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Das Ende der Kälte

Frühjahr 2009

Editorial

Im demokratischen (Vor-)Wahlkampf wurde im Zusammenhang mit der Kandidatur Hillary Clintons die Genderfrage offensiv thematisiert. Auch in Deutschland wurde dies aufgenommen und über Geschlechterverhältnisse sowie möglichen Sexismus in den USA debattiert. Doch eine Übertragung auf die deutsche Gesellschaft wird nicht geleistet. Barack Obama hat seine und Clintons Kandidatur als Vorbild für seine Töchter gepriesen, denen gezeigt würde, dass sie weder qua Geschlecht noch qua Hautfarbe weniger geeignet für hohe Ämter seien. Die Bewertung einer Kandidatur als Sieg des Feminismus – in Deutschland kaum denkbar. Angela Merkel hat möglichst selten die »Frauenkarte« gezückt und ihr Sieg wurde nicht als Teil der Geschichte der Frauenbewegung gesehen. Ist es überhaupt vorstellbar, dass Gerhard Schröder Merkel gratuliert und sich für Mädchen freut, dass die gläserne Decke erneut Risse bekommen habe? Die Frage, ob die Gesellschaft »reif« für eine Präsidentin oder einen afroamerikanischen Präsidenten sei, stand vielfach im Mittelpunkt der amerikanischen Berichterstattung. Der Wahlerfolg von Barack Obama wurde und wird als Sieg gegen den Rassismus gefeiert, als eine Station innerhalb der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Er selbst hat im Wahlkampf und in den medial omnipräsenten Reden einen klaren Bezug dazu hergestellt. Weiter

Inhalt

Top Story

Phase 2 Leipzig

Das Ende der Kälte

Einleitung zum Schwerpunkt

Mit dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung wurde auch das Ende des sogenannten Kalten Krieges besiegelt. Begonnen hatte er im Nachgang der »großen Katastrophe«, worunter mittlerweile der Zweite Weltkrieg und der Holocaust subsumiert werden. Hinter der »antifaschistischen Fassade« des Kommunismus, so die allgemeine Erzählung weiter, unterwarf die Sowjetherrschaft Osteuropa ihrem Einflussbereich. Das übrige Europa wurde von den westlichen Alliierten und insbesondere den Vereinigten Staaten von Amerika als alternatives Gesellschaftsmodell in Stellung gebracht. Was damals als westliche Propaganda galt, scheint heute bestätigt: Wer gegen Kapitalismus ist, ist für die Barbarei. Die UdSSR hat sich demnach wirtschaftlich und auch ethisch disqualifiziert, während das Modell des Westens sich letztendlich als alleiniger Ort des Wohlstands, der Menschenrechte und der sozialen, kreativen Freiheit und Moral etabliert wissen will. Der Status Quo des westlichen bzw. des europäischen Wertemodells ist Produkt der globalen Neuordnung nach dem Ende der Blockkonfrontation. Eine Analyse der »postkommunistischen Situation« sollte sich nicht nur auf die unmittelbar von der Herrschaft des Sozialismus betroffenen Länder konzentrieren und fragen, welche Spuren der »Kommunismus« hinterlassen hat, sondern sich auch den Folgen für das kapitalistische, westliche Gesellschaftsmodell widmen. Die Utopie des Westens bezieht sich in erster Linie auf die Freiheit des Konsums und auf demokratische Grundwerte, die nach 1989 aus dem Westen in die ehemaligen sozialistischen Länder exportiert werden sollten. Anders als in der frühen Nachkriegsphase in Westeuropa, wo ebenfalls für kapitalistische statt sozialistische Verhältnisse geworben wurde, ist in den neuen EU-Staaten und Anwärterstaaten keine Rede mehr von »sozialer Demokratie« oder »sozialer Marktwirtschaft«, sondern von Nachhol-, Anpassungs- und Rationalisierungsprozessen. Hat sich die These der nachholenden Entwicklung durch eine Kapitalisierung, die vermeintlich Hand in Hand mit der Demokratisierung der Länder geht, innerhalb des aufgestiegenen Machtblocks Europa bestätigt? Oder hat man es heute nicht vielmehr mit, um Uniformität bemühten, verwalteten Demokratien zu tun, die im starken Widerspruch zu jeweiligen kulturellen und politischen Entwicklungen stehen? Shlomo Avineri vergleicht in seinem Beitrag »Nach dem Kommunismus: Mühen der Demokratie« postkommunistische Entwicklungen in den osteuropäischen Ländern. Kapitalisierung und Demokratisierung nehmen vor allem dort einen asynchronen Verlauf, wo die im Kalten Krieg relativierten Nachklänge der Staaten und Imperien des alten Europa in den politischen Eliten wieder deutlich hörbar sind. Das Ende der Blöcke sowie die nachlassende Fähigkeit zur sozio-ökonomischen Steuerung und Integration der Gesellschaften zugunsten kapitalistischer Erfordernisse, die aufrechterhaltenen institutionellen und symbolischen Apparate der Staaten lenken ihre Energien in alte Bahnen, sofern neue nationale Konturierungsmöglichkeiten gefragt sind. Den europäischen Integrationsprozess kennzeichnet vor allem die definitorische Elastizität der Formen (demokratischer) Zivilkultur und nationaler kollektiver Identitäten. Den fundamentalen Wandel nach 1989 kennzeichnet vor allem, dass der Kapitalismus offenbar allen Legitimierungsnöten enthoben ist. Weiter…

