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Ideologisch abbaubar

Zur Nachhaltigkeit von Ökologiekritik

Sommer 2013

Editorial

Linke Theorie und Praxis ist ein Tummelplatz von/für Irrungen und Wirre. Die Recherche zum Schwerpunkt dieser Ausgabe hat uns das mal wieder vor Augen geführt. Auf der Suche nach einer Gruppe aus dem sogenannten klimakritischen Umfeld, die soziale und ökologische Frage verknüpft und mit uns über Sinn und Unsinn von Umweltaktivismus diskutiert, stießen wir auf so manche, nun ja, Abwegigkeit. Bei den ganzen Aufforderungen an das Individuum, das Klima zu retten, Strom zu sparen, klimaneutral (oder gar nicht) zu fliegen, zu recyceln, Bäume, Sträucher und Gräser zu schützen, möchte man den idiotischen Wahlslogan der Grünen von 1990 umdrehen und sagen: »Alle reden vom Wetter. Wir reden von Deutschland.« Dass sich im Schwerpunkt letztendlich kein Interview mit einer Umweltgruppe findet, spricht für sich. Weiter

Inhalt

Top Story

Phase 2 Leipzig

Ideologisch abbaubar

Zur Nachhaltigkeit von Ökologiekritik

»Die kapitalistische Produktionsweise«, so Karl Marx im ersten Band von Das Kapital, »entwickelt […] nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.« Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1, Berlin 1968, 529f. Der Fortschritt bürgerlicher Gesellschaften, mit anderen Worten, geht notwendig zulasten von Mensch und Natur. Wenngleich Marx dem Naturbegriff zwar sehr viel, der Naturzerstörung eher wenig Aufmerksamkeit schenkte, findet sich hier miteinander verbunden, was später die soziale und die ökologische Frage genannt werden sollte. Marx war keinesfalls ein Feind jenes Fortschritts, er lobte gar die Ersetzung des »gewohnheitsfaulsten und irrationellsten Betriebs« durch die »bewußte, technologische Anwendung der Wissenschaft.« Dennoch war ihm nicht entgangen, dass die »Zerreißung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und Manufaktur«? Ebd., 528. negative Folgen nicht nur für die Subjekte, sondern auch für ihre materielle Umgebung bedeutete. Weiter…

Robert Zwarg

»Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr«

Versuch über Naturbewusstsein zwischen Hass und Romantisierung

In aller Erfahrung von Natur, so heißt es bei Theodor W. Adorno, »steckt eigentlich die gesamte Gesellschaft.« Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Gesammelte Schriften 7, Darmstadt 2000, 107. Müßig, so ließe sich der Gedanke fortführen, ist es deswegen, über Natur an sich zu sprechen. Historisch und gesellschaftlich bestimmt ist sowohl der Naturbegriff selbst als auch die Wahrnehmung derer, die sie betrachten. Mit der Gesellschaft ist damit aber auch Naturerfahrung deformiert und was »Natur« heißt, einzig durch ihre verzerrte Wahrnehmung hindurch, also negativ, zugänglich. Das Verhältnis des Subjekts zu seiner und der es umgebenden Natur ist wesentlich ästhetisch, Wahrnehmung und normative Wertsetzung zugleich. Die Kategorien der Schönheit und der Hässlichkeit sind zwei Pole dieses Naturverhältnisses; Romantisierung und Hass, Teile desselben Spektrums. Zugrunde liegt beiden die zivilisatorische Notwendigkeit, äußere und innere Natur zu beherrschen. Ihr Unterschied besteht jedoch in der Art und Weise, sich zur Naturbeherrschung in Beziehung zu setzen und sie auszuagieren. Erst so wiederum erschließt sich, was gemeinhin identifizierend als Begriff von Natur ausgemacht wird. Weiter…

Johannes Berger

Inside Green Capitalism

Die ökologische Krise lösen, ohne den Kapitalismus abschaffen zu müssen?

