, dass es keine Alternative zum Mitspielen in der Gesellschaft gibt. Der Bezug zu der Frage, inwiefern eine emanzipatorische Bewegung aus den Verhältnissen ausbrechen kann, die sie letztlich selbst hervorgebracht haben, liegt auf der Hand. Tendierst du bewusst dahin, immer mehr zu thematisieren dass es “kein richtiges Leben im falschen” gibt, oder konstruiere ich das jetzt herbei?

Ich habe schon große Fortschritte gemacht. In früheren Arbeiten (z.B. den Erzählungen aus Der Glasmensch oder in Target, am deutlichsten in den vier thematisch und gestisch verwandten Geschichten “Charly 2000”, “Hundherz”, “Lizzie X” und “Café Vidocq”) stand am Ende oft nur die totale Vernichtung der mehr oder weniger kaputten Protagonisten. Das begann mich zu langweilen. Meine neueren Helden nutzen die Chancen, die sie nicht haben. Das ist als Ansatz nun nicht rasend neu, aber vielleicht unserer gesellschaftlichen Realität angemessener und auch spannender als der unbedingte Katastrophismus.
 

Im Zensor ist eine deiner Hauptfiguren der Guerillakämpfer Enrique, der immer wieder verblüfft und schockiert ist über die seltsamen Bündnisse, die er z.B. mit erzkonservativen Christen schließen muss. Nicht jeder Widerstand gegen repressive Verhältnisse ist unbedingt links oder emanzipatorisch. Trotzdem ist es mehr oder weniger Tradition der Metropolen-Linken, mit allen “solidarisch” zu sein, die in der einen oder anderen Weise unterdrückt oder benachteiligt werden. Der Zensor scheint auf die Feststellung abzuzielen, dass soziale Kämpfe immer von Spannungsverhältnissen geprägt sind.

Das ist so. Man will das nicht. Man will sich nicht mit seinen Gegnern in ein Boot setzen, nur um einen konkreten politischen Erfolg zu erzielen. Man will das dumme Zeug nicht hören, was die anderen für die reine Wahrheit halten. Und trotzdem ist das notwendig und wird immer notwendig sein. Enrique macht nun die Erfahrung des bitteren Umschlagens einer Bündnispolitik, die er selbst lange, viel zu lange mitgetragen hat: Seine Leute sind bereit, ihn zu opfern, damit ein falsches Bündnis bestehen bleiben kann (in diesem Fall das antimayanische Widerstandsbündnis zwischen dem marxistisch und dem katholisch orientierten Flügel der Guerilla). Das Dumme an Bündnissen ist: Es gibt keine Garantien. Ich habe bis vor kurzem auch noch einige Leute für Linke gehalten.
 

Würdest du sagen, dass sich die Frage, ob bestimmte Kräfte emanzipatorisch sind, sich vor allen Dingen darüber entscheidet, in welchem gesellschaftlichen Kontext diese Kräfte sich bewegen?

Das würde strenggenommen auch bedeuten, dass jede Schandtat gerechtfertigt ist, wenn nur der Kontext stimmt. Der “Kontext” ist nicht letztbegründend. In gewisser Weise ist deine Frage ja verwandt mit der anderen, was eigentlich “links” ist. Ein weites Feld. Wolfgang Haug hat in seinem Buch “Politisch richtig oder richtig politisch” (Argument, 1999) ein Ausschlusskriterium für Linkssein formuliert: “Links ist alles Handeln, das Welt aus dem Reich des Privateigentums zurückgewinnt, ohne sie dem Reich des Staatsapparats auszuliefern.” Das allein reicht natürlich nicht. Es müssten schon noch ein paar positive Kriterien dafür formulierbar sein, was als links im Sinne von “emanzipatorisch” gelten kann. Man könnte bei so vielen Fragen ansetzen. Führt das Handeln einer gesellschaftlichen Kraft zur Verfestigung von Herrschaft (einer Minderheit über eine Mehrheit), oder ist sie geeignet, sie aufzuweichen oder gar abzuschaffen? Wie hält man es mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln? Was ist ein Produktionsmittel? Welche Hierarchien entstehen geplant oder ungeplant schon in der Vorbereitung der angestrebten gesellschaftlichen Veränderung? Wird das Geschlechterverhältnis zumindest reflektiert? Sind Kinder Rohmaterial, oder doch echte Menschen? Enthält das entsprechende Gesellschaftsmodell ein Wachstums- und Verteilungskonzept des gesellschaftlichen Reichtums, das notwendigerweise eine Überstrapazierung natürlicher Ressourcen zur Folge hat? Stellt sich die zugehörige Theorie der Komplexität unserer Welt, oder versucht sie gewaltsam, alles einfacher zu machen als möglich?
 