Shlomo Avineri

Nach dem Kommunismus

Mühen der Demokratisierung

Es ist niemals einfach, zu bestimmen, ob die eine historische Periode einer anderen Platz gemacht hat, oder überhaupt eine historische Periode als solche zu benennen.1 Dies gilt besonders bei Ereignissen der jüngeren Geschichte. Die Veränderungen sind noch nicht zu einem Ende gekommen und es ist unklar, welches Ergebnis sie, wenn überhaupt, zeitigen. Über den Postkommunismus in Mittel- und Osteuropa allerdings lassen sich bereits Aussagen und vorsichtige Schlussfolgerungen treffen. Zunächst, dass es drei Phasen gegeben hat. Zuerst gab es einen fast schon messianischen Enthusiasmus und die Hoffnung auf Erlösung. Als Zweites folgte eine Zeit der Differenzierung, in der sich die Sichtweisen nuancierten. Die dritte Periode zeichnet sich aus durch Introspektion, vermischt mit dem Gefühl der Entzauberung. Weiter…

Jennifer Stange

Die gehaltvollen Heimatkrumen

Zur postkommunistischen regionalen Ethnisierung in West- und Osteuropa

Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme hat man sich daran gewöhnt, dass überall in Europa neue Staaten (wieder-)entstanden sind: von Estland, Lettland bis Georgien, Armenien, Moldawien, dann Slowenien, Kroatien, zuletzt Mazedonien und Kosovo. Nur das alte Europa schien davon unberührt. Europas frühere Nationalstaaten rühmen sich nun, ihre Minderheiten zu schützen und deren Traditionen zu achten. Dabei hat der europäische Integrationsprozess die Bedeutung der Nationalstaaten zwar reduziert, aber nicht aufgelöst. Als die europäische Einigung vor Jahrzehnten immer mehr Gestalt annahm, träumten einige von einem Europa der Regionen, von einem Europa, in dem die Nationalstaaten schrittweise ihre Bedeutung verlieren und sich vielleicht irgendwann auflösen würden - oben die Europäische Union, die sich um das große Ganze kümmert, um Außen- und Sicherheitspolitik, um die Währung, um Umweltschutz - und darunter die Regionen, die sich mit den Fragen des täglichen Zusammenlebens beschäftigen. Die Nationalstaaten, die in der Vergangenheit soviel Unheil angerichtet hatten, würden einfach austrocknen, so dachte man. Einerseits folgte die EU damit dem Weg der Moderne – ihrer Tendenz, historische Entwicklungen auf den Weg zu bringen, der das Subjekt aus dem Partikularen ins Universale, aus vor-modernen Gemeinschaften, Ordnungen, Hierarchien, Traditionen und kulturellen Identitäten in Universalität, freie Kommunikation und Staatsbürgerschaft befördert. Andererseits förderte sie eine Auslegung des Mitbestimmungsrechts der Völker, wie es heute als Recht auf die Verteidigung vor-moderner kultureller Identitäten in Kerneuropa und den osteuropäischen Ländern erkennbar ist. Weiter…

Uli Schuster

NATO am Ende oder am Ende die NATO?