Die ökologische Krise ist mit den Mitteln der Marxschen Analyse des Kapitals recht präzise erklärt: Die Produktion von Profit ist Grundprinzip kapitalistischer Produktionsweise, womit weder menschliche Bedürfnisse noch ein zukunftsgerichteter Umgang mit Ressourcen bzw. der natürlichen Umwelt im Zentrum stehen. Diese Produktionsweise zeichnet sich nicht dadurch aus, so viel zu produzieren, wie gebraucht wird. Die Produktion von Profit ist vom Prinzip her schrankenlos – es gibt keine Grenze im Sinne eines »Soundsoviel ist genug« – und damit ist auch die Produktion von Gütern, der Verbrauch von Ressourcen sowie die Verschmutzung durch Abfall oder Abgase schrankenlos. Weiter…

G. B. Taylor

Schleichwege aus dem Dickicht der Politik

Über Ökologie und Krisenkritik

Linke lieben eine ordentliche Krise. Ein alter Witz bringt das auf den Punkt: »Von den letzten vier Krisen haben Marxisten ganze 13 erfolgreich vorhergesagt.« Es vermag daher kaum zu überraschen, dass die miteinander verschwisterten ökologischen und ökonomischen Krisen der Gegenwart ein Wiederaufleben verschiedener Formen von Krisenkritik mit sich gebracht haben. Dieser Form der Kritik liegt die Annahme zugrunde, dass die Logik des bestehenden Systems immanente Widersprüche produziert, die sich wiederum – je nach bevorzugter Metaphorik zur Bebilderung des Sozialen – als Krisen, Zusammenbrüche oder Pathologien artikulieren. Solche Metaphorik findet sich u. a. in den Krisenkritiken von Jürgen Habermas, David Harvey und Nancy Fraser.  Sie wird häufig um ein weiteres Argument ergänzt. So wird implizit, oder sogar ganz explizit, davon ausgegangen, dass die Krise eine Reaktion des politischen Gemeinwesens provoziere. Meistens kommt das in der Vorstellung zum Ausdruck, dass sich in Form von sozialen Bewegungen »Antikörper« bilden, die den wie auch immer bestimmten destruktiven Krisentendenzen den Kampf ansagen. Die dafür paradigmatische Formulierung findet sich im Kommunistischen Manifest von Marx und Engels: »Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst weggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber.« Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Stuttgart 1989, 33. Weiter…

Arbeitskreis Kritische Geographie Leipzig

Wie viel ist Natur wert?

Von Ökosystemdienstleistungen und Naturkapital

Der AK kritische Geographie Leipzig ist ein loser Verbund von Leuten, die in den verschiedenen Bereichen der Geographie tätig sind. Seit einigen Jahren arbeitet der Arbeitskreis in Leipzig an der kritischen Aufarbeitung des Fachs, zu Fragen des Städtischen, zum Thema Urbanismus bei Henri Lefebvre und der Situationistischen Internationale sowie zu Fragen des Mensch-Natur-Verhältnisses. Weiter…

Rainer Trampert

Die Grünen

Moderne Volkspartei ohne soziales Gewissen

Modernisierung hat nicht nur ein industrielles Design. Der Aachener Karnevalverein verlieh den Orden »Wider den tierischen Ernst« zum ersten Mal an einen Grünen: Cem Özdemir! Der Moderator sprach von drei Premieren. Er sei ein Grüner, ein Muslim und: »Seine Vorfahren kommen nicht aus Deutschland.« Ein türkischer Muslim auf einem deutschen Saufgelage – darüber können Frohnaturen mit polnischen Vorfahren sich kringelig lachen. Özdemir holte seine Frau auf die Bühne, weil alle mal sehen sollten, dass sie keine Burka trage. Ahhh! Als sie vom Orden gehört habe, sei ihr erster Gedanke gewesen: »Ich brauche einen Termin beim Frisör und ein neues Kleid.« Applaus! Die ist ja wie wir; und gut hat sie’s bei uns. Der Oberbürgermeister nannte Cem scherzhaft »Schang« – wegen China, das ihm genauso fremd vorkommt. Özdemirs Büttenrede soll gut gewesen sein, trotzdem hat man den Witz: »Mit der Beschneidung verhält es sich wie mit der FDP, der Nutzen ist umstritten«, aus der TV-Fassung entfernt. Wohl wegen der FDP, denn der Präsident des Vereins ist der FDP-Chef von Aachen-Land. Im Elferrat sitzen der Direktor der Deutschen Bank, ein Spediteur, ein Ingenieur vom Energiekonzern und Herr Flegel, der Inhaber von »Brille am Markt«. Ein Karnevalsverein ist kein Think-Tank für Geostrategie, aber ein inte­grierter Muslim passt zum arabischen Raum, wo Deutschland sich nach dem schleichenden Abschied der USA als neue Bündnismacht anbietet, und ein Grüner passt zur Energiewende. Weiter…