Du bist in erster Linie Science-Fiction-Autor ...

Das täuscht. Die Täuschung entsteht durch die Tatsache, dass die meisten meiner veröffentlichten Titel aus diesem Genre stammen. Aber meine Homepages geben Auskunft über meine Lyrik, meine Essays, Hörspiele, Online-Projekte, usw.
 

Hm, in Ordnung, aber noch mal zurück zur SF: In deinem Beitrag auf dem Outofthisworld2-Kongress hast du Bruce Sterling zitiert, der erklärt hat, die Science Fiction sei “der Hofnarr der technologischen Zivilisation”, und damit gewissermaßen Satire auf das gesellschaftliche Verhältnis schlechthin. Allerdings kritisierst du gerade die Praxis der Satire als konservativ oder zumindest affirmativ –Sie kritisiert die gesellschaftlichen Verhältnisse an der Meßlatte ihrer eigenen Werte und beklagt gerne den Werteverfall. Wie ordnest du dich da selbst als SF-Autor ein?

Selbstverständlich möchte jeder Autor, der sich nur ein wenig für seine Zeit interessiert, ein überzeugendes Bild für diese Zeit finden. Ich würde das gerne mit der speziellen Form von Satire erreichen, die sich Science Fiction nennt. Es ist dies keine herkömmliche Form der Satire, die als moralische Anstalt mit humoristischer Garnitur funktioniert, sondern eine, die ihr Thema durch überzeichnende Verzerrung zur Kenntlichkeit entstellt, ohne auf den erlösend-versöhnenden Effekt des Gelächters zu spekulieren. Die Satire kann affirmativ werden, wenn sie der Kritik als Fluchtpunkt dieses Gelächter anbietet – Science Fiction wie ich sie verstehe, hält sich damit bewusst zurück.
 

Also etwa wie in deinem Kongressbeitrag: “Science Fiction muss durch eine mit realistischer Phantasie aufgeladene Analyse so an der Wirklichkeit arbeiten, dass sie zur Kenntlichkeit entstellt wird, und dem Leser anbietet, die utopische Leerstelle, die sie hinterlässt, konstruktiv zu füllen.” Du erwartest von der SF also keine Handlungsanweisungen oder Utopien, sondern Kritik der Verhältnisse, richtig? Würdest du da eine Parallele zu unmittelbar politisch-analytischen Texten ziehen? Etwa in dem Sinne: es geht nicht darum, den Menschen bessere Gesellschaftsmodelle anzubieten, sondern darum, die bestehenden zu kritisieren?

Das ergibt sich unmittelbar aus der Antwort auf die letzte Frage. Hüten muss sich natürlich die Erzählung vor dem Umkippen in reine Analyse oder gar vor dem bloßen Moralisieren. Als Autor von Erzählungen muss ich unterhalten. Ich darf schwindeln, ich darf wissenschaftliche Genauigkeit vermissen lassen, ich darf Beweisketten konstruieren, wie es mir beliebt, aber ich muss unterhalten, und ich muss das Bild finden. Das Bild als Türöffner für die Analyse benutzen zu können, als Vorboten und Symbol der Kritik, das ist es, was mich an der Science Fiction so reizt. Und ich bin dagegen, Science Fiction als pädagogisches oder propagandistisches Instrument einzusetzen. Das hatten wir schon oft genug, und es resultiert einfach in schlechter Literatur.
 

bleibt die obligatorische Frage, was wir von dir als nächstes zu erwarten haben ...

Konkrete Verhandlungen über Veröffentlichungen gibt es nicht (von kleineren Texten abgesehen, die in Anthologien erscheinen werden). Aber konkrete Texte gibt es. Ich versuche gerade, die Chancen für einen Roman auszuloten, der im eigentlichen Sinn nicht mehr als Science Fiction begriffen werden kann. Erwachsen ist dieser Roman aus meiner Beschäftigung mit der Eisenbahn, die zu meinem Essayband “Das geflügelte Rad” geführt hat, ebenso wie zu einem weiteren Kurzroman, an dem ich gerade arbeite. Man wird sehen.
 

Hoffentlich wird man bald sehen ... Vielen Dank für das Gespräch.


Phase 2 Berlin