Sechzig Jahre nach ihrer Gründung prägen Konflikte die transatlantische Allianz; gleichzeitig ist sie aktiv wie nie zuvor

Die NATO schwindet dahin, so die Aussage von Peter van Ham, Direktor der Global Governance-Abteilung des niederländischen Instituts für Internationale Beziehungen in Den Haag. Viele politische BeobachterInnen kommentieren aus Anlass des nahenden sechzigsten Jahrestages der NATO-Gründung in ähnlicher Weise die Zukunft des transatlantischen Militärbündnisses. Auch die Linke diskutiert, ob und warum die NATO überlebt. Dabei geht es ihr um mehr: Die Interpretation der NATO-Existenz ist Teil einer größeren Auseinandersetzung über den Charakter der internationalen Herrschaftsverhältnisse und damit über die Ansatzpunkte ihrer Kritik. Während eine Position die globalen Rivalitäten zwischen kapitalistischen Mächten hervorhebt, in deren Folge auch die NATO ein Feld westlicher Gegensätze darstellt, sehen andere die Weltordnung durch eine fortgesetzte Hegemonie der USA bestimmt, die sich gerade auch in der und durch die NATO international verwirklicht. Die rasante und von Widersprüchen geprägte Entwicklung der NATO in den letzten zwanzig Jahren macht eine eindeutige Bewertung des Zustandes der NATO nicht einfach. Vielmehr scheint es so, dass die NATO auf jeweils verschiedenen Entwicklungsstufen für jede der differierenden Positionen einen Beleg darstellen kann. Weiter…

Heidemarie Uhl

Cold War, hot memories

Grenzziehungen und Überschneidungen zwischen offizieller west- und osteuropäischer Erinnerungskultur und der Stellenwert der Holocausterinnerung nach 1989

Betritt man das »Haus des Terrors« in Budapest, so wird den BesucherInnen die erinnerungspolitische Intention dieses Museums an einer historic site – das Gebäude in der Andrássy Straße 60 war ab 1937 von den ungarischen Pfeilkreuzlern und von Kriegsende bis 1952 als Hauptquartier der Staatssicherheit genutzt worden – unmissverständlich vor Augen geführt: Im Eingangsbereich befindet sich ein gemeinsames Denkmal für die Opfer des Kommunismus und der Pfeilkreuzler-Diktatur, bestehend aus zwei Gedenksteinen. Spiegelbildlich angeordnet, der eine aus rotem, der andere aus schwarzem Stein, versehen mit den jeweiligen politischen Symbolen, verweisen sie auf die zentrale Botschaft des »Haus des Terrors«: die Gleichsetzung der kommunistischen Diktatur mit dem Nazi-Kollaborationsregime in Ungarn. Die Dramaturgie und Inszenierung, die räumliche Gewichtung und die emotionale Aufladung der einzelnen Themenbereiche in der Ausstellung lassen allerdings keinen Zweifel daran, dass der Schwerpunkt nicht auf den Verbrechen vor dem Kriegsende 1945, sondern auf jenen des Kommunismus liegt – damit tritt auch die Darstellung der Ermordung der ungarischen Juden in den Hintergrund. Geschichtspolitisches Engagement, ästhetische Aufladung und Emotionalisierung finden sich in erster Linie dort, wo es um die Darstellung des kommunistischen Terrors und seiner Opfer geht. Regina Fritz, Gespaltene Erinnerung. Museale Darstellungen des Holocaust in Ungarn, in: dies. u.a. (Hrsg.), Nationen und ihre Selbstbilder. Postdiktatorische Gesellschaften in Europa, Göttingen 2008, 129–149. Weiter…

Raiko Hannemann

Jenseits von »Roter Diktatur« und »Sonnenallee«

Bemerkungen zu herrschenden DDR-Geschichtsbildern

Das Panoptikum der DDR-BilderDie DDR war ein Staat, der den Antifaschismus, die Völkerfreundschaft, den Frieden, den Antimilitarismus, den Sozialismus, die Emanzipation des Menschen, die (wirkliche) Demokratie und den Marxismus zur allenthalben verlautbarten Grundlage seiner Legitimation machte. Es ist bis heute aber nicht leicht zu verstehen, warum die DDR realiter eine Politik hervorbrachte, die jüdische Shoah-Überlebende in den fünfziger Jahren zur Flucht aus der DDR zwang, die zwar verschwiegene, aber immer vorhandene Rassismen fortbestehen ließ, Man bedenke etwa die VertragsarbeiterInnenpolitik der DDR seit den sechziger Jahren oder die Benutzung antipolnischer Ressentiments des DDR-Agitprop in der Solidarnosc-Zeit. die 1968 eine deutsche Armee zu einem erneuten Einmarsch in die ?SSR bereitstellte. Es war eine Politik, die bereits die Jugend in Massenorganisationen uniformierte und in Aufmärschen, Fahnenappellen und im obligatorischen Wehrunterricht militarisierte, die den Sozialismus zu einem Staatskapitalismus uminterpretierte, die den Massen ein kritisches, freies Denken (zumindest über den Marxismus-Leninismus) und damit ein kritisches Bewusstsein mittels streng verteidigter Dogmen versagte, die den »Arbeitern und Bauern« eine politische Mitsprache nicht zutraute und die einem Funktionärs-Apparat die Rolle übertrug, als »Avantgarde der Arbeiterklasse« (ohne Konsultation etwa von Räten) die Interessen der Arbeiterklasse und den richtigen Weg zur Umsetzung des herrschaftsfreien Kommunismus immer schon notwendigerweise zu kennen. Weiter…

Jan Kiepe und Tilmann Siebeneichner

»Gespenster am toten Mann«

Antikommunismus nach dem Realsozialismus im wiedervereinigten Deutschland

Im Angesicht der faschistischen Bedrohung hat Walter Benjamin eine berühmte – und vielerorts strapazierte – Einsicht formuliert, die die politischen Implikationen von Geschichtsdeutungen hervorhebt: »Vergangenes historisch artikulieren«, so Benjamin, »heißt nicht, es erkennen ›wie es denn eigentlich gewesen ist‹. Es heißt, sich einer Erinnerung zu bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt.« Walter Benjamin, Geschichtsphilosophische Thesen, in: ders., Illuminationen. Frankfurt a. M. 1955, 270. Zu keiner Zeit geht es bei der Auseinandersetzung mit Geschichte also um »Objektivität«, sondern vielmehr geht es um das »Überleben« gesellschaftlicher Gruppen und Interessen. Unter dem Begriff der »Geschichtspolitik« ist eine Praxis erfasst, die nach dem vermeintlichen »Ende der Geschichte« (Francis Fukuyama) bewusst die Instrumentalisierung historischer Deutungsmuster betreibt. Für die Frage nach der Fortsetzung antikommunistischer Politik, Geschichtsschreibung und Denkweise scheint ein Blick auf das bald den 20. Jahrestag seiner Wiedervereinigung feiernde Deutschland viel versprechend – allerdings auch recht spezifischer Natur. Obwohl über 40 Jahre Produkt einer latenten »Sowjetisierung«, Konrad H. Jarausch/Hannes Siegrist (Hrsg.), Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945–1970, Frankfurt a. M./New York 1997. kommt der DDR aufgrund ihres kapitalistischen siamesischen Zwillings im Zusammenhang mit dem »Ostblock«, dem ehemaligen kommunistischen Hegemonialbereich, eine Sonderstellung zu. Diese jedoch ermöglicht es, im Brennglas einer vorgeblich wiedervereinigten deutschen Gesellschaft, das Phänomen des »Antikommunismus nach dem Realsozialismus« eingehender zu untersuchen und zu beschreiben. Eine Sonderstellung, die nicht zuletzt eine selbstgefällige nationale Praxis reflektiert, welche die übrigen osteuropäischen Länder und Nationen getrost übergehen zu können glaubten, um das historische Phänomen des »real existierenden Sozialismus«, seine Wurzeln und Auswüchse, seine Zusammenhänge und seine Widersprüchlichkeiten verstehen zu können. HistorikerInnen kommt hierbei eine politische Funktion zu. Weiter…